Die strategisch wichtige Halbinsel entgleitet
der Kontrolle der Armee – Mit der Terrormiliz des „Islamisten Staates“
verbündete Jihadis gewinnen bedrohlich an Stärke
von Birgit Cerha
Drei Tage lang trauert Ägypten um die 31
Soldaten, die am Freitag bei den blutigsten Terroranschlägen seit
Jahrzehnten im Norden der Halbinsel Sinai ums Leben kamen. Präsident
Sisi spricht von einem „Existenzkrieg“ Ägyptens, von „äußeren Kräften“
angetrieben und kündigt eine massive
Militäraktion sowie drastisch verschärfte Anti-Terrormaßnahmen an , um
eine drohende Gefahr für die gesamte Region zu bannen.
Der
Nord-Sinai besitzt zentrale strategische Bedeutung. Er trennt das
ägyptische Kernland von Israel und dem palästinensischen Gaza-Streifen.
An seiner West-Grenze zieht sich der für die internationale Schifffahrt,
wie für die ägyptische Wirtschaft so bedeutende Suez-Kanal. Diese von
etwa 1,4 Millionen Menschen bewohnte Landbrücke zwischen Afrika und
Asien ist von alters her Schauplatz von Kriegen, Rebellionen und jüngst
zunehmendem Terror. Trotz massivster Militäroperationen ist die
Halbinsel seit dem Sturz Präsident Mubaraks 2011 der Kontrolle durch die
ägyptische Armee mehr und mehr entglitten. Insbesondere seit der
damalige Generalstabschef und heutige Staatschef Sisi im Juni 2013 den
ersten freigewählten Präsidenten Mursi
von der Macht vertrieb, dreht sich die Spirale der Gewalt im Sinai in
alarmierender Geschwindigkeit. Diverse Islamistengruppen, darunter die
weitaus stärkste, „Ansar Bayt al Maqdis“, ABM („Unterstützer des
heiligen Hauses, gemeint Jerusalem) konzentrieren ihren blutigen Hass
auf den vom Militär unter Sisi geführten Staat und zielen primär auf
Angehörige der Sicherheitskräfte im Sinai, zunehmend aber auch auf dem
Festland. Im Vorjahr entging der Innenminister in Kairo nur knapp einem
Attentat, zu dem sich ABM, wie zu dem Großteil der anderen Anschläge
bekannte. Auch nun suchen die Sicherheitskräfte die Attentäter in den
Reihen von ABM.
Die gnadenlose Brutalität, mit der das Sisi-Regime die Massenbewegung der Moslembruderschaft
Mursis zerschlug und zunehmend auch andere Islamistengruppen verfolg
heizt die Gewalt im Sinai auf, wohin viele Islamisten flüchteten und
ihre Racheschwüre gegen die Herrscher in Kairo mit Koranversen
untermauern. Sie finden Sympathie unter der seit Jahrzehnten
marginalisierten, diskriminierten und zutiefst frustrierten Bevölkerung
dieser ärmsten Region Ägyptens. Wiederholte Feldzüge der Armee gegen den
Terror im Sinai trieben einen blutigen Teufelskreis an. Auch
Sisi setzte bisher die jahrzehntelangen Methoden des Mubarak-Regimes
ein: Strafmaßnahmen gegen ganze Dörfer, Zerstörung von Häusern, wahllose
Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren von Tausenden Zivilisten, Folter,
Tod auch vieler Unschuldiger. All dies vor dem Hintergrund zunehmender
Verarmung und des Beschäftigungsverbots für Sinais Beduinen in allen
staatlichen Institutionen. Eine wachsende Radikalisierung der
Bevölkerung blieb so unvermeidlich. Hier finden radikale Gruppen, allen voran ABM, reichen Nährboden.
Auch ABM hat sich weiter radikalisiert seit ihre Führer
dem „Islamischen Staat“ (IS) Unterstützung bekundeten und nach Aussagen
eines ihrer Kommandanten von IS „über das Internet“ in mörderischen
Methoden „trainiert“ würden. So begann auch ABM auf Jihadi-Foren im
Internet Videos zu verbreiten, in denen sie „Informanten“ der
ägyptischen Armee köpften. Tatsächlich gelang es ABM jüngst derart Angst
und Schrecken im Sinai zu verbreiten, dass sich immer weniger Beduinen
zur Zusammenarbeit mit den Sicherheitskräften bereitfinden. Sisis
Soldaten aber sind in diesem unwegsamen Wüstengebirgsterrain auf die
ortskundigen Informanten vollends angewiesen.
Doch
nur, wenn Kairo endlich die berechtigten Beschwerden der lokalen
Bevölkerung hört und nicht massive Strafaktionen auch gegen viele
Unschuldige durchführt, sondern vielmehr gezielte Schläge mit einem
dringend nötigen Entwicklungsprogramm verbindet, besitzt es die Chance,
ein weiteres Abdriften dieser geostrategisch so wichtigen Region in
blutiges, vollends unkontrollierbares und auch das Kernland noch mehr
gefährdendes Chaos zu verhindern.
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