Der Westen sucht immer noch nach der „Wunderwaffe“ zur Vernichtung der Finanzmacht von IS
von Birgit Cerha
„Der Islamische Staat (IS) ist die kapitalkräftigste
Terrororganisation“, mit der die USA es je zu tun gehabt hätten. "Wir
haben keine Wunderwaffe, um die Schatztruhen des IS über Nacht zu
leeren“, räumte David Cohen, Chef des US-Finanzgeheimdienstes jüngst
ein. Etwas ratlos offenbar begannen US-Kampfjets Ölraffinerien und sogar
einen von den Terroristen kontrollierten Getreidesilo in Syrien zu
bombardieren. Der Erfolg solcher Attacken wird sich sehr bald als
kontraproduktiv erweisen.
Das wahre Ausmaß der Finanzschätze, die IS in nur wenigen Monaten
von einer lokalen Extremistenorganisation zu einem einzigartigen
Terrormagnaten gemacht haben und die einen beispiellos brutalen Krieg in
Syrien und im Irak finanzieren, können Geheimdienste nur schätzen.
Ersten Aufschluss über das Vermögen dieser in der Gesetzlosigkeit des
Iraks nach dem Sturz von Diktator Saddam Hussein vor fast zehn Jahren
geborenen Gruppe lieferte der irakische Geheimdienst durch Beschlagnahme
von Computern und Datenbasen eines IS-Kuriers in Iraks zweitgrößter
Stadt Mosul . Danach verfügte IS noch vor der Eroberung von Mosul im
Juni über mehr als 800 Mio Dollar. Beim Sturm der Stadt plünderten die
Jihadis allein in der Zentralbank Bargeld von 429 Mio. Dollar. Hinzu
kommen inzwischen regelmäßige Geldflüsse durch ein höchst effizientes
kriminelles System.
Allein durch Entführungen westlicher und einheimischer Bürger
dürfte IS 2014 nach Schätzungen von Experten seine Kassen mit etwa 20
Mio. Dollar gefüllt haben. Andere Formen der Erpressung und krimineller
Aktivitäten bringen regelmäßig mehrere Millionen. Spenden insbesondere
von reichen Arabern am Persischen Golf machen entgegen anfänglicher
Vermutungen den weitaus geringsten Teil des Vermögens aus. IS hat sich
damit, wie keine andere Terrororganisation vor ihr finanzielle
Unabhängigkeit geschaffen. Dennoch nimmt die Jihadi-Führung Gelder aus
dem Golf - allen voran von reichen Bürgern Kuwaits, die mit solcher
Unterstützung Hass gegen den Westen verbreiten wollen. Kein Staat
unterstützt IS nach bisherigen Erkenntnissen.
Die Terrormiliz ist auch deshalb gegenüber internationalen
finanziellen Anti-Terrormaßnahmen weitgehend immun, weil ihre
Haupteinnahmequelle aus den von ihr kontrollierten Gebieten stammt. Ein
lokales Netzwerk ermöglicht die Erpressung von Bürgern – kleinen
Geschäftsleuten, wie großen Unternehmen und in Syrien sogar lokalen
Regierungsvertretern -, von denen is regelmäßig bei Gängen von Haus zu
Haus mit vorgehaltener Waffe „Schutzgeld“ und „Steuern“ einziehT. Neben
Raubüberfällen von Banken und Geschäften haben die Jihadis einen
hochlukrativen Schmuggelsystem mit gestohlenen Antiquitäten aus Museen
und archäologischen Stätten, geschaffen, mit Maschinen und anderen
Einrichtungen aus von ihnen insbesondere in der syrischen
Wirtschaftsmetropole Aleppo geplünderten Fabriken oder auch durch den
Verkauf von Frauen und Mädchen als Sexsklavinnen, Autos und von der
syrischen Armee, wie im Irak eroberten Waffen an andere militante
Gruppen in Syrien. IS kontrolliert auch Syriens u.a. Weizen und
Baumwolle produzierende „Kornkammer.
Aus den etwa ein Dutzend in Syrien und im Irak eroberten Ölfeldern
und zahlreichen Raffinerien erzielt IS durch Schmuggel in die Türkei,
nach irakisch Kurdistan und Jordanien rund eine Million Dollar im Tag.
Doch die Deckung seiner eigenen Energiebedürfnisse und jene der rund
acht Millionen in den von ihm kontrollierten Regionen lebenden Menschen
stellt die Terroristen vor immer größere Herausforderungen. Die
Versorgung der Bevölkerung ist von entscheidender Bedeutung, um nicht
eine unkontrollierbare Rebellion zu riskieren, und dies verschlingt
einen beträchtlichen Teil der Einkünfte. Um sich überlebenswichtige
Solidarität zu sichern, lässt Al-Baghdadi den Mitgliedern seiner
Terrororganisation, gestaffelt je nach Größe der Familie, regelmäßige
„Gehälter“ auszahlen und kommt für die medizinische Versorgung – meist
in der Türkei – seiner Kämpfer auf.
Die Haupteinnahmequellen – das Erpressungssystem und den
Ölschmuggel – zu zerschlagen, ist nach Ansicht von Experten ein kaum
lösbares Unterfangen. Die USA haben zahlreiche Raffinerien in Syrien
bombardiert. Anti-Terrorexperten halten dies für einen schwerwiegenden
Fehler. Vielmehr sollten sich die Alliierten auf die Zerstörung der
Transportkapazitäten von IS konzentrieren. Mit Winterbeginn droht eine
gravierende Energieknappheit. Könnte IS Raffinerieprodukte nicht zu den
Verbrauchern transportieren, würde sich der Zorn der Bevölkerung gegen
ihn richten. Nun da westliche Bomben Dutzende Raffinerien zerstörten,
kann IS überzeugend die Schuld den „Kreuzrittern“ in die Schuhe
schieben. Der Westen habe IS nach den Worten eines prominenten syrischen
Rebellenführers ein „wahres Geschenk gemacht“.
Im Irak verbot die Regierung den Amerikanern von IS kontrollierte
Ölquellen zu bombardieren, in der Hoffnung, diese völlig intakt zu
befreien. Zudem bergen Attacken enorme Umweltrisiken. Die einzige
Chance, das so lukrative kriminelle Netzwerk zu zerschlagen bietet die
Befreiung der besetzten Gebiete durch einen effizienten Einsatz von
Bodentruppen. Doch davon ist man noch weit entfernt.
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