Mittwoch, 29. Oktober 2014

Wie der „Islamische Staat“ zum Terrormagnaten wurde

Der Westen sucht immer noch nach der „Wunderwaffe“  zur Vernichtung der Finanzmacht von IS
 
von Birgit Cerha
 
„Der Islamische Staat (IS) ist die kapitalkräftigste Terrororganisation“,  mit der die USA es je zu tun gehabt hätten. "Wir haben keine Wunderwaffe, um die Schatztruhen des IS über Nacht zu leeren“, räumte David Cohen, Chef des US-Finanzgeheimdienstes  jüngst ein. Etwas ratlos offenbar begannen US-Kampfjets Ölraffinerien und sogar einen von den Terroristen kontrollierten Getreidesilo in Syrien zu bombardieren. Der Erfolg solcher Attacken wird sich sehr bald als kontraproduktiv erweisen.
Das wahre Ausmaß der Finanzschätze, die IS in nur wenigen Monaten von einer lokalen Extremistenorganisation zu einem einzigartigen Terrormagnaten gemacht haben und die einen beispiellos brutalen Krieg in Syrien und im Irak finanzieren, können Geheimdienste nur schätzen.  Ersten Aufschluss über das Vermögen dieser in der Gesetzlosigkeit des Iraks nach dem Sturz von Diktator Saddam Hussein  vor fast zehn Jahren geborenen Gruppe lieferte der irakische Geheimdienst durch Beschlagnahme von Computern und Datenbasen eines IS-Kuriers in Iraks zweitgrößter Stadt Mosul . Danach verfügte IS noch vor der Eroberung von Mosul im Juni über mehr als 800 Mio Dollar. Beim Sturm der Stadt plünderten die Jihadis allein in der Zentralbank Bargeld von 429 Mio. Dollar. Hinzu kommen inzwischen regelmäßige Geldflüsse  durch ein höchst effizientes kriminelles System.
Allein durch Entführungen westlicher und einheimischer Bürger dürfte IS 2014 nach Schätzungen von Experten seine Kassen mit etwa 20 Mio. Dollar gefüllt haben. Andere Formen der Erpressung und krimineller Aktivitäten bringen regelmäßig mehrere Millionen. Spenden insbesondere von reichen Arabern am Persischen Golf machen entgegen anfänglicher Vermutungen den weitaus geringsten Teil des Vermögens aus. IS hat sich damit, wie keine andere Terrororganisation vor ihr finanzielle Unabhängigkeit geschaffen. Dennoch nimmt die Jihadi-Führung Gelder aus dem Golf - allen voran von reichen Bürgern Kuwaits, die mit solcher Unterstützung Hass gegen den Westen verbreiten wollen. Kein Staat unterstützt IS nach bisherigen Erkenntnissen. 
Die Terrormiliz ist auch deshalb gegenüber internationalen finanziellen Anti-Terrormaßnahmen weitgehend immun, weil ihre Haupteinnahmequelle aus den von ihr kontrollierten Gebieten stammt. Ein lokales Netzwerk ermöglicht die Erpressung von Bürgern – kleinen Geschäftsleuten, wie großen Unternehmen und in Syrien sogar lokalen Regierungsvertretern -, von denen is regelmäßig bei Gängen von Haus zu Haus mit vorgehaltener Waffe „Schutzgeld“ und „Steuern“ einziehT.  Neben Raubüberfällen von Banken und Geschäften haben die Jihadis einen hochlukrativen Schmuggelsystem  mit gestohlenen Antiquitäten aus Museen und archäologischen Stätten, geschaffen, mit Maschinen und anderen Einrichtungen aus von ihnen insbesondere in der syrischen Wirtschaftsmetropole Aleppo geplünderten Fabriken oder auch durch den Verkauf von Frauen und Mädchen als Sexsklavinnen, Autos und von der syrischen Armee, wie im Irak eroberten Waffen an andere militante Gruppen in Syrien. IS kontrolliert auch Syriens u.a. Weizen und Baumwolle produzierende „Kornkammer.
Aus den etwa ein Dutzend in Syrien und im Irak eroberten Ölfeldern und zahlreichen Raffinerien erzielt IS durch Schmuggel  in die Türkei, nach irakisch Kurdistan und Jordanien rund eine Million Dollar im Tag. Doch die Deckung seiner eigenen Energiebedürfnisse und jene der rund acht Millionen in den von ihm kontrollierten Regionen lebenden Menschen stellt die Terroristen vor immer größere Herausforderungen. Die Versorgung der Bevölkerung ist von entscheidender Bedeutung, um nicht eine unkontrollierbare Rebellion zu riskieren, und dies verschlingt einen beträchtlichen Teil der Einkünfte. Um sich überlebenswichtige Solidarität zu sichern, lässt Al-Baghdadi den Mitgliedern seiner Terrororganisation, gestaffelt je nach Größe der Familie, regelmäßige „Gehälter“ auszahlen und kommt für die medizinische Versorgung – meist in der Türkei – seiner Kämpfer auf.
Die Haupteinnahmequellen – das Erpressungssystem und den Ölschmuggel – zu zerschlagen, ist nach Ansicht von Experten ein kaum lösbares Unterfangen. Die USA haben  zahlreiche Raffinerien in Syrien bombardiert. Anti-Terrorexperten halten dies für einen schwerwiegenden Fehler. Vielmehr sollten sich die Alliierten auf die Zerstörung der Transportkapazitäten von IS konzentrieren. Mit Winterbeginn droht eine gravierende Energieknappheit. Könnte IS Raffinerieprodukte nicht zu den Verbrauchern transportieren, würde sich der Zorn der Bevölkerung gegen ihn richten. Nun da westliche Bomben Dutzende Raffinerien zerstörten, kann IS überzeugend die Schuld den „Kreuzrittern“ in die Schuhe schieben. Der Westen habe IS nach den Worten eines prominenten syrischen Rebellenführers ein „wahres Geschenk gemacht“.
Im Irak verbot die Regierung den Amerikanern von IS kontrollierte Ölquellen zu bombardieren, in der Hoffnung, diese völlig intakt zu befreien. Zudem bergen Attacken enorme Umweltrisiken. Die einzige Chance, das so lukrative kriminelle Netzwerk  zu zerschlagen bietet die Befreiung der besetzten Gebiete durch einen effizienten Einsatz von Bodentruppen. Doch davon ist man noch weit entfernt.
 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen