Die Not
der vom Genozid bedrohten Yeziden findet kein Ende – Noch immer bleiben
7000 Frauen und Mädchen versklavt – Rettungsappelle verhallen
von Birgit Cerha
Es
scheint, als habe die Weltöffentlichkeit sie vergessen. Rund 80.000
Vertriebene der yezidischen Minderheit warten unter elenden Bedingungen
in der nordirakischen Stadt Dohuk auf die so dringend nötige Hilfe, die
nur in geringem Maße eintrifft. Sie harren seit ihrer Vertreibung aus
Sindschar durch die Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS) vor zwei
Monaten unter Brücken aus, in Rohbauten ohne Wände oder in Zelten auf
sandigem Boden, der sich sobald der Winterregen einsetzt in Schlamm und
kleine Teiche verwandelt. Dabei hatten sie nach ihrer traumatischen
Flucht in die Wüstenberge Sindschars auf Rettung durch die
internationale Gemeinschaft und ihre kurdischen Brüder gehofft. Nun
fühlen sie sich so sehr verlassen und verraten, dass ihr stets so zurückhaltender geistlicher Führer, Mir Tahsin Beg, einen verzweifelten Appell an die Regierungen des Iraks und der
autonomen Kurdenregion richtete, doch ihre „nationale, politische,
humanitäre und moralische Verantwortung“ für die Yeziden Sindschars zu
übernehmen, deren Lage sich stetig verschlimmere und mit einbrechendem
Winter dramatische Ausmaße annehmen werde.
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Pogrome haben die Angehörigen dieser alten Religion in ihrer langen
Geschichte erlitten. Doch diesen halten sie für den schlimmsten. Nach
Schätzungen der UNO wurden mindestens 500.000 Yeziden aus ihren
nordirakischen Dörfern und Städten vertrieben, Zehntausende flüchteten
in die Wüstenberge Sindschars, von wo sie mit Hilfe kurdischer Kämpfer
und im Schutz einer US-Luftbrücke gerettet
wurden. Tausende, die den sicheren Hafen im autonomen Kurdistan oder im
syrischen Grenzgebiet nicht erreichten, wurden von den Jihadis
abgeschlachtet. IS veranstaltete eine regelrechte Menschenjagd. Während
die Terroristen die Männer töteten, nahmen sie Frauen und Mädchen, auch
kleine Buben in die Sklaverei. Bis zu 7.000 Yeziden sind nach
verlässlichen Schätzungen nun schon seit zwei Monaten einem grauenvollen
Dasein in Gefangenschaft ausgeliefert. 43 gelang nach Berichten aus der
Region in den vergangenen Wochen die Flucht, offenbar mit Hilfe
sunnitischer Stammesführer in Mosul und Faludscha, die sie freigekauft
hatten.
„Human
Rights Watch“ veröffentlichte eben einen erschütternden Bericht auf der
Basis von Interviews mit yezidischen Frauen, die der Terrormiliz
entkamen. Sie erzählen Grauenvolles, von Vergewaltigungen mehrmals am
Tag, selbst an zwölf oder 13-jährigen Mädchen und an Schwangeren. Die
Jihadis teilten die Frauen unter sich auf und hielten sie als
Sex-Sklavinnen. Wenn sie genug von ihnen hatten, verkauften sie sie um
hundert bis maximal tausend Dollar und holten sich andere. Selbst wenn
den Geschändeten die Flucht gelingt, bleibt ihr Leben bedroht, denn die
meisten dieser unschuldigen Opfer sexueller Gewalt werden von ihren
Familien, von der erzkonservativen yezidischen Gesellschaft
stigmatisiert. Selbstmord erscheint vielen der einzige Ausweg.
Erstmals hat IS in seiner Propagandazeitschrift „Dabiq“ die Schändung von Frauen zugegeben. Frauen
und Kinder sind für sie „Kriegsbeute“ und Barbarei eine „legitime“
Wiederbelebung der Sklaverei während der frühen islamischen Eroberungen,
in denen Frauen anderer Gesellschaften zu Konkubinen gezwungen worden
waren. IS hat sich damit offiziell
zur sexuellen Versklavung von Frauen aus Bevölkerungsgruppen bekannt,
die sie als „heidnisch“ oder – wie die Yeziden – als polytheistisch –
erachten. Experten sehen diese Praxis als Teil eines geplanten Genozids
an den Yeziden. „Dabiq“ weist darauf hin, dass Muslime „die Existenz“
dieser „Heiden“ bis heute „hinterfragen sollen, da sie am Tag des
jüngsten Gerichts darüber Rechenschaft ablegen müssen.“
Eindringlich
appellieren Yeziden, allen voran Mir Tashin Beg, um rasche Hilfe, denn
es könnte zur Rettung Tausender Frauen bald zu spät sein. Die meisten
werden in dem von IS kontrollierten Nord-Irak und auch in Syrien
gefangen gehalten, in einem Gebiet, das den Frauen meist vertraut ist.
Nur einige wenige US-Luftangriffe auf IS-Stützpunkte in der Region
könnten den Gefangenen die Flucht ermöglichen. Doch trotz Versprechungen
der kurdischen Peschmergas, Sindschar und andere yezidische Städte und
Dörfer zu befreien, bleiben die sehnlichst erhofften Militäraktionen
aus.
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