Montag, 29. September 2014

Obamas Koalition der Halbherzigen

Die arabischen Bündnispartner gegen IS verfolgen ihre Eigeninteressen – Wird der Krieg eine Ordnung erhalten, die den Nährboden für diesen Radikalismus bereitet?
 
 von Birgit Cerha

„Tötet nicht unsere Kinder mit euren Flugzeugen.“ Seit vielen Monaten hatten sich im kriegsgequälten Syrien nicht so viele Menschen zu Protesten mehr versammelt wie nun, da die Kampfjets der von den USA geführten internationalen Allianz gegen die Terroristen des „Islamischen Staates“ (IS) auch mehr und mehr Zivilisten treffen. Während die Eliten der arabischen Welt und die wichtigsten Medien der Region, selbst jene, die 2003 die US-Invasion des Iraks verdammt hatten, diesmal voll hinter der internationalen Intervention in Syrien und im Irak stehen, lassen die sozialen Netzwerke eine andere Stimmung erkennen: Empörung Zehntausender „Followers“ bekannter Aktivisten und Intellektueller auf Twitter oder Facebook über die Bomben der Alliierten und das damit der syrischen Zivilbevölkerung zugefügte zusätzliche Leid, tiefes Misstrauen über die wahren Absichten der Verbündeten. Viel ist die Rede von einem „Kreuzzug gegen den Islam“, wie IS oder die syrische Al-Kaida-„Tochter“ „Al Nusra“ es darstellen, ja sogar Lob für IS ist zu lesen, der sich gegen die „schiitischen Unterdrücker“ erhebe, dazu von den USA gedrängt, die, wie stets „begierig“ seien, sich in arabische Angelegenheiten einzumischen.
Bestätigen sich damit schon wenige Tage nach Beginn der internationalen Militäraktion Befürchtungen, dass sich dieser Krieg als kontraproduktiv erweisen, das Übel der barbarischsten Terrorgruppe der jüngsten Zeit nur noch verschlimmern könnte? Genau dies wollte US-Präsident Obama verhindern, als er in diplomatischer Meisterleistung so viele arabische Verbündete für seine Anti-Terror-Allianz gewann, wie kein US-Präsident vor ihm – und dies auch noch für aktiven Militäreinsatz. Major Mariam al-Mansouri, die 35-jährige Pilotin, die vier F-16 Kampfjets der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) bei Attacken auf IS-Positionen in Syrien anführte, löste eine Sensation in westlichen Medien aus und ermöglicht damit den Emiren sich als Herrscher moderner, offener Systeme zu präsentieren. So lässt auch Saudi-Arabien nach den ersten Militäreinsätzen Fotos von Piloten kursieren, darunter eines Prinzen, in der Hoffnung, damit der auf ihre junge, unruhige Bevölkerung zielende Propaganda von IS oder Nusra neue, ganz anders geartete „Helden“ entgegenzustellen. Die Empörung von Mitgliedern des in den VAE einflussreichen Mansouri-Stammes über die Teilnahme Mariams an der „brutalen internationalen Aggression“ gibt Aufschluss über den heiklen Seiltanz, den die arabischen Teilnehmer an der Anti-Terrorallianz vollführen müssen.
Alle arabischen Staaten sehen sich heute von existentiellen Gefahren bedroht. Ägypten, das bevölkerungsreichste arabische Land, von laizistischen Militärs im Kampf gegen die heimischen Islamisten despotisch beherrscht, fehlt auf der Liste aktiver Allianz-Partner, wiewohl Präsident Sisi den Amerikanern grundsätzlich Unterstützung versprach. Doch das Land ist ökonomisch nach dreijähriger Rebellion fast bankrott, militärisch durch den Kampf gegen die Moslembruderschaft und radikalen Islamisten im Sinai empfindlich geschwächt und fühlt sich durch das von Islamisten geschürte gewaltsame Chaos im benachbarten Libyen zusätzlich bedroht. Der Kampf gegen IS müßte nach Sisis Vorstellung auch seine Feinde einschließen.
Jordanien, Saudi-Arabien, die VAE, Katar und Bahrain schlossen sich zögernd und halbherzig den USA an und versuchen dabei alte Animositäten (etwa Saudis und VAE gegen Katar) zu überwinden.  Die Angst vor dem vor ihren Toren stehenden IS eint sie. Selbst Erzfeinde – Saudi-Arabien und Iran – strecken Fühler zueinander aus. Nach einem Treffen beider Außenminister in New York meint der Iraner Zarif, „die erste Seite eines neuen Kapitels“ sei (nach 35 Jahren) aufgeschlagen. Der schiitische „Gottesstaat“ fürchtet den Todfeind der Schiiten IS mehr als die „imperialistische“ US-Allianz und schließt aktive Kooperation nicht mehr aus. Zeichnet sich, so der britische Thinktank „RUSI“,  der Beginn einer „neuen Morgenröte nahöstlichen Multilateralismus“ ab, einer Kooperation wichtiger Staaten in einer zersplitterten Region, die neue Hoffnung auf Stabilität wecken könnte?
Doch jeder Bündnispartner verfolgt sein ureigenstes Interesse. Der Iran will seine durch den Vormarsch von IS bedrohte dominierende Position im Irak keinesfalls verlieren, fürchtet aber auch von einer neuen, von Riad, dem Protektor der Sunniten, geführten arabischen Allianz aus dem Nachbarstaat verdrängt zu werden. Was, wenn Riad oder die VAE beginnen, Ziele im Irak zu bombardieren? Die Golfstaaten erwarten sich von ihrem Anschluss an die Anti-Terror-Allianz größere Berücksichtigung ihrer Positionen durch die USA bei der Aushandlung eines Atomabkommens mit dem Iran. Jordanien, mit seinem wohl professionellsten Geheimdienst der Region von zentraler Bedeutung für einen Erfolg gegen IS, sieht sich durch diese Islamisten zwar direkt bedroht, doch der Alptraum eines „schiitischen Halbmondes“ unter iranischer Vorherrschaft bleibt latent und könnte die Bildung einer größeren Allianz blockieren. Ebenso groß ist das Unbehagen Saudi-Arabiens gegenüber der schiitischen Mehrheit im Irak, auch wenn IS dem als korrupt verteufelten Haus Saud die Legitimität der Herrschaft über die heiligsten Stätten des Islam abspricht.
Die Zwiespältigkeit saudischer Position gegenüber IS, dessen Ideologie im Wahhabismus, der Staatsdoktrin Saudi-Arabiens, wurzelt, zeigt sich in der Laxheit des Königshauses im Kampf gegen islamistischen Radikalismus, der mangelnden Bereitschaft, Prediger der Gewalt zu stoppen, den Zulauf junger Saudis zu IS und Nusra, sowie Finanzhilfe reicher Bürger an diese Terroristen. Vielmehr halten sich Gerüchte, das Königshaus hätte IS Milliarden von Dollar für ein Versprechen gespendet, Saudi-Arabien nicht anzugreifen
Liberale Kreise der Region verängstigen die Brutalitäten von IS und sie befürchten dennoch einen hohen Preis, den die arabischen Autokraten für ihre Teilnahme an diesem Krieg von Obama abverlagen: Stillschweigen angesichts verschärfter Repression von Andersdenkenden, radikalen Islamisten, wie säkularen Demokraten, die eine Öffnung der Systeme, dringende demokratische Reformen erhoffen. Sie befürchten eine Zementierung der gegenwärtigen regionalen, von Militär- und Öldiktatoren geführten Ordnung, die dem „arabischen Frühling“ der Freiheit und Menschenwürde ein teilweise sehr blutiges Ende bereiteten und den Nährboden schufen der Isis zu ihrem rasanten Aufstieg verhalf.

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