Die Ernennung einer neuen Regierung öffnet den Weg zu verstärktem Militärengagement gegen die Terroristen des „Islamischen Staates“ – Doch kann sie die arabischen Sunniten gewinnen?
von Birgit Cerha
Unmittelbar bevor die von der Verfassung gesetzte Frist zur Bildung
einer neuen Regierung auslief billigte das Parlament in Bagdad die vom
designierten Premier Haider al-Abadi präsentierte Ministerliste, bedacht
mit höchstem Lob aus den USA und dem Iran zugleich. US-Außenminister
Kerry nennt sie einen „Meilenstein“, der die Bevölkerungsgruppen einigen
könnte. Irans Präsident Rouhani spricht von einer „neuen Ära“. Immerhin
ziehen hier die beiden mächtigsten äußeren Rivalen um Einfluss im Irak
an einem Strang.
Tatsächlich hat Abadi geschafft, was sein Parteifreund und
Vorgänger Maliki zu Beginn von zwei Amtsperioden nicht vermochte:
innerhalb von vier Wochen eine Regierung auf die Beine zu stellen. Doch
darin erschöpft sich auch schon fast sein Verdienst. Die
Regierungsbildung liefert zwar US-Präsident Obama die Basis für die für
heute, Mittwoch, geplante Verkündigung seiner Irak-Strategie, die ein
wesentlich verstärktes militärisches Engagement gegen den „Islamischen
Staat“ (IS) vorsieht. Doch ob sie das Land vereinen, die Kurden von
einer Abspaltung abhalten, vor allem aber die arabischen Sunniten davon
überzeugen kann, dass die Zentralregierung auch ihren Interessen dient,
erscheint höchst fraglich. Nur dann aber bestünde die Hoffnung, dass die
von Maliki zutiefst diskriminierte sunnitische Minderheit IS die
Unterstützung entzieht und sich dem Kampf zu deren Vertreibung aus mehr
als einem Viertel des besetzten irakischen Territoriums anschließt.
In ersten Reaktionen zeigen sich führende Sunniten, darunter der
2012 von Maliki vertriebene Vizepräsident Tareq el Hashemi, zutiefst
skeptisch. Sie können keine Anzeichen auf den verheißenen „politischen
Wendepunkt“ erkennen. Vielmehr gleiche die Regierungsbildung dem Spiel
der „Musical Chairs“: dieselben Personen, die die politische Szene seit
2003 beherrschten, nur in anderen Positionen. Vor allem gelang es Abadi –
vorerst - nicht, ein wichtiges Problem zu lösen, das Maliki zum
Scheitern brachte: die für die Sicherheit entscheidenden Innen- und
Verteidigungsministerien zu besetzen. Maliki hatte diese beiden
Ministerien in den vergangenen vier Jahren selbst geleitet und dazu
beigetragen, dass die Sicherheitskräfte mehr schiitischen Milizen als
nationalen Einheiten gleichen und die Sunniten schikanierten, folterten,
verhafteten. Gelingt es Abadi nicht, wie versprochen binnen einer Woche
diese beiden Ministerposten mit Personen zu besitzen, die das Vertrauen
der Sunniten zu wecken vermögen, sinkt die Hoffnung auf einen
politischen Neuanfang. Eine radikale Reform der von Korruption und
Desillusion geplagten Streitkräfte, zählt zu den wichtigsten Aufgaben
der neuen Regierung.
Arabische Sunniten vermissen aber auch Signale der Versöhnung. So
ist bisher etwa keine Rede von der Freilassung Tausender Sunniten, die
seit Jahren ohne Gerichtsverfahren in den Gefängnissen einsitzen, gibt
es keine konkreten Pläne zur Linderung der sozialen Nöte, unter denen
insbesondere die schwer benachteiligten Sunniten leiden. Dafür
verspricht Abadi – allerdings vage – eine von Sunniten, wie den Kurden
geforderte Dezentralisierung, von der Maliki nichts wissen wollte.
Die Kurden, seit 2003 die Königsmacher in Bagdad, haben nur im
letzten Moment den Regierungsvorschlägen Abadis zugestimmt. Da der neue
Premier ihre Bedingungen – Referendum in den zwischen Bagdad und den
Kurden „umstrittenen Gebieten“; Überweisung der in der Verfassung
vorgesehenen 17 Prozent der nationalen Ölerträge, die Maliki seit
Jahresbeginn wegen des ungelösten Streits über kurdische Ölexporte
eingestellt hatte; Waffenlieferungen an die kurdischen Peschmerga –
unberücksichtigt ließ, befristen die Kurden ihre Teilnahme an der
Regierung auf drei Monate, mit dem Damoklesschwert der Loslösung vom
Irak, sollte es keine Einigung geben. Abadi hat sich bisher wenig
konzessionsbereit gezeigt.
Aber auch in seiner eigenen – der schiitischen – Bevölkerungsgruppe
hat Abadi schwierige Herausforderungen zu bewältigen. Während die
Sunniten auf neutralen nationalen Streitkräften bestehen, sehen die
durch US-Militärhilfe aus der Luft gestärkten schiitischen Milizen den
Krieg gegen diese fanatischen Islamisten, die sie als Häretiker
verdammen und vernichten wollen, als einen Überlebenskampf. Sie werden
sich kaum auflösen, entwaffnen oder in eine neue, unabhängige
Streitkraft integrieren lassen.
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