Dienstag, 9. September 2014

Irak: Der Beginn einer „neuen Ära“?

Die Ernennung einer neuen Regierung öffnet den Weg zu verstärktem Militärengagement gegen die Terroristen des „Islamischen Staates“ – Doch kann sie die arabischen Sunniten gewinnen?

 
von Birgit Cerha
 
Unmittelbar bevor die von der Verfassung gesetzte Frist zur Bildung einer neuen Regierung auslief billigte das Parlament in Bagdad die vom designierten Premier Haider al-Abadi präsentierte Ministerliste, bedacht mit höchstem Lob aus den USA und dem Iran zugleich. US-Außenminister Kerry nennt sie einen „Meilenstein“, der die Bevölkerungsgruppen einigen könnte. Irans Präsident Rouhani spricht von einer „neuen Ära“. Immerhin ziehen hier die beiden mächtigsten äußeren Rivalen um Einfluss im Irak an einem Strang.
Tatsächlich hat Abadi geschafft, was sein Parteifreund und Vorgänger Maliki zu Beginn von zwei Amtsperioden nicht vermochte: innerhalb von vier Wochen eine Regierung auf die Beine zu stellen. Doch darin erschöpft sich auch schon fast sein Verdienst. Die Regierungsbildung liefert zwar US-Präsident Obama die Basis für die für heute, Mittwoch, geplante Verkündigung seiner Irak-Strategie, die ein wesentlich verstärktes militärisches Engagement gegen den „Islamischen Staat“ (IS) vorsieht. Doch ob sie das Land vereinen, die Kurden von einer Abspaltung abhalten, vor allem aber die arabischen Sunniten davon überzeugen kann, dass die Zentralregierung auch ihren Interessen dient, erscheint höchst fraglich. Nur dann aber bestünde die Hoffnung, dass die von Maliki zutiefst diskriminierte sunnitische Minderheit IS die Unterstützung entzieht und sich dem Kampf zu deren Vertreibung aus mehr als einem Viertel des besetzten irakischen Territoriums anschließt.
In ersten Reaktionen zeigen sich führende Sunniten, darunter der 2012 von Maliki vertriebene Vizepräsident Tareq el Hashemi, zutiefst skeptisch.  Sie können keine Anzeichen auf den verheißenen „politischen Wendepunkt“ erkennen. Vielmehr gleiche die Regierungsbildung dem Spiel der „Musical Chairs“: dieselben Personen, die die politische Szene seit 2003 beherrschten, nur in anderen Positionen. Vor allem gelang es Abadi – vorerst - nicht, ein wichtiges Problem zu lösen, das Maliki zum Scheitern brachte: die für die Sicherheit entscheidenden Innen- und Verteidigungsministerien zu besetzen. Maliki hatte diese beiden Ministerien in den vergangenen vier Jahren selbst geleitet und dazu beigetragen, dass die Sicherheitskräfte mehr schiitischen Milizen als nationalen Einheiten gleichen und die Sunniten schikanierten, folterten, verhafteten. Gelingt es Abadi nicht, wie versprochen binnen einer Woche diese beiden Ministerposten mit Personen zu besitzen, die das Vertrauen der Sunniten zu wecken vermögen, sinkt die Hoffnung auf einen politischen Neuanfang. Eine radikale Reform der von Korruption und Desillusion geplagten Streitkräfte, zählt zu den wichtigsten Aufgaben der neuen Regierung.
Arabische Sunniten vermissen aber auch Signale der Versöhnung. So ist bisher etwa keine Rede von der Freilassung Tausender Sunniten, die seit Jahren ohne Gerichtsverfahren in den Gefängnissen einsitzen, gibt es keine konkreten Pläne zur Linderung der sozialen Nöte, unter denen insbesondere die schwer benachteiligten Sunniten leiden. Dafür verspricht Abadi – allerdings vage – eine von Sunniten, wie den Kurden geforderte Dezentralisierung, von der Maliki nichts wissen wollte.
Die Kurden, seit 2003 die Königsmacher in Bagdad, haben nur im letzten Moment den Regierungsvorschlägen Abadis zugestimmt. Da der neue Premier ihre Bedingungen – Referendum in den zwischen Bagdad und den Kurden „umstrittenen Gebieten“; Überweisung der in der Verfassung vorgesehenen 17 Prozent der nationalen Ölerträge, die Maliki seit Jahresbeginn wegen des ungelösten Streits über  kurdische Ölexporte eingestellt hatte; Waffenlieferungen an die kurdischen Peschmerga – unberücksichtigt ließ, befristen die Kurden ihre Teilnahme an der Regierung auf drei Monate, mit dem Damoklesschwert der Loslösung vom Irak, sollte es keine Einigung geben. Abadi hat sich bisher wenig konzessionsbereit gezeigt.
Aber auch in seiner eigenen – der schiitischen – Bevölkerungsgruppe hat Abadi schwierige Herausforderungen zu bewältigen. Während die Sunniten auf neutralen nationalen Streitkräften bestehen, sehen die durch US-Militärhilfe aus der Luft gestärkten schiitischen Milizen den Krieg gegen diese fanatischen Islamisten, die sie als Häretiker verdammen und vernichten wollen, als einen Überlebenskampf. Sie werden sich kaum auflösen, entwaffnen oder in eine neue, unabhängige Streitkraft integrieren lassen.
 

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