Panische Angst vor den barbarischen Islamisten gibt In der Region
dem Grundsatz „der Feind meines Feindes ist mein Freund“ erneute
Bedeutung
von Birgit Cerha
Noch lässt sich nicht abschätzen, welchen Einfluss die auf Videos
dokumentierte und im Internet verbreitete Barbarei der Terroristen des
„Islamischen Staates“ (IS) auf dessen Attraktivität unter einer
radikalen Randschichte der islamischen Welt ausübt. Fest steht jedoch,
dass der militärische Vormarsch und die damit verbundenen Brutalitäten
in der Region, insbesondere unter den arabischen Nachbarn, wie auch im
Iran gravierende Ängste auslösen, Ängste, die fundamentale politische
Neuorientierungen bewirken könnten. Erste Anzeichen dafür lassen sich
bereits erkennen. Damit gewinnen auch die Bemühungen US-Präsident
Obamas, eine internationale Allianz zur Vernichtung von IS aufzustellen
größere Chance. Die Beteiligung wichtiger arabischer Staaten, wie
insbesondere der sunnitischen Bevölkerungsgruppen ist nach Überzeugung
von Terrorexperten von entscheidender Bedeutung, um diesem Kampf, der
ein militärischer und zugleich ideologisch-politischer mit starken
sozialen Komponenten ist, Glaubwürdigkeit und stärkere Durchschlagskraft
zu verleihen.
Ob IS mit seiner so grausig zur Schau getragenen Bestialität einen
gravierenden strategischen Fehler begeht, bleibt vorerst nur zu hoffen.
In der Anfang Juni von ihm eroberten irakischen Stadt Mosul führten die
Extremisten erstmals öffentlich die Steinigung eines jungen des
Ehebruchs bezichtigten Mannes durch, zu der sie nach einem Bericht des
irakischen Internetportals „Niqash“ intensiv um Zuschauer geworben
hatten. Die Nachricht von dem grauenvollen Ereignis hatte sich wie ein
Lauffeuer in der Stadt verbreitet und damit vor allem zwei Ziele
erreicht: Ablenkung schwerer militärischer Niederlagen, die IS kurz
zuvor gegen die von der US-Luftwaffe unterstützten kurdischen
Peschmerga, wie auch die irakische Armee einstecken mußte; und
Einschüchterung der von ihr kontrollierten Bevölkerung. Das selbe Ziel
verfolgte auch die Enthauptung eines Peschmerga, sowie eines
libanesischen Soldaten, der in westlichen Medien nur geringe
Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Diese ebenfalls in Videos festgehaltenen
und verbreiteten Morde bezweckten vor allem die Demoralisierung der
kurdischen Kämpfer, wie der libanesischen Streitkräfte, denn der Aufbau
einer weiteren Basis, neben Irak und Syrien nun auch im Libanon, zählt
zu den nächsten IS-Zielen. Zudem hat IS nun auch mit der Rekrutierung
von Jihadis im Machtvakuum des afghanisch-pakistanischen Grenzgebietes
begonnen. Und die Verhaftung eines chinesischen Jihadis durch irakische
Sicherheitskräfte lässt erkennen, wie weit IS-Lockrufe bereits in die
Welt dringen. Nach Aussagen des chinesischen Sondergesandten für den
Mittleren Osten, Wu Sike, dürften derzeit rund hundert chinesische
Bürger, überwiegend muslimische Uighuren aus der entlegenen Westprovinz
Xinjiang, in den Reihen von IS kämpfen, gemeinsam mit rund 12.000
Jihadis aus etwa 50 Staaten.
Ob der beispiellose Terror von IS kampfbereite junge Moslems
abschreckt oder anzieht, weil sie dies als Stärke interpretieren, muss
sich erst zeigen. Weniger fanatisierte Sympathisanten dürften scharf
formulierte Fetwas (islamische Rechtsgutachten) gegen IS, wie etwa jenes
der höchsten sunnitischen Autorität, der „Al-Azhar“ in Kairo oder
führender saudischer Theologen, die IS als „Erzfeind des Islam“
brandmarken, beeinflussen. Sie könnten eine theologische Diskussion
auslösen, die mittelfristig die Glaubwürdigkeit von IS untergraben
würde. Doch den führenden IS-Kämpfern im Irak und in Syrien geht es
darum, ihre Machtansprüche durch Missbrauch der Religion durchzusetzen.
Je mehr ihnen das gelingt, desto größer werden die Existenzängste
insbesondere der arabischen Ölmonarchen am Persischen Golf. Denn, so
mahnt der politische Analyst Ayed al-Manaa in Kuwait: „IS als Ideologie
gibt es nicht nur im Irak und in Syrien, sie ist auch bei uns (in den
Golfstaaten) präsent und wartet nur auf die Gelegenheit, sich zu
offenbaren. Wir leben in höchster Gefahr.“ Auch der saudische König
Abdullah warnt: „Wenn wir sie (IS) ignoriere, dann bin ich sicher, dass
sie in einem Monat Europa und in einem weiteren Amerika erreichen
werden.“
Westliche Führer werfen insbesondere Saudi-Arabien, Katar und
Kuwait vor, die Augen vor der jahrelangen finanziellen Unterstützung
radikaler sunnitischer Islamisten durch reiche Bürger ihrer Staaten zu
verschließen. Die sechs Staaten des Golfkooperationsrates begruben nun
in Panik ihre schweren internen Zwiste (wegen der entschlossenen
Unterstützung Katars für die Moslembruderschaft in Ägypten und Syrien),
um geschlossen gegen diesen zunehmend als existentielle Gefahr
gewerteten IS gemeinsam unter US-Führung zu agieren. Die Vereinigten
Arabischen Emirate (VAE) drängen auf Bildung einer internationalen
Koalition gegen den Terror in der Region, deren Strategie nicht in Irak
und Syrien enden dürfe, sondern dem ‚“gesamten Terrorphänomen von Libyen
bis zum Yemen“ zu Leibe rücken müsse. Dabei beginnen sich zunehmend
festgefahrene Fronten aufzuweichen. Eine Annäherung zwischen den
Erzrivalen um die Vorherrschaft in der Region, wie in der gesamten
islamischen Welt – Iran und Saudi-Arabien – erscheint zunehmend
wahrscheinlich, während erstmals der Iran und die USA im Irak auf einer
Seite kämpften. Einheiten der iranischen Quds-Brigaden, von Washington
jahrzehntelang als eine der gefährlichsten Terrororganisation
eingestuft, trugen in der Vorwoche, unterstützt durch US-Luftangriffe,
entscheidend zur Befreiung der von IS eingeschlossenen irakischen Stadt
Armeli bei – vielleicht der deutlichste Beweis, wie stark die Bedrohung
durch IS die Einschätzung von „Freund und Feind“ plötzlich verändert.
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