Dienstag, 19. August 2014

„Islamischer Staat“ verliert an Boden im Irak

Kann der erste große militärische Erfolg einen Wendepunkt im Kampf die mörderische Terrororganisation einleiten?
 
von Birgit Cerha
 
Im terrorgequälten Irak keimt neue Hoffnung auf. Die größte Gefahr – Überschwemmungen gigantischen Ausmaßes – ist gebannt, seit es kurdischen Peschmerga-Kämpfern, unterstützt von US-Kampfflugzeugen und unbemannten Dronen, gelang, die Terroristen des „Islamischen Staates“ (IS) vom Mosul-Staudamm zu verjagen. Dieser erste große militärische Erfolg gegen die sunnitischen Fanatiker hat den legendären Mut und Kampfgeist der Peschmerga wieder geweckt, nachdem sie vor der militärischen Übermacht der IS zurückgewichen waren und die schutzlosen Minderheiten der Christen und Yeziden blindwütigem Morden überlassen hatten. US-Hilfe aus der Luft und neue Waffen, Versprechungen weiterer Rüstungsgüter durch europäische Staaten stärken nun ihre Entschlossenheit, Iraks zweitgrößte Stadt, Mosul, die IS im Juni unter ihre Kontrolle gezwungen hatte, als nächstes zu befreien – ein äußerst schwieriges Unterfangen, dessen Erfolg keineswegs sicher ist.
Auch in der irakischen Armee, die angesichts des rasanten Vormarsches von IS kläglich auseinandergefallen war, zeigen sich erste Anzeichen eines Stimmungsumschwungs, seit Maliki seinen Anspruch auf eine dritte Amtsperiode als Premier aufgegeben hat, die Chance auf eine Regierung der nationalen Einheit und damit die Bereitschaft für den Kampf zur Rettung des Staates  gewachsen ist. So haben die Regierungstruppen, allerdings ohne US-Unterstützung,  eine Offensive zur Rückeroberung der von IS seit 11. Juni kontrollierten Heimatstadt des gestürzten Diktators Saddam Hussein, Tikrit, begonnen. Diese nur 130 km nördlich von Bagdad gelegene Sunniten-Hochburg besitzt große strategische Bedeutung für den Schutz von Bagdad.
Mit seiner barbarischen Mischung aus Brutalität, Bigotterie, Organisationstalent, strategischer Klugheit und militärischer Effizienz, hat IS derartige Schrecken verbreitet, dass sich langjährige lokale, regionale und internationale Gegner plötzlich an einer Front finden: irakische Kurden und Schiiten, wie eine wachsende Zahl von Sunniten; die USA kämpft gegen IS ebenso wie der Iran, dessen regionaler Erzfeind Saudi-Arabien diese islamistischen Fanatiker genauso fürchtet, wie der von Riad und von IS bekämpfte syrische Präsident Assad. Irakische Medien berichten, dass die sich  zur Verteidigung des schwerbedrängten Assad in Syrien als besonders schlagkräftig erwiesenen „Quds“-Einheit der iranischen Revolutionsgarden Kampffahrzeuge und Kämpfer in die nordöstliche irakische Provinz Diyala gebracht hätte, um die Peschmerga bei der Eroberung der seit mehr als einer Woche von IS kontrollierten Stadt Jalawla zu unterstützen. Jalawla liegt nur 50 km von der iranischen Grenze entfernt und stellt einen besonderen Schwachpunkt in der Verteidigungslinie des autonomen irakischen Kurdistan dar. Das Näherrücken des IS an die Grenze alarmiert Teheran, da diese fanatischen Sunniten ihre schiitischen Glaubensbrüder als Häretiker verachten und tödlich bedrohen. Dennoch zeigen die Iraner in der derzeitigen Krise große militärische Zurückhaltung, aus Sorge wohl, sie könnten Iraks Sunniten, die den starken Einfluss des östlichen Nachbarn entschieden ablehnen,  noch mehr in die Arme von IS treiben. Iranisches Einschreiten soll nach jüngsten Informationen aus der Region sogar indirekt mit den Amerikanern abgesprochen sein.
Hilfe von außen, insbesondere US-Luftangriffe zum Schutz der angreifenden Bodentruppen, wie so erfolgreich im Kampf um den Mosul-Damm praktiziert, sind für weitere Geländegewinne unerlässlich: Unabhängige Militärbeobachter beklagen ebenso wie Vertreter der irakischen Streitkräfte, deshalb das Fehlen einer klaren längerfristigen US-Strategie. Denn IS ist im zentralen überwiegend sunnitischen Teil des Iraks so fest verankert, dass lokale Kräfte ohne massive Unterstützung von außen diese strategisch so wichtigen Gebiete nicht wieder erobern können. Zudem ist der Konflikt längst grenzüberschreitend. Während IS im Irak rasante Geländegewinne erzielten, konnte er allein im Juli in Syrien 6000 neue Jihadis rekrutieren. Doch auch dort gerät er in Bedrängnis. Während IS in der größten Stadt des Landes, Aleppo, und deren Umgebung die pro-westlichen Rebellen mehr und mehr zurückdrängte, nützte Assad in den vergangenen Tagen die Chance, sich als Mitstreiter im internationalen Anti-Terrorkrieg zu präsentieren und bombardierte erstmals seit vielen Monaten intensiv das IS-Hauptquartier in der syrischen Stadt Raqqa. Die Entwicklung illustriert deutlich das schwere Dilemma dieses Krieges für die USA und den Westen, die den Sturz Assads seit drei Jahren betreiben. Während Assad den gemeinsamen Feind IS attackiert, appellieren die gemäßigten Rebellen an die USA, doch auch in Syrien, wie eben im Irak, eine von ihnen geführte Bodenoffensive durch Luftattacken zu verstärken.
Und ungeachtet der globalen Gefahr, die von diesen extrem brutalen Terroristen ausgeht, droht ein massives militärisches Eingreifen der USA und vielleicht auch der ehemaligen Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich die antiwestliche Stimmung in der Region derart zu steigern, dass sich der Kampf gegen IS als Bumerang erweisen könnte. Alles spricht dafür, dass sich US-Präsident Obama dieses enormen Risikos voll bewusst ist. Bleibt höchstens die Hoffnung, dass IS durch den Kampf an so vielen Fronten der Atem ausgeht.
 

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