Kann der erste große militärische Erfolg einen Wendepunkt im Kampf die mörderische Terrororganisation einleiten?
von Birgit Cerha
Im
terrorgequälten Irak keimt neue Hoffnung auf. Die größte Gefahr –
Überschwemmungen gigantischen Ausmaßes – ist gebannt, seit es kurdischen
Peschmerga-Kämpfern, unterstützt von US-Kampfflugzeugen und unbemannten
Dronen, gelang, die Terroristen des „Islamischen Staates“ (IS) vom
Mosul-Staudamm zu verjagen. Dieser erste große militärische Erfolg gegen
die sunnitischen Fanatiker hat den legendären Mut und Kampfgeist der
Peschmerga wieder geweckt, nachdem sie vor der militärischen Übermacht
der IS zurückgewichen waren und die schutzlosen Minderheiten der
Christen und Yeziden blindwütigem Morden überlassen hatten. US-Hilfe aus
der Luft und neue Waffen, Versprechungen weiterer Rüstungsgüter durch
europäische Staaten stärken nun ihre Entschlossenheit, Iraks zweitgrößte
Stadt, Mosul, die IS im Juni unter ihre Kontrolle gezwungen hatte, als
nächstes zu befreien – ein äußerst schwieriges Unterfangen, dessen
Erfolg keineswegs sicher ist.
Auch
in der irakischen Armee, die angesichts des rasanten Vormarsches von IS
kläglich auseinandergefallen war, zeigen sich erste Anzeichen eines
Stimmungsumschwungs, seit Maliki seinen Anspruch auf eine dritte
Amtsperiode als Premier aufgegeben hat, die Chance auf eine Regierung
der nationalen Einheit und damit die Bereitschaft für den Kampf zur
Rettung des Staates gewachsen ist. So haben die Regierungstruppen, allerdings ohne US-Unterstützung, eine
Offensive zur Rückeroberung der von IS seit 11. Juni kontrollierten
Heimatstadt des gestürzten Diktators Saddam Hussein, Tikrit, begonnen.
Diese nur 130 km nördlich von Bagdad gelegene Sunniten-Hochburg besitzt
große strategische Bedeutung für den Schutz von Bagdad.
Mit
seiner barbarischen Mischung aus Brutalität, Bigotterie,
Organisationstalent, strategischer Klugheit und militärischer Effizienz,
hat IS derartige Schrecken verbreitet, dass sich langjährige lokale,
regionale und internationale Gegner plötzlich an einer Front finden:
irakische Kurden und Schiiten, wie eine wachsende Zahl von Sunniten; die
USA kämpft gegen IS ebenso wie der Iran, dessen regionaler Erzfeind
Saudi-Arabien diese islamistischen Fanatiker genauso fürchtet, wie der
von Riad und von IS bekämpfte syrische Präsident Assad. Irakische Medien
berichten, dass die sich zur
Verteidigung des schwerbedrängten Assad in Syrien als besonders
schlagkräftig erwiesenen „Quds“-Einheit der iranischen Revolutionsgarden
Kampffahrzeuge und Kämpfer in die nordöstliche irakische Provinz Diyala
gebracht hätte, um die Peschmerga bei der Eroberung der seit mehr als
einer Woche von IS kontrollierten Stadt Jalawla zu unterstützen. Jalawla
liegt nur 50 km von der iranischen Grenze entfernt und stellt einen
besonderen Schwachpunkt in der Verteidigungslinie des autonomen
irakischen Kurdistan dar. Das Näherrücken des IS an die Grenze alarmiert
Teheran, da diese fanatischen Sunniten ihre schiitischen Glaubensbrüder
als Häretiker verachten und tödlich bedrohen. Dennoch zeigen die Iraner
in der derzeitigen Krise große militärische Zurückhaltung, aus Sorge
wohl, sie könnten Iraks Sunniten, die den starken Einfluss des östlichen
Nachbarn entschieden ablehnen, noch
mehr in die Arme von IS treiben. Iranisches Einschreiten soll nach
jüngsten Informationen aus der Region sogar indirekt mit den Amerikanern
abgesprochen sein.
Hilfe
von außen, insbesondere US-Luftangriffe zum Schutz der angreifenden
Bodentruppen, wie so erfolgreich im Kampf um den Mosul-Damm praktiziert,
sind für weitere Geländegewinne unerlässlich: Unabhängige
Militärbeobachter beklagen ebenso wie Vertreter der irakischen
Streitkräfte, deshalb das Fehlen einer klaren längerfristigen
US-Strategie. Denn IS ist im zentralen überwiegend sunnitischen Teil des
Iraks so fest verankert, dass lokale Kräfte ohne massive Unterstützung
von außen diese strategisch so wichtigen Gebiete nicht wieder erobern
können. Zudem ist der Konflikt längst grenzüberschreitend. Während IS im
Irak rasante Geländegewinne erzielten, konnte er allein im Juli in
Syrien 6000 neue Jihadis rekrutieren. Doch auch dort gerät er in
Bedrängnis. Während IS in der größten Stadt des Landes, Aleppo, und
deren Umgebung die pro-westlichen Rebellen mehr und mehr zurückdrängte,
nützte Assad in den vergangenen Tagen die Chance, sich als Mitstreiter
im internationalen Anti-Terrorkrieg zu präsentieren und bombardierte
erstmals seit vielen Monaten intensiv das IS-Hauptquartier in der
syrischen Stadt Raqqa. Die Entwicklung illustriert deutlich das schwere
Dilemma dieses Krieges für die USA und den Westen, die den Sturz Assads
seit drei Jahren betreiben. Während Assad den gemeinsamen Feind IS
attackiert, appellieren die gemäßigten Rebellen an die USA, doch auch in
Syrien, wie eben im Irak, eine von ihnen geführte Bodenoffensive durch
Luftattacken zu verstärken.
Und
ungeachtet der globalen Gefahr, die von diesen extrem brutalen
Terroristen ausgeht, droht ein massives militärisches Eingreifen der USA
und vielleicht auch der ehemaligen Kolonialmächte Großbritannien und
Frankreich die antiwestliche Stimmung in der Region derart zu steigern,
dass sich der Kampf gegen IS als Bumerang erweisen könnte. Alles spricht
dafür, dass sich US-Präsident Obama dieses enormen Risikos voll bewusst
ist. Bleibt höchstens die Hoffnung, dass IS durch den Kampf an so
vielen Fronten der Atem ausgeht.
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