Sonntag, 17. August 2014

„Entweder der ‚Islamische Staat‘ oder die Flut“

Die Rückeroberung des größten irakischen Staudamms, dieser tickenden Zeitbombe, ist höchste Priorität der USA und der kurdischen Peschmerga-Kämpfer
von Birgit Cerha
Unterstützt durch die stärksten Luftangriffe der USA auf Positionen der Terroristen des „Islamischen Staates“ (IS) seit Beginn des erneuten amerikanischen Militärengagements im Irak, begannen kurdische Peschmerga-Kämpfer Sonntag mit einer Bodenoffensive zur Rückeroberung des größten irakischen Staudammes. Von IS gelegte Sprengkörper und Minen erschweren den Vormarsch. Zudem müssen die Bodentruppen zuerst noch einige kleinere Städte in der Umgebung unter ihre Kontrolle bringen, bevor sie den eigentlichen Kampf um den Damm starten können.  
IS hatte die 50 km nördlich von Mosul gelegene Talsperre am 7. August unter seine Kontrolle gebracht und damit Ängste vor einer Überschwemmung biblischen Ausmaßes heraufbeschworen. Nach amerikanischen Quellen räumten die USA und die Kurden der Rückeroberung des Dammes allerhöchste Priorität ein, nachdem ihre Geheimdienste festgestellt hatten, dass IS noch nicht in der Lage sei, die für die Strom- und Wasserversorgung des Nord-Iraks so entscheidende Installation in die Luft zu sprengen.  Dass eine solche Aktion durchaus Teil der IS-Kriegsstrategie sei, drohten die Terroristen auf der Titelseite der zweiten Ausgabe ihres Online-Magazins „Dabique“ an, die kurz nach der Eroberung des Mosul-Damms erschien. „Entweder der Islamische Staat oder die Flut“ lautet der Aufmachertitel des Pamphlets, das die Bestrafung von Sündern durch Ertrinken in einer Überschwemmung gigantischen Ausmaßes, vielleicht „der zweiten Sintflut“, androht.
Nach einer 2009 veröffentlichten Studie von zwei Professoren der Universität Mosul könnte ein katastrophaler Dammbruch  bis zu zwölf Milliarden Kubikmeter Wasser freilassen und Iraks zweitgrößte Stadt mehr als 20 Meter und selbst Bagdad fünf Meter  unter Wasser setzen und Hunderte Quadratkilometer Farmland vernichten. US-Experten hatten bereits zuvor gewarnt, dass sich eine 20 Meter hohe Flutwelle bis zum Persischen Golf wälzen und an die 500.000 Menschen mit sich in den Tod reißen könnte.
„Wenn IS Bagdad erobern will, könnten derartige Wassermassen die dafür nötige Destabilisierung erreichen“, meint ein Anti-Terrorexperte. Zudem versorgen die Turbinen des Dammes, der 7mit 131 Meter Höhe und 3,5 km Länge einer der größten der Welt ist, nicht nur die 1,7-Millionen-Stadt Mosul, sondern auch weite Landesteile. So können die Terroristen auch durch Stromabschaltungen die Bevölkerung und0 die neue Führung in Bagdad massiv unter Druck setzen. Solange IS aber Mosul kontrolliert, wird er keine apokalyptische Flutwelle auslösen, durch die er seinen strategischen Zielen enorm schaden würde. Doch den Versuch einer militärischen Rückeroberung Mosuls können Amerikaner und Iraker nicht wagen, solange IS die Zeitbombe des Staudamms in Händen hält.
Dass IS tatsächlich Wasser als Waffe einsetzt, hat er bereits in der am 24. Januar eroberten Stadt Falludscha bewiesen. Er brachte einen nahegelegenen Staudamm unter seine Kontrolle, schloss und öffnete dessen zehn Schleusen mindestens zweimal und setzte so einen beträchtlichen Teil der Provinz Anbar unter Wasser. Damit trieben die Terroristen Tausende Menschen in die Flucht.
Vorerst funktioniert nach Berichten aus der Region der Mosul-Damm, trotz der Flucht vieler Arbeiter noch reibungslos. Vor allem einer der engagiertesten Manager der Installation harrt weiterhin aus. Doch selbst wenn Isis den Damm nicht in die Luft sprengt, droht von ihm gigantische Gefahr. Damit die Mauern nicht bersten, bedarf es regelmäßiger, fachkundlicher Wartung. Denn Experten stellten schon vor Jahren fest, dass der Mosul-Damm der „gefährlichste der Welt“ ist. Er wurde in den 1980er Jahren auf wasserlöslichem Kalkstein erbaut und schon bald bildeten sich Risse. Ingenieure der US-Besatzungsarmee richteten 2007 eine dringende Warnung an die Führung in Bagdad, dass das Erosionspotential des Fundaments ein „inakzeptables Risiko“ darstelle. Doch die irakische Regierung verharmloste die Gefahr. Erst 2011 wurde ein Vorvertrag zu einer sechsjährigen Sanierung des Dammes mit dem deutschen Spezialtiefbauer „Bauer AG“ in Höhe von 1,9 Mrd. Euro unterzeichnet.  Doch die Arbeiten konnten wegen der Turbulenzen im Irak nicht begonnen werden.

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