18 Monate Abwesenheit des irakischen Präsidenten hatten eine
empfindliche Lücke hinterlassen – Kann Jalal Talabani einen Weg aus der
„historischen Krise“ finden?
von Birgit Cerha
Lange erwartet, von vielen ersehnt und von noch vielen mehr kaum
mehr erhofft, kehrte Iraks Präsident Jalal Talabani nach 18 Monaten der
Rehabilitation in Deutschland am Wochenende in seine irakisch-kurdische
Heimat zurück. Der Zeitpunkt dieser Heimkehr lässt den Schluss zu, dass
der von einem schweren Schlaganfall gezeichnete Kurde sein
außerordentliches politisches Geschick dem Irak in der vielleicht
schwersten Krise seiner Geschichte und auch den Kurden in einer
schicksalhaften Stunde nicht vorenthalten will. Der irakische Staat
steht nach rasanten Geländegewinnen arabisch-sunnitischer Rebellen unter
Führung der radikalen Jihadisten des „Islamischen Staates“ (IS) am
Rande des Zusammenbruchs, Konflikte zwischen Premier Maliki und der
„Kurdistan Regionalregierung‘“ (KRG) haben sich unlösbar zugespitzt,
während die Hoffnung auf eine immer näher rückende Unabhängigkeit die
Menschen im autonomen Kurdistan in Hochstimmung versetzt.
Nicht nur in Bagdad, auch in seiner engsten kurdischen Heimat ist
der begabte Schlichter dringend gefragt. Die Kurden müssen bei der
nächsten Parlamentssitzung einen Kandidaten für Talabanis Nachfolge als
Staatspräsidenten nominieren. Nach einem zwischen den
Bevölkerungsgruppen geschlossenen Abkommen über die Machtaufteilung im
Irak steht den Kurden das Amt des Staatspräsidenten zu und Talabanis
„Patriotische Union Kurdistans“ (PUK) ist nach interner Übereinkunft
unter den Kurden wieder am Zug. Doch interne Rivalitäten blockieren eine
Einigung. Der sodann vom Parlament gewählte Präsident muss so rasch wie
möglich einen Premier bestellen, der Iraks Führung endlich aus ihrer
Handlungsunfähigkeit reißen sollte. Doch Maliki will nach dem knappen
Wahlsieg seiner Allianz im April ungeachtet massiven Drucks von Innen
und Außen nicht auf eine dritte Amtsperiode verzichten. Bleibt der wegen
seines autokratischen Stils, massiver Korruption, Nepotismus und
gravierender Diskriminierung der arabisch-sunnitischen Minderheit
weithin verhasste Maliki im Amt, erscheint eine Spaltung des Landes, ein
weiterer Vormarsch von „IS“ und ein blutiges Chaos mit unabsehbaren
Folgen schier unvermeidlich.
Was kann in dieser Situation ein Mann selbst von der
charismatischen Statur Talabanis überhaupt tun? Ein Blick zurück in die
vergangenen 18 Monate lässt den Schluss zu, dass der 80-Jährige von
seinen Anhängern liebevoll „Mam (Onkel) Jalal“ genannt, wahrscheinlich
den totalen Bruch zwischen den arabischen Sunniten und der Regierung
unter Maliki Regime verhindert hätte. „Wir werden niemals Talabanis
Rolle vergessen“, er habe die Einigkeit der Iraker und der politischen
Parteien ermöglicht“, betont Alia Nasif Jasim, Parlamentsabgeordnete von
Malikis „Rechtsstaats-Allianz“. „Wir haben ihn vermisst“ und bräuchten
ihn „zur Versöhnung der rivalisierenden politischen Parteien“.
Der 1933 im ostkurdischen Bergdorf Kalkan geborene Jurist aus einer
Familie von Qādirīya-Scheichs hatte fast sein gesamtes
Erwachsenenleben dem militärischen und politischen Kampf um
Selbstbestimmung der Kurden gewidmet, dabei auch schwere interne
Konflikte mit dem legendären Kurdenführer Mulla Mustafa Barzani und
später mit dessen Sohn und heutigen Präsidenten des autonomen Kurdistan,
Massoud Barzani geführt, bis er 2005 mit großer Mehrheit an die Spitze
jenes irakischen Staates gewählt wurde, von dem er seine Heimat
Kurdistan so lange loszubrechen gesucht hatte. Und dann erwies sich der
einzige nicht-arabische Staatschef eines arabischen Landes als
eindrucksvoller Staatsmann, unverzichtbarer Vermittler und Schlichter.
Freunde schreiben seine politischen Erfolge nicht nur seiner langen
Erfahrung im militärischen Kampf und im politischen Ränkespiel zwischen
den gegensätzlichen regionalen und internationalen Mächten – den
Sowjets, den Amerikanern, den Türken, den Iranern, den Arabern und
kurdischen Rivalen wie Gegnern – zu, sondern auch seinem Charakter und
seiner charismatischen Persönlichkeit. Gesellig, optimistisch und
tatkräftig, verfügt er über einen reichen Humor, die Begabung, über sich
selbst zu lachen oder durch einen Scherz hochangespannte Situationen zu
neutralisieren und seine Umgebung in seinen Bann zu ziehen. Sein
lebenslanger Kampf gegen Diktatur gewann ihm weithin Achtung.
Talabani kann, nach Einschätzung des führenden US-Diplomaten Peter
Galbraith als vielleicht der einzige Politiker im heutigen Irak „mit
allen reden“, gleichgültig welche Bevölkerungsgruppe sie vertreten. Und
der in Bagdad stationierte Analyst Hadi Jalo würdigt die unter
Politikern der Region seltene Überzeugung des zur nationalen Vaterfigur
gemauserten Guerillaführers, dass „Zugeständnisse an andere“ zur Rettung
des Landes „keine persönliche Demütigung“ bedeuteten.
Wiewohl laut Verfassung weitgehend nur mit zeremoniellen Befugnisse
ausgestattet, nutzte Talabani sein Amt intensiv zur Schlichtung von
Konflikten, während er sich unermüdlich, wiewohl mit mäßigem Erfolg, für
die Durchsetzung der in der Verfassung garantierten Rechte der Kurden
einsetzte. Nach einem die kurdische Gemeinschaft schockierenden
Bruderkrieg mit der „Demokratischen Partei Kurdistans“ unter Massoud
Barzani in den 1990er Jahren schlossen Talabani und Barzani nach dem
Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein 2003 eine enge
Arbeitsbeziehung und Machtaufteilung in Kurdistan. Heute ist Talabanis
begabter Sohn Qubad stellvertretender KRG-Premierminister .
In den Jahren der politischen Kooperation gewann Talabani Malikis
Bewunderung und Achtung und versuchte wiederholt erfolgreich den Weg des
Premiers zum neuen Diktator am Tigris zu blockieren. Galbraith
identifizierte als eines der größten Probleme der langen Abwesenheit
Talabanis, dass damit die „Kontrolle über Maliki“ wegfiel. Maliki habe
es in Talabanis Gegenwart nicht gewagt, seinen diktatorischen Ambitionen
freien Lauf zu lassen. Er vermittelte im Konflikt zwischen Bagdad und
den Kurden, erreichte etwa den Abzug der Peschmerga (kurdischen Truppen)
aus der umstrittenen Ölstadt Kirkuk, versuchte aber sogar auch
Konflikte innerhalb der schiitischen Gemeinschaft zu schlichten. Am
empfindlichsten spürten Talabanis Abwesenheit die arabischen Sunniten,
mit deren Stammesführern er noch vor seinem Amtsantritt versöhnliche
Gespräche geführt hatte. Offen zeigte er sich 2005 tief beunruhigt über
schiitische Todesschwadrone, die auf arabische Sunniten zielten. 2012
blockierte er allerdings einen Versuch, Maliki im Parlament durch ein
Misstrauensvotum zu stürzen. Er versuchte damit nach Einschätzung von
Analysten einen potentiell destabilisierenden aber wenig
aussichtsreichen Machtkampf zu beenden. Er weigerte sich aus Überzeugung
Todesurteile gegen Angehörige des Saddam-Regimes zu unterzeichnen.
Auch in den schwierigen internationalen und regionalpolitischen
Beziehungen zeigte Talabani beträchtliches diplomatisches Geschick.
Kritiker werfen ihm Prinzipienlosigkeit und Opportunismus vor. Der
amerikanische Nahostexperte und Verfechter eines aggressiven
außenpolitischen Kurses, Michael Rubin beschreibt „dunkle Seiten“
Talabanis: Er sei „pro-amerikanisch gegenüber Amerikanern, pro-iranisch
gegenüber dem Iran und sogar pro-türkisch gegenüber der Türkei“. Nach
dem Sturz Saddams 2003 entdeckten die Amerikaner im Hauptquartier der
Baathpartei des Diktators Dokumente, die zeigten, dass Talabani
wiederholt mit Saddam kollaborierte und zahlreiche seiner engsten
Mitarbeiter auf der Gehaltsliste dieses Massenmörders an den Kurden
standen. Während des Bürgerkrieges zwischen Schiiten und arabischen
Sunniten (2004-07) hatte Talabani enge Kontakte mit dem Kommandanten der
Quds Brigaden der islamischen Revolutionsgarden, Kassim Suleimani, der
ihn häufig in seinem Bagdader Compound besuchte.
Doch mit Hilfe dieser Kontakte auf allen Seiten gelang es dem
charismatischen Schlichter einen weit größeren Beitrag zum Abflauen des
Krieges zu leisten als der für den massiv verstärkten Einsatz von
US-Truppen verantwortliche und international gepriesene
Oberkommandierende der US-Streitkräfte im Irak, David Petraeus.
Talabanim so Gailbroth??, „ist ein unbesungener Held“. Seines Talents
und seines Engagements bedarf das gequälte Zweistromland heute mehr denn
je.
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