Montag, 14. Juli 2014

Der Druck auf Maliki wächst

Iraks Premier klammert sich an die Macht und verliert die Kurden, die unverrückbare Fakten schaffen  – Ist die Einheit des Landes noch zu retten?
 
von Birgit Cerha
 
„Es ist nicht unsere Schuld“ wehrt sich der Präsident des autonomen irakischen Kurdistan, Masoud Barzani gegen Kritiker an den jüngsten militärischen und politischen Schritten der Kurdenführung. „Es sind nicht wir, die den Zerfall des Iraks verursachen. Andere tun dies, doch wir können nicht Geiseln des Unbekannten bleiben.“ Die dramatischen Geländegewinne der islamistischen Radikalen des „Islamischen Staates“ (IS) haben der kurdischen Regionalregierung (KRG) im Nord-Irak eine historische Chance eröffnet, die sie mit wachsendem Mut ergreifen. Schritt für Schritt schaffen die Kurden Fakten und bekräftigen zugleich die Entschlossenheit, in Zukunft unverrückbar daran festzuhalten,  an der Kontrolle nämlich des lange von ihnen beanspruchten, heißumstrittenen Ölzentrums Kirkuk, ebenso wie anderer auch von Kurden bewohnter Gebiete außerhalb der autonomen Region und zuletzt der Ölfelder in Kirkuk und Bai Hassan, von denen sie in der Vorwoche die Arbeiter der staatlichen  North Oil Company (NOC) vertrieben hatten. Die beiden Ölfelder haben eine Produktionskapazität von rund 450.000 Barrel im Tag, doch seit März können nach einem Sabotageakt an der Export-Pipeline von Kirkuk zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan nur kleine Mengen gefördert werden. Dennoch können diese Quellen längerfristig die Basis für ökonomische Selbständigkeit der Kurdenregion bilden. Vorerst gibt es dabei aber noch beträchtliche technische Probleme für einen sicheren Transport zum Verladehafen in der Türkei zu überwinden.
Unabhängige Analysten aber sind sich einig: Noch nie in ihrer langen qualvollen Geschichte standen Iraks Kurden der Erfüllung ihres sehnlichsten Traums, der nationalen Unabhängigkeit, so nahe. Vielen Kurden erscheint es ein „Jetzt endlich oder nie“.  Noch aber haben die Kurden nach Bagdad nicht alle Brücken abgebrochen, wiewohl der lange schwelende Konflikt mit Premier Maliki in selbst für irakische Verhältnisse ungewöhnlicher Härte aufgebrochen ist. Trotz ihrer tiefen Empörung über Malikis Vorwurf, die Kurdenregion beherberge IS-Terroristen und mache gemeinsame Sache mit diesen Radikalen, die nun auch Bagdad unter Herrschaft zwingen wollen, zeigen sich die Kurdenführer zum Gespräch bereit, wenn sich Maliki für diese Anschuldigungen, die auch nach unabhängiger Einschätzung jeglicher Realität entbehren, entschuldigt. Vorerst aber bleiben die kurdischen Minister aus Protest der Regierungsarbeit fern, während Maliki rasch den vom Kurden Hoschiyar Zebari bekleideten Posten des Außenministers durch seinen treuesten Mitstreiter und schärfsten Kurdenkritiker, den stellvertretenden Premier Hussein Shahristani ersetzte.
Dabei verdankt Maliki seinen Aufstieg zum Premier entscheidend den Kurden. Doch im Laufe seiner achtjährigen Regierungszeit hat er die Kurden nicht nur wegen seiner zunehmend autoritären, korrupten und seine schiitischen Mitbürger krass privilegierenden Regierungsstil zutiefst verärgert, sondern vor allem durch einen zunehmenden Zentralismus und die Missachtung von Übereinkünften durch die er sich die politische Unterstützung der Kurden und damit die Macht gesichert hatte. Was Barzani besonders vergrämt ist Malikis Blockade des in der Verfassung verankerten Plans zur Lösung der Konflikte um Kirkuk und der umstrittenen Gebiete, sowie die Verabschiedung eines nationalen Ölgesetzes, das die Förderrechte der Regionen regeln sollte.
Unterdessen schloss die Kurdenführung mit einigen großen internationalen Ölkonzernen, darunter Total und Exxon Mobil zur Empörung Bagdads Explorations- und Förderverträge ab, die eine höchst einträgliche Zukunft versprechen und die Kurden erstmals in ihrer Geschichte von der von Bagdad traditionell eingesetzten Ölwaffe befreien werden.  Aus Ärger über beginnende Ölexporte aus der KRG-Region hatte auch Maliki die in der Verfassung vorgesehene Zahlung von 17 Prozent der nationalen Ölerträge (zwei Mrd. Dollar für das laufende Budgetjahr) an die Kurden eingestellt.
Barzani hat nun erste Schritte zur Durchführung von zwei Referenden gesetzt. In ein, zwei Monaten sollen die Bewohner Kirkuks und der umstrittenen Gebiete über den Anschluss an die KRG-Region entscheiden und im nächsten Jahr über die Unabhängigkeit. Doch Barzani steht unter Druck der USA, nichts zu unternehmen, was den Zerfall des Iraks besiegeln könnte. Auch der Iran, die einflussreichste ausländische Macht im Zweistromland, hat heftigen Widerstand gegen kurdische Unabhängigkeit kundgetan. Hingegen stehen die alten Erzfeinde der Kurden, die Türken, dank großer ökonomischer Interessen im irakischen Kurdistan, einer Sezession wohlwollend gegenüber.
Vorerst aber besitzt die Verteidigung der ökonomisch boomenden Kurdenregion höchste Priorität.  80.000 gut trainierte Peshmerga (kurdische Militäreinheiten) müssen nun eine mehr als 1000 km lange Grenze zum „Islamischen Staat“  absichern. Um das Einsickern der islamistischen Terroristen, die auch die Eroberung von Kirkuk zum Ziel erhoben haben, zu verhindern, haben sie begonnen, einen breiten Graben entlang des gesamten Grenzverlaufs auszuheben. Bisher konnten die Peshmergas in kleineren Gefechten IS-Kämpfer zurückschlagen. Doch Militärexperte hegen Zweifel an ihrer Fähigkeit, einen länger anhaltenden Krieg durchzuhalten. Während IS aus Arsenalen der irakischen Armee moderne Waffen erobert hat, müssen sich die Peshmergas mit älterem Kriegsgerät zur Wehr setzen.  Eine Verständigung mit Bagdad wäre für beide Seiten angesichts der immer noch nicht gebannten Gefahr durch die barbarische IS von entscheidender Bedeutung.

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