Iraks Premier klammert sich an die Macht und verliert die Kurden,
die unverrückbare Fakten schaffen – Ist die Einheit des Landes noch zu
retten?
von Birgit Cerha
„Es ist nicht unsere Schuld“ wehrt sich der Präsident des autonomen
irakischen Kurdistan, Masoud Barzani gegen Kritiker an den jüngsten
militärischen und politischen Schritten der Kurdenführung. „Es sind
nicht wir, die den Zerfall des Iraks verursachen. Andere tun dies, doch
wir können nicht Geiseln des Unbekannten bleiben.“ Die dramatischen
Geländegewinne der islamistischen Radikalen des „Islamischen Staates“
(IS) haben der kurdischen Regionalregierung (KRG) im Nord-Irak eine
historische Chance eröffnet, die sie mit wachsendem Mut ergreifen.
Schritt für Schritt schaffen die Kurden Fakten und bekräftigen zugleich
die Entschlossenheit, in Zukunft unverrückbar daran festzuhalten, an
der Kontrolle nämlich des lange von ihnen beanspruchten,
heißumstrittenen Ölzentrums Kirkuk, ebenso wie anderer auch von Kurden
bewohnter Gebiete außerhalb der autonomen Region und zuletzt der
Ölfelder in Kirkuk und Bai Hassan, von denen sie in der Vorwoche die
Arbeiter der staatlichen North Oil Company (NOC) vertrieben hatten. Die
beiden Ölfelder haben eine Produktionskapazität von rund 450.000 Barrel
im Tag, doch seit März können nach einem Sabotageakt an der
Export-Pipeline von Kirkuk zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan nur
kleine Mengen gefördert werden. Dennoch können diese Quellen
längerfristig die Basis für ökonomische Selbständigkeit der Kurdenregion
bilden. Vorerst gibt es dabei aber noch beträchtliche technische
Probleme für einen sicheren Transport zum Verladehafen in der Türkei zu
überwinden.
Unabhängige Analysten aber sind sich einig: Noch nie in ihrer
langen qualvollen Geschichte standen Iraks Kurden der Erfüllung ihres
sehnlichsten Traums, der nationalen Unabhängigkeit, so nahe. Vielen
Kurden erscheint es ein „Jetzt endlich oder nie“. Noch aber haben die
Kurden nach Bagdad nicht alle Brücken abgebrochen, wiewohl der lange
schwelende Konflikt mit Premier Maliki in selbst für irakische
Verhältnisse ungewöhnlicher Härte aufgebrochen ist. Trotz ihrer tiefen
Empörung über Malikis Vorwurf, die Kurdenregion beherberge
IS-Terroristen und mache gemeinsame Sache mit diesen Radikalen, die nun
auch Bagdad unter Herrschaft zwingen wollen, zeigen sich die
Kurdenführer zum Gespräch bereit, wenn sich Maliki für diese
Anschuldigungen, die auch nach unabhängiger Einschätzung jeglicher
Realität entbehren, entschuldigt. Vorerst aber bleiben die kurdischen
Minister aus Protest der Regierungsarbeit fern, während Maliki rasch den
vom Kurden Hoschiyar Zebari bekleideten Posten des Außenministers durch
seinen treuesten Mitstreiter und schärfsten Kurdenkritiker, den
stellvertretenden Premier Hussein Shahristani ersetzte.
Dabei verdankt Maliki seinen Aufstieg zum Premier entscheidend den
Kurden. Doch im Laufe seiner achtjährigen Regierungszeit hat er die
Kurden nicht nur wegen seiner zunehmend autoritären, korrupten und seine
schiitischen Mitbürger krass privilegierenden Regierungsstil zutiefst
verärgert, sondern vor allem durch einen zunehmenden Zentralismus und
die Missachtung von Übereinkünften durch die er sich die politische
Unterstützung der Kurden und damit die Macht gesichert hatte. Was
Barzani besonders vergrämt ist Malikis Blockade des in der Verfassung
verankerten Plans zur Lösung der Konflikte um Kirkuk und der
umstrittenen Gebiete, sowie die Verabschiedung eines nationalen
Ölgesetzes, das die Förderrechte der Regionen regeln sollte.
Unterdessen schloss die Kurdenführung mit einigen großen
internationalen Ölkonzernen, darunter Total und Exxon Mobil zur Empörung
Bagdads Explorations- und Förderverträge ab, die eine höchst
einträgliche Zukunft versprechen und die Kurden erstmals in ihrer
Geschichte von der von Bagdad traditionell eingesetzten Ölwaffe befreien
werden. Aus Ärger über beginnende Ölexporte aus der KRG-Region hatte
auch Maliki die in der Verfassung vorgesehene Zahlung von 17 Prozent der
nationalen Ölerträge (zwei Mrd. Dollar für das laufende Budgetjahr) an
die Kurden eingestellt.
Barzani hat nun erste Schritte zur Durchführung von zwei Referenden
gesetzt. In ein, zwei Monaten sollen die Bewohner Kirkuks und der
umstrittenen Gebiete über den Anschluss an die KRG-Region entscheiden
und im nächsten Jahr über die Unabhängigkeit. Doch Barzani steht unter
Druck der USA, nichts zu unternehmen, was den Zerfall des Iraks
besiegeln könnte. Auch der Iran, die einflussreichste ausländische Macht
im Zweistromland, hat heftigen Widerstand gegen kurdische
Unabhängigkeit kundgetan. Hingegen stehen die alten Erzfeinde der
Kurden, die Türken, dank großer ökonomischer Interessen im irakischen
Kurdistan, einer Sezession wohlwollend gegenüber.
Vorerst aber besitzt die Verteidigung der ökonomisch boomenden
Kurdenregion höchste Priorität. 80.000 gut trainierte Peshmerga
(kurdische Militäreinheiten) müssen nun eine mehr als 1000 km lange
Grenze zum „Islamischen Staat“ absichern. Um das Einsickern der
islamistischen Terroristen, die auch die Eroberung von Kirkuk zum Ziel
erhoben haben, zu verhindern, haben sie begonnen, einen breiten Graben
entlang des gesamten Grenzverlaufs auszuheben. Bisher konnten die
Peshmergas in kleineren Gefechten IS-Kämpfer zurückschlagen. Doch
Militärexperte hegen Zweifel an ihrer Fähigkeit, einen länger
anhaltenden Krieg durchzuhalten. Während IS aus Arsenalen der irakischen
Armee moderne Waffen erobert hat, müssen sich die Peshmergas mit
älterem Kriegsgerät zur Wehr setzen. Eine Verständigung mit Bagdad wäre
für beide Seiten angesichts der immer noch nicht gebannten Gefahr durch
die barbarische IS von entscheidender Bedeutung.
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