Freitag, 20. Juni 2014

Die geheime Macht im Irak

Irans gefährlichster General rüstet zum Großangriff auf ISIS – Lässt auch Teheran Maliki fallen?
 
von Birgit Cerha
 
Während sich in Washington die Anzeichen verstärken, dass Präsident Obama militärische Hilfe im Kampf gegen die sunnitischen Extremisten der ISIS (Islamischer Staat des Iraks und Syriens) an das Ausscheiden des heißumstrittenen irakischen Premiers Maliki knüpft, zeigt sich dieser entschlossen, weder zu resignieren, noch amerikanischem Drängen nachzugeben und den frustrierten arabisch-sunnitischen Mitbürgern die Hand zur Versöhnung entgegen zu strecken. Ganz im Gegenteil. Maliki kündigt scharfe Maßnahmen gegen sunnitische Politiker und Offiziere an, die er als „Verräter“ brandmarkt und beschuldigt sunnitische Nachbarländer, allen voran Saudi-Arabien, die Gewalt im Land zu schüren.
Wiewohl ISIS vor den Toren Bagdads steht, ihr Vormarsch bisher nicht entscheidend gestoppt werden konnte und die dringend benötigte Hilfe aus Washington ausbleibt, lässt sich der schwerbedrängte Premier nicht einschüchtern. Denn Maliki kann sich auf eine geheime Kraft im Lande stützen, die sich seiit dem Sturz von Diktator Saddam Hussein 2003 als die stärkste erwies:  „Al Quds“unter dem Kommando Qasem Suleimanis. Dieser iranische General eilte gleich nach der Eroberung Mosuls und Tikrits durch ISIS in der Vorwoche mit einer Gruppe führender Offiziere der „Al Quds“-Brigaden nach Bagdad, um eine Strategie für den Kampf gegen diese sunnitische Terrororganisation zu erarbeiten. Er untermauerte damit wiederholte Beteuerungen Präsident Rouhanis, der Iran werde alles tun, um den Vormarsch von ISIS im Irak zu stoppen, wo sich die „Islamische Republik“ so plötzlich auf einer Seite mit ihrem traditionellen Erzfeind USA im Kampf gegen den Terror sunnitischer Fanatiker sieht. Washington und Teheran wiesen unterdessen zwar Spekulationen über eine Kooperation gegen ISIS zurück. Doch eine derartige – geheime - Zusammenarbeit wäre gar nicht so außergewöhnlich. Zuletzt hatten die Iraner Teheran 2001 den USA entscheidende Hilfe beim Krieg zum Sturz der Taliban in Afghanistan geleistet.
Der Irak ist für den Iran aus mehreren Gründen von zentralem Interesse. Jahrzehntelang hatte sich das Land nicht von dem von Saddam Hussein begonnenen, ungeheuer verlustreichen Krieg (1980-88) erholt. Eine erneute Kriegsgefahr aus dem Westen zu bannen, zählte seither zu Teherans wichtigsten strategischen Zielen. Nach dem Sturz Saddams durch eine von den USA geführte Invasion investierte der Iran  enorme finanzielle, politische und militärische Ressourcen in den Irak, um sicherzustellen, dass die US-Truppen das Land wieder verlassen, ein von Schiiten geführter Staat Sicherheit als treuer strategischer Partner garantiert und die „Islamische Republik“ zugleich ihren geopolitischen Einfluss ausweitet. Doch mindestens ebensolche Bedeutung besitzt für Teheran auch der Schutz der heiligsten Stätten der Schiiten, Kerbala und Najaf, wo ISIS die Entscheidungsschlacht gegen Maliki austragen will. Grobe Drohungen der sunnitischen Fanatiker gegen „die Stätte des Unrats“ (gemeint ist Kerbala) und „die Stadt der Vielgötterei“ bestärken Teheran in der Überzeugung, dass es im Irak um eine existentielle Schlacht zwischen den beiden rivalisierenden Richtungen des Islam – Schiismus und Sunnismus -, politisch repräsentiert durch Iran und Saudi-Arabien – geht.
Alle Hoffnung Malikis, wie der Iraner konzentriert sich nun auf den 57-jährigen General Suleimani, der unterdessen weit über Irans Grenzen hinaus den Ruf als der mächtigste und geheimnisvollste Mann des Mittleren Ostens genießt. Dem „Geistlichen Führer“ Khameinei treu ergeben, zeichnete dieser Suleimani mit dem höchsten zu vergebenden Lob eines „lebenden Märtyrers“ aus. Nachdem er 1998 das Oberkommando der Al-Quds Brigaden übernommen hatte, baute er diese Spezialeinheit der Revolutionsgarden zum mächtigsten und einflussreichsten Instrument der iranischen Außenpolitik auf. Terror, Erpressung, Bestechung und Mord zählen zu seiner Strategie, für die ihm die geheimen Kassen des Staates offen stehen und die Unterstützung Khameneis sicher ist. So gelang es Suleimani, mit den von den Quds-Brigaden trainierten irakischen Schiitenmilizen die US-Besatzungstruppen aus dem Irak zu verjagen und Irans dominierenden Einfluss im Nachbarland zu sichern. In einer berühmt gewordenen SMS an den Oberkommandierenden der US-Streitkräfte General Petraeus stellte Suleimani während einer Serie von Schlachten zwischen der US-Armee und schiitischen Milizen 2007 klar: „General Petraeus, Sie sollen wissen, dass ich, Qasem Suleimani,die Politik des Irans gegenüber dem Irak, Libanon, Gaza und Afghanistan kontrolliere.“  Petraeus charakterisierte ihn öffentlich als eine „wahrhaft üble Figur“. In zahlreichen Erklärungen bewies Suleimani ein starkes strategisches Engagement für die Erhaltung der Macht der Schiiten und des iranischen Einflusses im Irak  und schwor wiederholt uneingeschränkte Unterstützung Malikis.
Offiziell hat sich Teheran bisher nicht vom bedrängten Premier distanziert, nennt allerdings für das Amt des neuen Regierungschef nach  Maliki noch drei andere prominente Schiiten, um sich Optionen offen zu lassen, sollte sich die Lage weiter dramatisch zuspitzen.
Suleimani gilt nicht nur als hervorragender Stratege mit langen Erfahrungen im Guerillakrieg, zunächst im iranischen Kurdistan, im Irak und in Syrien, wo er auf der Seite der Truppen Präsident Assads ISIS jüngst empfindliche Verluste zufügte. Er stand Assad erfolgreich in einer ähnlichen Situation bei, die nun Maliki droht. Hunderte seiner kampferprobten Brigaden leisteten einer  nach langem Krieg geschwächten und zunehmend demoralisierten Armee entscheidende Hilfe. Der iranische General gilt unter Militärexperten als der Architekt jener Strategie, durch die den Assad-Kämpfern in den vergangenen Monaten die Rückeroberung wichtiger Städte und Regionen und damit eine Wende des Kriegsglücks zu ihren Gunsten gelang. Im Irak mobilisiert er nun Schiiten zum Kampf an der Seite der demoralisierten staatlichen Streitkräfte und wird versuchen die in Syrien so erfolgreiche Strategie anzuwenden. Dabei hilft ihm die lange offene Grenze zu seiner Heimat, aus der weitgehend unbemerkt Nachschub an Männern und Waffen ins Land geschleust werden kann. Mehr als hundert Al-Quds Brigaden sollen nach nicht bestätigten Berichten bereits in Bagdad als Militärberater fungieren und zwei im Guerillakampf erprobte, hochmotivierte Einheiten aus dem Grenzgebiet hätten laut iranischen Sicherheitskreisen Positionen zur Verteidigung von Kerbala und Najaf bezogen.
Sollte Suleimani ein entscheidender Rückschlag von ISIS im Irak gelingen, würde sich das Gleichgewicht der Kräfte in der Region weiter zugunsten des Irans verschieben.  Dabei wird Teheran der territorialen Integrität des Iraks nur Lippenbekenntnisse abgeben. Ein starker Irak ließe sich weit schwieriger manipulieren als ein in drei Staaten – mit kurdischer, sunnitischer und schiitischer Bevölkerung – zersplitterter, denn die Schiiten hätten aufgrund ihrer Bevölkerungsmehrheit die Oberhand, blieben jedoch gleichzeitig in totaler Abhängigkeit vom Iran.

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