Freitag, 13. Juni 2014

Abu Bakr al Baghdadi: Zu extrem für Al-.Kaida


Der Aufstieg des „unsichtbaren Scheichs“  zum weltweit mächtigsten Jihadiführer, der die Gestalt des Iraks und der Levante radikal verändern könnte

von Birgit Cerha
[Bild: Dieses Foto wurde im Frühjahr 2014 von der irakischen Regierung veröffentlicht]
Schon nennen manche ihn den „neuen Bin Laden“, den so lange gefürchteten, von den USA verfolgten und schließlich spektakuläre getöteten Chef des Al-Kaida Netzwerkes. Die rasanten Geländegewinne seiner Jihadi-Organisation „Islamischer Staat im Irak und in Syrien“ (ISIS) im Irak haben Abu Bakr al-Baghdadis Ziel der Errichtung eines islamischen Kalifats in Syrien und im Irak aus dem Reich der Illusion gehoben.  Mit nicht mehr als geschätzten 10.000 Kämpfern gelang es Baghdadi ein Gebiet von Tausenden Quadratkilometern, das sich vom Ostrand der größten syrischen Stadt Aleppo in den West- und Zentralirak erstreckt und immer näher an die Hauptstadt Bagdad heranrückt, zu kontrollieren.
Wenig ist über diesen Mann bekannt, auf den die USA schon vor einiger Zeit ein Kopfgeld von zehn Mio. Dollar gesetzt haben. Baghdadi umgibt sich mit dem Schleier des Geheimnisvollen. Nach Berichten von Jihadis trägt er eine Maske selbst wenn er zu seinen Kommandanten spricht. Anhänger nennen ihn deshalb den „unsichtbaren Scheich“. Die wenigen Informationen, die über diesen Mann, der sich den Kampfnamen Baghdadi gegeben hat, bisher an die Öffentlichkeit drangen, stammen aus einer kurzen biographischen Zusammenfassung, die im Juli 2013 auf Online-Jihadi-Plattformen erschienen. So soll Baghdadi, auch Abu Duaa genannt, 1971 im irakischen Samarra in eine tief religiöse sunnitische Familie geboren worden sein und an der Islamischen Universität von Bagdad ein Doktorat in Bildungswissenschaft erworben haben. Sein wahrer Name soll Awwad Ibrahim Ali al-Badri al-Samarrai sein.  Nach einigen Berichten wirkte er zur Zeit der US-Invasion 2003 als Geistlicher in der Provinz Diyala, nordöstlich von Bagdad, andere Quellen behaupten, er sei bereits in der Zeit des Diktators Saddam Hussein als militanter Jihadi aktiv gewesen.  Schließlich soll er von den Amerikanern vier Jahre lang in einem von US-Militärs geführten Gefängnis für Al-Kaida Kommandanten festgehalten und radikalisiert worden sein.
2010, als die sunnitische Terrorgruppe „Al-Kaida im Irak“ (AKI) nach massiven US-Offensiven in Kooperation mit den einflussreichen sunnitischen Stämmen beinahe zerschlagen, deren Führer getötet worden waren, übernahm Baghdadi die Führung der noch verbliebenen Zellen. Im Machtvakuum, das sich durch den Abzug der US-Truppen 2011 geöffnet hatte, gelang es ihm, AKI in kaum mehr als einem Jahr zu einer erneut schlagkräftigen, von Fanatismus und Disziplin geprägten Organisation aufzubauen. Dabei dürften jedoch ehemalige Armee- und Geheimdienstoffiziere Saddam Husseins eine entscheidende Rolle gespielt haben. „AKI“, auch „Islamischer Staat im Irak“ genannt war verantwortlich für eine Kette von Bombenattentaten, den Mord zahlreicher prominenter Sunniten, sowie zahlloser schiitischer Zivilisten.
Baghdadi gelang es, insbesondere als 2011 in Syrien der Aufstand gegen das Assad-Regime begann, zahlreiche ausländische Jihadis für seine Bewegung und den Kampf in Syrien mit dem Endziel eines weltweiten islamischen Staates zu rekrutieren. In den Gebieten, die er unter seine Kontrolle brachte versuchte er – wie nun in Iraks zweitgrößter Stadt Mosul, von wo erste Berichte über Massenexekutionen an die Öffentlichkeit dringen – mit hemmungsloser Brutalität den Menschen einen islamischen Terrorstaat aufzuzwingen. Baghdadis grausame Skrupellosigkeit führte zu blutigen Konflikten mit der mit ihm verbündeten syrischen Nusra, die sich einer Fusion mit AKI zur ISIS widersetzte. Schließlich wandte sich selbst Al-Kaida Chef Zawaheri offen gegen Baghdadi, der aber dessen Aufforderung zum Rückzug von ISIS aus Syrien ignorierte. Die militärischen Erfolge in Syrien, vor allem aber nun im Irak bedeuten einen beträchtlichen Prestigeverlust Zawaheris unter den internationalen Jihadis.
Ungeachtet seines Rufs als gnadenloser Gewalttäter, gelang es Baghdadi unter den durch die sie schwer diskriminierende Politik des schiitischen Premiers Maliki zutiefst frustrierten arabischen Sunniten des Iraks eine wachsende Schar von Anhängern zu finden, deren Hauptziel es ist, sich der Herrschaft der Schiiten zu entledigen. ISIS entwickelte in den vergangenen Monaten die Fähigkeit, diverse militante Operationen – Selbstmordattentate, Attacken auf staatliche Sicherheitskräfte – in mehreren irakischen Regionen gleichzeitig durchzuführen und damit die Armee schwer zu demoralisieren. Diese Strategie erwies sich nicht zuletzt dank beträchtlicher materieller Ressourcen als erfolgreich. In Syrien, wo ISIS weiterhin wichtige Stützpunkte unterhält, eroberten Baghdadis Männer im Februar von Nusra das Conoco Gasfeld bei Deir El Zor, das Hunderttausende Dollar in der Woche einbringen soll.  Geld fließt auch von reichen Saudis und kuwaitischen Oligarchen. Zudem verfügt Baghdadi in Mosul über ein dichtes Erpressungsnetz, das schon auf die Zeit vor dem US-Abzug zurückgeht. „Schutzgelder“ nennen die Terroristen dies euphemistisch, die zu zahlen sind, damit Geschäfte, Firmen, Büros, Lkws, Wohnungen von Reichen nicht in die Luft gesprengt werden. Raubüberfälle auf Juweliergeschäfte und Banken zählen ebenfalls zu höchst lukrativen Geldbeschaffungsaktionen. Nun soll ISIS  eine halbe Mrd. Dollar aus der Staatsbank von Mosul geplündert haben, die Baghdadi zur Rekrutierung  neuer Jihadis für die angedrohte Verschärfung des Kampfes, aber auch zum Aufbau sozialer Netzwerke in den von ihnen kontrollierten Regionen verwenden kann. Denn, das hat der ISIS-Chef ungeachtet seines schockierenden Radikalismus begriffen:  Ohne Unterstützung der sunnitischen Bevölkerung können seine militärischen Erfolge im Irak nicht dauerhaft bleiben.

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