Repression ist das stärkste Mittel im Machtkampf gegen den Präsidenten – Dramatische Zunahme von Exekutionen
von Birgit Cerha
Der 20-jährige Ebrahim Hajati starb am 20. April im
Vakilabad-Gefängnis der ostiranischen Stadt Mashhad durch den Strang.
Vor vier Jahren hatte er im Alter von 16 im Streit den 19-jährigen
Abdollah getötet. Ebrahims Familie wurde nur wenige Stunden vor der
Hinrichtung informiert. Es ist die vierte Exekution von Minderjährigen
im Iran in nur vier Tagen und insgesamt die dreißigste in zwei Wochen.
Unter dem lächelnden Präsidenten Rouhani, dessen überraschende Wahl vor
fast einem Jahr den unterdrückten Iranern eine neue Zeit nicht nur der
Öffnung zum Westen, sondern auch der größeren Freiheiten verheißen
hatte, verschärfte sich in Wahrheit die Repression dramatisch. Während
Rouhani und sein Außenminister Zarif mit beträchtlichem Erfolg um eine
Einigung im Atomkonflikt mit den Weltmächten ringen, wütet die Justiz
daheim wie seit Jahren nicht mehr. Kein Land der Welt außer China
liefert eine derart hohe Zahl an Menschen dem Henker aus wie der
„Gottesstaat“. 687 waren es offiziell im Vorjahr, 68 Prozent davon seit
der Wahl Rouhanis im Juni, die höchste Zahl seit 15 Jahren. Und „Amnesty
International“ (AI) nennt glaubwürdige Hinweise, dass mindestens noch
335 weitere Personen geheim in iranischen Gefängnissen getötet wurden.
Dieser Trend beschleunigte sich seit Anfang 2014. Nach einem UN-Bericht
wurden allein in den ersten sieben Wochen dieses Jahres 95 Menschen
hingerichtet, viele darunter auf freien Plätzen.
Irans Justiz begründet die Entscheidung, eine wachsende Anzahl von
Exekutionen öffentlich durchzuführen mit der Notwendigkeit, potentielle
Verbrecher abzuschrecken, in Wahrheit ist das Hauptmotiv politisch.
Solche auf massive Einschüchterung abzielende Hinrichtungen, die häufig
auch von Kindern beobachtet werden, finden meist in größeren Städten
statt, wo die politische Opposition besonders stark präsent ist. Die
Todesurteile , überwiegend wegen Rauschgiftdelikten, „Mohabareh“
(„Feindschaft gegen Gott“) oder „Gefährdung der nationalen Sicherheit“,
werden laut AI „in unfairen Verfahren skrupellos“ verhängt. Die große
Mehrheit der Opfer sind Angehörige ethnischer und religiöser
Minderheiten (Kurden, Belutschen, Araber, Bahais).
Rouhani, der im Wahlkampf vor einem Jahr den Iranern nach acht
Schreckensjahren unter dem radikalen Präsidenten Ahmadinedschad größere
Achtung der Menschenrechte verheißen hatte, konnte nicht nur die
versprochene rasche Befreiung der seit 2011 unter Hausarrest stehenden
Führer der „Grünen (Reform-)Bewegung“ nicht durchsetzen, die Zahl der
politischen Gefangenen stieg seit seinem Amtsantritt auf mehr als 900
an. Fast alle Menschenrechtsaktivisten, Studenten, Angehörige der
Minderheiten, Journalisten, Blogger oder Künstler, die unter
Ahmadinedschad inhaftiert wurden, harren immer noch in den Gefängnissen
aus – viele unter Folterqualen. Ungeheuerliche Brutalitäten im
berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis, wo am 17. April rund 30 Häftlinge
von etwa hundert Wärtern zusammengeschlagen und vier darunter schwer
verletzt worden waren, lösten weithin Kritik an den Behörden und
Proteste der Familienangehörigen der Opfer vor Rouhanis Amtssitz aus.
Der wegen seiner Brutalität berüchtigte Gefängnisdirektor wurde
unterdessen in eine nicht weniger einflussreiche Position als Chef des
Appellationsgerichts in Teheran transferiert.
Diese katastrophale Menschenrechtssituation ist in Zusammenhang mit
einem intensiven Machtkampf in einem System zu sehen, in dem die
gewählten Politiker nicht alle wichtigen Machtfunktionen ausüben.
Rouhanis Schicksal erinnert an jenes des Reformpräsidenten Khatami,
dessen Bemühungen zur Durchsetzung größerer Freiheiten von seinen
erzkonservativen Gegenspielern blockiert wurden, die über die Justiz als
wichtigste Waffe in ihrem Arsenal verfügen. Sowohl das Justiz-, als
auch das Geheimdienstministerium unterliegen nicht der Autorität des
gewählten Präsidenten, beide Minister werden in Konsultation mit dem
„Geistlichen Führer“ Khamenei bzw. direkt von ihm bestellt. Der
gegenwärtige Justizminister, Mustafa Pourmohammadi, hat sich während
seiner Amtszeit als stellvertretender Geheimdienstminister von 1987 bis
1999 durch besonders brutale Verletzungen der Menschenrechte
hervorgetan. Er war 1988 direkt in Massenexekutionen von linken Gegnern
des Regimes in iranischen Gefängnissen verwickelt, sowie in zahlreiche
Morde an Oppositionellen innerhalb und außerhalb des Irans, darunter
auch jene an dem Kurdenführer Ghassemlou in Wien und dem letzten
Premierminister des Shahs, Shapour Bakhtiar, sowie die „Serienmorde“ an
zahlreichen iranischen Intellektuellen in den späten 80er Jahren,
während der Herrschaft Khatamis.
Unter Rouhani erscheinen die Aktivitäten der Justiz noch
zerstörerischer, aus dem einfachen Grund, dass nun sowohl intern als
auch international für das iranische Regime noch viel mehr auf dem Spiel
steht als zuvor. Sollte ein Atom-Abkommen und damit die Aufhebung der
schmerzlichen internationalen Sanktionen tatsächlich gelingen, dann
werden Rouhani und Zarif im Iran als Helden gefeiert und dürften wohl
eine Bewegung anführen, die den Einfluss der Ultras um Khamenei
ernsthaft gefährden könnte. Diese Hardliner sind davon überzeugt, dass
es dem Westen keineswegs nur um die Beilegung des Atomstreits geht,
sondern nach wie vor um den Sturz des Regimes. Durch verschärfte
Repression, die Rouhanis Verhandlungen mit den Weltmächten begleitet,
signalisieren sie ihre unverrückbare Entschlossenheit alles beim alten
zu belassen, keine Lockerungen zuzulassen, die den Weg zur Demokratie
ebnen und schließlich die Theokratie hinwegfegen könnten.
Um seine Verhandlungsstrategie nicht zu gefährden, setzt Rouhani
auf extreme Vorsicht gegenüber seinen internen Gegnern. Vagen
Versprechungen von Öffnung und Achtung der Menschenrechte folgen keine
Taten. „Sein Schweigen angesichts dieser Attacken der Ultras in der
Justiz und im Geheimdienst“, meint Irans Friedensnobelpreisträgerin
Shirin Ebadi alarmiert, werde den Status quo im „Gottesstaat“
zementieren.
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