Donnerstag, 24. April 2014

Irans Ultras verschärfen Druck auf Rouhani

Repression ist das stärkste Mittel  im Machtkampf gegen den Präsidenten – Dramatische Zunahme von Exekutionen
 
von Birgit Cerha
 
Der 20-jährige Ebrahim Hajati starb am 20. April im Vakilabad-Gefängnis der ostiranischen Stadt Mashhad durch den Strang. Vor vier Jahren hatte er im Alter von 16 im Streit den 19-jährigen Abdollah getötet. Ebrahims Familie wurde nur wenige Stunden vor der Hinrichtung informiert.  Es ist die vierte Exekution von Minderjährigen im Iran in nur vier Tagen und insgesamt die dreißigste in zwei Wochen. Unter dem lächelnden Präsidenten Rouhani, dessen überraschende Wahl vor fast einem Jahr den unterdrückten Iranern eine neue Zeit nicht nur der Öffnung zum Westen, sondern auch der größeren Freiheiten verheißen hatte, verschärfte sich in Wahrheit die Repression dramatisch. Während Rouhani und sein Außenminister Zarif mit beträchtlichem Erfolg um eine Einigung im Atomkonflikt mit den Weltmächten ringen,  wütet die Justiz daheim wie seit Jahren nicht mehr. Kein Land der Welt außer China liefert eine derart hohe Zahl an Menschen dem Henker aus wie der „Gottesstaat“. 687 waren es offiziell im Vorjahr, 68 Prozent davon seit der Wahl Rouhanis im Juni, die höchste Zahl seit 15 Jahren. Und „Amnesty International“ (AI) nennt glaubwürdige Hinweise, dass mindestens noch 335 weitere Personen geheim in iranischen Gefängnissen getötet wurden. Dieser Trend beschleunigte sich seit Anfang 2014. Nach einem UN-Bericht wurden allein in den ersten sieben Wochen dieses Jahres 95 Menschen hingerichtet, viele darunter auf freien Plätzen.
Irans Justiz begründet die Entscheidung, eine wachsende Anzahl von Exekutionen öffentlich durchzuführen mit der Notwendigkeit, potentielle Verbrecher abzuschrecken, in Wahrheit ist das Hauptmotiv politisch. Solche auf massive Einschüchterung abzielende Hinrichtungen, die häufig auch von Kindern beobachtet werden, finden meist in größeren Städten statt, wo die politische Opposition besonders stark präsent ist. Die Todesurteile , überwiegend wegen Rauschgiftdelikten, „Mohabareh“ („Feindschaft gegen Gott“) oder „Gefährdung der nationalen Sicherheit“, werden laut AI „in unfairen Verfahren skrupellos“ verhängt. Die große Mehrheit der Opfer sind Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten (Kurden, Belutschen, Araber, Bahais).
Rouhani, der im Wahlkampf vor einem Jahr den Iranern nach acht Schreckensjahren unter dem radikalen Präsidenten Ahmadinedschad größere Achtung der Menschenrechte verheißen hatte, konnte nicht nur die versprochene rasche Befreiung der seit 2011 unter Hausarrest stehenden Führer der „Grünen (Reform-)Bewegung“  nicht durchsetzen, die Zahl der politischen Gefangenen stieg seit seinem Amtsantritt auf mehr als 900 an. Fast alle Menschenrechtsaktivisten, Studenten, Angehörige der Minderheiten, Journalisten, Blogger oder Künstler, die unter Ahmadinedschad inhaftiert wurden, harren immer noch in den Gefängnissen aus – viele unter Folterqualen. Ungeheuerliche Brutalitäten im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis, wo am 17. April rund 30 Häftlinge von etwa hundert Wärtern zusammengeschlagen und vier darunter schwer verletzt worden waren, lösten weithin Kritik an den Behörden und Proteste der Familienangehörigen der Opfer vor Rouhanis Amtssitz aus. Der wegen seiner Brutalität berüchtigte Gefängnisdirektor wurde unterdessen in eine nicht weniger einflussreiche Position als Chef des Appellationsgerichts in Teheran transferiert.
Diese katastrophale Menschenrechtssituation ist in Zusammenhang mit einem intensiven Machtkampf in einem System zu sehen, in dem die gewählten Politiker nicht alle wichtigen Machtfunktionen ausüben. Rouhanis Schicksal erinnert an jenes des Reformpräsidenten Khatami, dessen Bemühungen zur Durchsetzung größerer Freiheiten von seinen erzkonservativen Gegenspielern blockiert wurden, die über die Justiz als wichtigste Waffe in ihrem Arsenal verfügen. Sowohl das Justiz-, als auch das Geheimdienstministerium unterliegen nicht der Autorität des gewählten Präsidenten, beide Minister werden in Konsultation mit dem „Geistlichen Führer“ Khamenei bzw. direkt von ihm bestellt.  Der gegenwärtige Justizminister, Mustafa Pourmohammadi, hat sich während seiner Amtszeit als stellvertretender Geheimdienstminister von 1987 bis 1999 durch besonders brutale Verletzungen der Menschenrechte hervorgetan. Er war 1988 direkt in Massenexekutionen von linken Gegnern des Regimes in iranischen Gefängnissen  verwickelt, sowie in zahlreiche Morde an Oppositionellen innerhalb und außerhalb des Irans, darunter auch jene an dem Kurdenführer Ghassemlou in Wien und dem letzten Premierminister des Shahs, Shapour Bakhtiar, sowie die „Serienmorde“ an zahlreichen iranischen Intellektuellen in den späten 80er Jahren, während der Herrschaft Khatamis.
Unter Rouhani erscheinen die Aktivitäten der Justiz noch zerstörerischer, aus dem einfachen Grund, dass nun sowohl intern als auch international für das iranische Regime noch viel mehr auf dem Spiel steht als zuvor. Sollte ein Atom-Abkommen und damit die Aufhebung der schmerzlichen internationalen Sanktionen tatsächlich gelingen, dann werden Rouhani und Zarif im Iran als Helden  gefeiert und dürften wohl eine Bewegung anführen, die den Einfluss der Ultras um Khamenei ernsthaft gefährden könnte. Diese Hardliner sind davon überzeugt, dass es dem Westen keineswegs nur um die Beilegung des Atomstreits geht, sondern nach wie vor um den Sturz des Regimes. Durch verschärfte Repression, die Rouhanis Verhandlungen mit den Weltmächten begleitet, signalisieren sie ihre unverrückbare Entschlossenheit alles beim alten zu belassen, keine Lockerungen zuzulassen, die den Weg zur Demokratie ebnen und schließlich die Theokratie hinwegfegen könnten.
Um seine Verhandlungsstrategie nicht zu gefährden, setzt Rouhani auf extreme Vorsicht gegenüber seinen internen Gegnern. Vagen Versprechungen von Öffnung und Achtung der Menschenrechte folgen keine Taten. „Sein Schweigen angesichts dieser Attacken der Ultras in der Justiz und im Geheimdienst“, meint Irans Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi alarmiert, werde den Status quo im „Gottesstaat“ zementieren.

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