Kandidatur für Präsidentschaft stößt auf weite Unterstützung – Doch welches Programm vertritt der „Retter Ägyptens“?
von Birgit Cerha
Die „Sisimanie“ , die, angeheizt durch die staatlichen
Institutionen und Medien, seit Monaten Ägypten in Atem hält, erreichte
Mittwochabend einen Höhepunkt, als Feldmarschall Abdel Fattah al-Sisi
nach monatelangem Zögern offiziell sein Amt als Verteidigungsminister
zurücklegte, seine 36-jährige militärische Karriere beendete und damit
seinen Weg zum höchsten Staatsamt ebnete. Militärs dürfen in Ägypten
nicht für das Präsidentenamt kandidieren. Er habe sich dem „Willen des
Volkes“ unterworfen, begründete Sisi seine für das Schicksal Ägyptens so
schwerwiegende Entscheidung, und ein beträchtlicher Teil des Volkes
brach in Jubel aus. In den Straßen und in den sozialen Medien feierten
viele ihren zum „Retter Ägyptens“ hochstilisierten Hoffnungsträger, der
das Land nach dreijährigen blutigen Turbulenzen endlich zu Ruhe und
Stabilität führen, der ein „Bollwerk“ gegen den von einer breiten
Öffentlichkeit gefürchteten Islamismus errichten werde. Für viele
Ägypter ist der noch vor drei Jahren völlig unbekannte Militär, der den
Sturz Mohammed Mursis im Juni 2013 nach Massenprotesten gegen den ersten
freigewählten Präsidenten und dessen autokratischen Stil angeführt
hatte, der einzige, dem sie die Kraft zutrauen, den Niedergang der
Wirtschaft zu stoppen, die dramatischen sozialen Probleme mit einigem
Erfolg zu bekämpfen. Und nicht wenige sind bereit, dafür auch einen
Preis – Freiheit und die Achtung von Menschenrechten – zu bezahlen.
In einer ausgewogenen, klugen Rede versuchte Sisi, die Ägypter von
seinem Engagement für eine pluralistische Demokratie zu überzeugen. Um
Kritiker der massiven Repressionen gegen Anhänger Mursis und der
Moslembruderschaft zu beschwichtigen, betonte Sisi: „Ägypten gehört
allen seinen Bürgern, niemand darf ausgeschlossen werden.“ Und im
Gegensatz zu den Gepflogenheiten der Vergangenheit könne „niemand gegen
den Willen des Volkes Präsident werden“. Dennoch kam scharfe Kritik
insbesondere aus den Reihen der Moslembruderschaft, die Sisis Kandidatur
als letzten Beweis für seine entscheidende Rolle im Putsch gegen Mursi
wertet. Unter einem Präsidenten Sisi werde Ägypten nicht zur Ruhe
finden, drohte ein Sprecher der Bewegung im Exil. Kritik kommt auch aus
liberalen Kreisen und einigen Jugendbewegungen, die eine neue
Militärdiktatur befürchten. Der prominente Poet Abdul Rahman Yousef
sieht in Sisis Kandidatur „den Anfang vom Ende“.
Sisi hatte nach einer in Kairo verbreiteten Theorie so lange mit
seiner Kandidatur gezögert, bis er sich der
Milliarden-Dollar-Unterstützung aus den arabischen Golfstaaten gewiss
war, die es ihm ermöglichen könnte, die unumgänglichen
Wirtschaftsreformen anzupacken und die dadurch für die ohnedies darbende
Bevölkerung entstehende zusätzliche soziale Last zu mindern. Zugleich
setzt auch Ägyptens Wirtschaft große Hoffnungen in ihn als „Garant der
Stabilität“, der verschreckte Investoren wieder anlockt. Wichtige
Kontakte zu superreichen Auslandsägyptern hat er bereits geknüpft und
einige bemerkenswerte Zusagen erhalten. Nicht alle beglücken solche
Aussichten, sind sie doch deutliches Signal einer Rückkehr der alten
zutiefst korrupten Wirtschaftselite.
Sisi hat sich bisher durch wortkarge Würde hervorgetan und gerade
damit solch enorme Popularität gewonnen, vielleicht unerfüllbare
Hoffnungen geweckt. Er hat nichts Konkretes von seinen Ideen zur
ökonomischen und politischen Gesundung des Landes zu erkennen gegeben.
Wiederherstellung der Stabilität, Kampf gegen Terrorismus (und damit
gegen die Moslembrüder, die viele pauschal für alle Gewalt am Nil
verantwortlich machen) und ein Ende des wirtschaftlichen Niedergangs
sind seine Prioritäten. Unklar ist, ob er die Kraft und den Willen
besitzt, die dringend nötigen Reformen der staatlichen Strukturen
anzupacken, vor allem der Justiz und des Sicherheitsapparates, ob er den
massiven Menschenrechtsverletzungen und der katastrophalen Willkür der
Gerichte Einhalt gebieten kann und will. Doch alle Anzeichen sprechen
dafür, dass sein stärkster Rückhalt nicht ein stabilitätshungriges Volk,
sondern der „tiefe Staat“ des gestürzten Präsidenten Mubarak und das
Militär sein wird, das schon die vergangenen Monate nützte, um das
Machtvakuum zu einem starken Ausbau seiner Wirtschaftsmacht nutzte.
Laut lokalen Medien wird die offizielle Kampagne für die
Präsidentschaftswahlen in einer Woche beginnen. Doch das Rennen ist
schon gelaufen. Nach jüngster Meinungsumfrage kann Sisi mit mindestens
51 Prozent der Stimmen rechnen, während sein einziger bisheriger
Gegenkandidat, der prominente Nasserist Hamdin Sabahi, der bei den
letzten Wahlen 2012 Prozent der Stimmen erreichte, mit kaum mehr als
einem Prozent rechnen dürfte.
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