Donnerstag, 27. März 2014

Sisi unterwirft sich „dem Willen des Volkes“

Kandidatur für Präsidentschaft stößt auf weite Unterstützung – Doch welches Programm vertritt der „Retter Ägyptens“?
 
von Birgit Cerha

Die „Sisimanie“ , die, angeheizt durch die staatlichen Institutionen und Medien, seit Monaten Ägypten in Atem hält, erreichte Mittwochabend einen Höhepunkt, als Feldmarschall Abdel Fattah al-Sisi nach monatelangem Zögern offiziell sein Amt als Verteidigungsminister zurücklegte, seine  36-jährige militärische Karriere beendete und damit seinen Weg zum höchsten Staatsamt ebnete. Militärs dürfen in Ägypten nicht für das Präsidentenamt kandidieren. Er habe sich dem „Willen des Volkes“ unterworfen, begründete Sisi seine für das Schicksal Ägyptens so schwerwiegende Entscheidung, und ein beträchtlicher Teil des Volkes brach in Jubel aus. In den Straßen und in den sozialen Medien feierten viele ihren zum „Retter Ägyptens“ hochstilisierten Hoffnungsträger, der das Land nach dreijährigen blutigen Turbulenzen endlich zu Ruhe und Stabilität führen, der ein „Bollwerk“ gegen den von einer breiten Öffentlichkeit gefürchteten Islamismus errichten werde. Für viele Ägypter ist der noch vor drei Jahren völlig unbekannte Militär, der den Sturz Mohammed Mursis im Juni 2013 nach Massenprotesten gegen den ersten freigewählten Präsidenten und dessen autokratischen Stil angeführt hatte, der einzige, dem sie die Kraft zutrauen, den Niedergang der Wirtschaft zu stoppen, die dramatischen sozialen Probleme mit einigem Erfolg zu bekämpfen.  Und nicht wenige sind bereit, dafür auch einen Preis – Freiheit und die Achtung von Menschenrechten – zu bezahlen.
In einer ausgewogenen, klugen Rede versuchte Sisi, die Ägypter von seinem Engagement für eine pluralistische Demokratie zu überzeugen. Um Kritiker der massiven Repressionen gegen Anhänger Mursis und der Moslembruderschaft zu beschwichtigen, betonte Sisi:  „Ägypten gehört allen seinen Bürgern, niemand darf ausgeschlossen werden.“  Und im Gegensatz zu den Gepflogenheiten der Vergangenheit könne „niemand gegen den Willen des Volkes Präsident werden“.  Dennoch kam scharfe Kritik insbesondere aus den Reihen der Moslembruderschaft, die Sisis Kandidatur als letzten Beweis für seine entscheidende Rolle im Putsch gegen Mursi wertet.  Unter einem Präsidenten Sisi werde Ägypten nicht zur Ruhe finden, drohte ein Sprecher der Bewegung im Exil. Kritik kommt auch aus liberalen Kreisen und einigen Jugendbewegungen, die eine neue Militärdiktatur befürchten. Der prominente Poet Abdul Rahman Yousef sieht in Sisis Kandidatur „den Anfang vom Ende“.
Sisi hatte nach einer in Kairo verbreiteten Theorie so lange mit seiner Kandidatur gezögert, bis er sich der Milliarden-Dollar-Unterstützung aus den arabischen Golfstaaten gewiss war, die es ihm ermöglichen könnte, die unumgänglichen Wirtschaftsreformen anzupacken und die dadurch für die ohnedies darbende Bevölkerung entstehende zusätzliche soziale Last zu mindern. Zugleich setzt auch Ägyptens Wirtschaft große Hoffnungen in ihn als „Garant der Stabilität“, der verschreckte Investoren wieder anlockt.  Wichtige Kontakte zu superreichen Auslandsägyptern hat er bereits geknüpft und einige bemerkenswerte Zusagen erhalten. Nicht alle beglücken solche Aussichten, sind sie doch deutliches Signal einer Rückkehr der alten zutiefst korrupten Wirtschaftselite.
Sisi hat sich bisher durch wortkarge Würde hervorgetan und gerade damit solch enorme Popularität gewonnen, vielleicht unerfüllbare Hoffnungen geweckt. Er hat nichts Konkretes von seinen Ideen zur ökonomischen und politischen Gesundung des Landes zu erkennen gegeben.  Wiederherstellung der Stabilität, Kampf gegen Terrorismus (und damit gegen die Moslembrüder, die viele pauschal für alle Gewalt am Nil verantwortlich machen) und ein Ende des wirtschaftlichen Niedergangs sind seine Prioritäten. Unklar ist, ob er die Kraft und den Willen besitzt, die dringend nötigen Reformen der staatlichen Strukturen anzupacken, vor allem der Justiz und des Sicherheitsapparates, ob er den massiven Menschenrechtsverletzungen und der katastrophalen Willkür der Gerichte Einhalt gebieten kann und will. Doch alle Anzeichen sprechen dafür, dass sein stärkster Rückhalt nicht ein stabilitätshungriges Volk, sondern der „tiefe Staat“ des gestürzten Präsidenten Mubarak und das Militär sein wird, das schon die vergangenen Monate nützte, um das Machtvakuum zu einem starken Ausbau seiner Wirtschaftsmacht nutzte.
Laut lokalen Medien wird die offizielle Kampagne für die Präsidentschaftswahlen in einer Woche beginnen. Doch das Rennen ist schon gelaufen. Nach jüngster Meinungsumfrage kann Sisi mit mindestens 51 Prozent der Stimmen rechnen, während sein einziger bisheriger Gegenkandidat, der prominente Nasserist Hamdin Sabahi, der bei den letzten Wahlen 2012 Prozent der Stimmen erreichte, mit kaum mehr als einem Prozent rechnen dürfte.
 

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