Montag, 28. April 2014

Iraks Einheit und Stabilität steht auf dem Spiel

Können die Parlamentswahlen demokratische Fortschritte konsolidieren oder werden sie konfessionelle und ethnische Gräben gefährlich vertiefen?
 
von Birgit Cerha
 
Inmitten der wiederkehrenden Gräuel der Vergangenheit, eskalierender Gewalt und Terrordrohungen werden die Iraker am Mittwoch nach jahrelanger politischer Stagnation ein neues Parlament wählen.  Dieser erste nationale Urnengang seit Rückzug der US-Truppen Ende 2011 könnte die Zukunft des Landes besiegeln:  Schlittert der Irak erneut in einen Bürgerkrieg, der die Grauen der blutigen Konflikte zwischen Schiiten und Sunniten der Jahre 2006 bis 2008 gar noch in den Schatten stellen könnte? Wird das Land auseinanderbrechen oder doch einen Weg zu nationaler Kooperation zum Wohl der leidenden Bevölkerung und damit schließlich zur Stabilität finden. Die Folgen dieser Wahlen haben Auswirkungen auch auf die Entwicklungen in dieser turbulenten Region.
Längst ist die Euphorie verflogen, die die Iraker bei den ersten Wahlen nach dem Sturz von Diktator Saddam Hussein 2003 trotz anhaltender Gewalt zu den Wahlurnen gedrängt hatte. Tiefe Enttäuschung über die unerfüllten Versprechen der gewählten politischen Führer, über Machtmissbrauch, Korruption und Gleichgültigkeit angesichts der drückenden ökonomischen und sozialen Nöte in einem der potentiell reichsten Länder der Welt stürzt einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung in politische Apathie und Hoffnungslosigkeit. Die sich stetig verschlimmernde Sicherheitslage tut dabei noch das Ihre. Von der Weltöffentlichkeit weitgehend ignoriert, starben seit Jahresbeginn rund 3000 Menschen durch Terror.
Reißende Slogans und nicht politische Programme dominierten den Wahlkampf, in dem sich fast alle politische Gruppierungen, mit Ausnahme der „Allianz für den Rechtsstaat“  des Ministerpräsidenten, für ein Ende der Ära Premier Malikis einsetzten. Zugleich suchen  gewalttätige Islamisten, wie die mit Al-Kaida verbündete sunnitische ISIS („Islamischer Staat des Iraks und Groß-Syriens“, die in den vergangenen Monaten insbesondere in der sunnitischen West-Provinz Anbar entscheidend an Boden gewann), ebenso wie ihre im Iran ausgebildeten schiitischen Gegenspieler politische Legitimität durch diese Wahlen.
Dabei steckt der Irak elf Jahre seit der Befreiung nach mehr als 30-jähriger Diktatur in einer zunehmend schweren existenziellen Krise, große Bevölkerungskreise geplagt von bitterer Armut, einem zusammengebrochenen Gesundheits- und Bildungssystem und einer mangelhaften Infrastruktur, Kriminalität und Terror. Eigeninteressen der politischen Führer, gravierende Korruption, Machtkämpfe, die das Land zu jahrelanger politischer Stagnation führten, tragen dafür die Hauptverantwortung. Maliki, nach den letzten Parlamentswahlen 2010 auf amerikanischen und iranischen Druck zum zweiten Mal zum Premier gekürt, nutzte das Machtvakuum nach dem Abzug der US-Truppen im Dezember 2011, um eine zentralistische Herrschaft in Bagdad aufzubauen und stieß dabei die Kurden und arabischen Sunniten zunehmend vor den Kopf. Er präsentiert sich zunehmend als Sachwalter schiitischer Interessen gegen sunnitischen Radikalismus, sowie arabischer Interessen gegen die Ansprüche der Kurden und mit eskalierender Gewalt auch als der Kandidat, der das gequälte Land wieder zu Ruhe und Sicherheit führen kann. In seiner achtjährigen Amtszeit hat er es geschafft, die Kluft zwischen den konfessionellen und ethnischen Gruppen alarmierend zu vertiefen. Zugleich werfen ihm nicht nur seine arabisch-sunnitischen und kurdischen Gegner, sondern auch schiitische Rivalen vor, sich durch Korruption und Machtmissbrauch zum „neuen Saddam Hussein“ am Tigris aufzubauen.
Dennoch halten politische Analysten im Zweistromland einen erneuten Wahlsieg Malikis für durchaus möglich. Nicht nur kontrolliert er die Staatsfinanzen?, Militär und Polizei, die er skrupellos für seine Interessen einsetzt, er verstand es auch raffiniert, die Uneinigkeit seiner Gegner für seine Zwecke zu manipulieren. Wiewohl sich die große Mehrheit der unzähligen politischen Gruppierungen in ihrem Widerstand gegen eine dritte Amtsperiode Malikis einig ist, fehlt es der Opposition an Vision und Führerpersönlichkeiten. Zwar haben sich erstmals gemäßigte Islamisten? Unter Führung des jungen Schiitengeistlichen Ammar al-Hakim gemeinsam mit säkularen Gruppen zur „Bürger-Koalition“  vereint, die dem Irak Hoffnung auf eine gemäßigte neue politische Kraft gibt. Doch erscheint es eher ungewiss, dass diese Allianz unter einer durch Hass-Slogans auf Angehörige der jeweils anderen konfessionellen Gruppe verängstigten Bevölkerung eine entscheidende Mehrheit erhalten kann.
Gewinnt Maliki tatsächlich eine dritte Amtsperiode und hält er an seiner bisherigen politischen Strategie fest, dann droht dem Irak eine neue Diktatur, noch mehr Gewalt durch radikale mit Al-Kaida verbündete Grupopen und im schlimmsten Fall sogar die Spaltung des Landes. Schon haben die Kurden ihre Bereitschaft bekräftigt, sich vollends vom Irak loszulösen und neun andere Provinzen, sunnitische, aber auch überwiegend von Schiiten bewohnte ölreiche Regionen fordern Autonomie.

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