Können die Parlamentswahlen demokratische Fortschritte
konsolidieren oder werden sie konfessionelle und ethnische Gräben
gefährlich vertiefen?
von Birgit Cerha
Inmitten der wiederkehrenden Gräuel der Vergangenheit,
eskalierender Gewalt und Terrordrohungen werden die Iraker am Mittwoch
nach jahrelanger politischer Stagnation ein neues Parlament wählen.
Dieser erste nationale Urnengang seit Rückzug der US-Truppen Ende 2011
könnte die Zukunft des Landes besiegeln: Schlittert der Irak erneut in
einen Bürgerkrieg, der die Grauen der blutigen Konflikte zwischen
Schiiten und Sunniten der Jahre 2006 bis 2008 gar noch in den Schatten
stellen könnte? Wird das Land auseinanderbrechen oder doch einen Weg zu
nationaler Kooperation zum Wohl der leidenden Bevölkerung und damit
schließlich zur Stabilität finden. Die Folgen dieser Wahlen haben
Auswirkungen auch auf die Entwicklungen in dieser turbulenten Region.
Längst ist die Euphorie verflogen, die die Iraker bei den ersten
Wahlen nach dem Sturz von Diktator Saddam Hussein 2003 trotz anhaltender
Gewalt zu den Wahlurnen gedrängt hatte. Tiefe Enttäuschung über die
unerfüllten Versprechen der gewählten politischen Führer, über
Machtmissbrauch, Korruption und Gleichgültigkeit angesichts der
drückenden ökonomischen und sozialen Nöte in einem der potentiell
reichsten Länder der Welt stürzt einen beträchtlichen Teil der
Bevölkerung in politische Apathie und Hoffnungslosigkeit. Die sich
stetig verschlimmernde Sicherheitslage tut dabei noch das Ihre. Von der
Weltöffentlichkeit weitgehend ignoriert, starben seit Jahresbeginn rund
3000 Menschen durch Terror.
Reißende Slogans und nicht politische Programme dominierten den
Wahlkampf, in dem sich fast alle politische Gruppierungen, mit Ausnahme
der „Allianz für den Rechtsstaat“ des Ministerpräsidenten, für ein Ende
der Ära Premier Malikis einsetzten. Zugleich suchen gewalttätige
Islamisten, wie die mit Al-Kaida verbündete sunnitische ISIS
(„Islamischer Staat des Iraks und Groß-Syriens“, die in den vergangenen
Monaten insbesondere in der sunnitischen West-Provinz Anbar entscheidend
an Boden gewann), ebenso wie ihre im Iran ausgebildeten schiitischen
Gegenspieler politische Legitimität durch diese Wahlen.
Dabei steckt der Irak elf Jahre seit der Befreiung nach mehr als
30-jähriger Diktatur in einer zunehmend schweren existenziellen Krise,
große Bevölkerungskreise geplagt von bitterer Armut, einem
zusammengebrochenen Gesundheits- und Bildungssystem und einer
mangelhaften Infrastruktur, Kriminalität und Terror. Eigeninteressen der
politischen Führer, gravierende Korruption, Machtkämpfe, die das Land
zu jahrelanger politischer Stagnation führten, tragen dafür die
Hauptverantwortung. Maliki, nach den letzten Parlamentswahlen 2010 auf
amerikanischen und iranischen Druck zum zweiten Mal zum Premier gekürt,
nutzte das Machtvakuum nach dem Abzug der US-Truppen im Dezember 2011,
um eine zentralistische Herrschaft in Bagdad aufzubauen und stieß dabei
die Kurden und arabischen Sunniten zunehmend vor den Kopf. Er
präsentiert sich zunehmend als Sachwalter schiitischer Interessen gegen
sunnitischen Radikalismus, sowie arabischer Interessen gegen die
Ansprüche der Kurden und mit eskalierender Gewalt auch als der Kandidat,
der das gequälte Land wieder zu Ruhe und Sicherheit führen kann. In
seiner achtjährigen Amtszeit hat er es geschafft, die Kluft zwischen den
konfessionellen und ethnischen Gruppen alarmierend zu vertiefen.
Zugleich werfen ihm nicht nur seine arabisch-sunnitischen und kurdischen
Gegner, sondern auch schiitische Rivalen vor, sich durch Korruption und
Machtmissbrauch zum „neuen Saddam Hussein“ am Tigris aufzubauen.
Dennoch halten politische Analysten im Zweistromland einen erneuten
Wahlsieg Malikis für durchaus möglich. Nicht nur kontrolliert er die
Staatsfinanzen?, Militär und Polizei, die er skrupellos für seine
Interessen einsetzt, er verstand es auch raffiniert, die Uneinigkeit
seiner Gegner für seine Zwecke zu manipulieren. Wiewohl sich die große
Mehrheit der unzähligen politischen Gruppierungen in ihrem Widerstand
gegen eine dritte Amtsperiode Malikis einig ist, fehlt es der Opposition
an Vision und Führerpersönlichkeiten. Zwar haben sich erstmals
gemäßigte Islamisten? Unter Führung des jungen Schiitengeistlichen Ammar
al-Hakim gemeinsam mit säkularen Gruppen zur „Bürger-Koalition“
vereint, die dem Irak Hoffnung auf eine gemäßigte neue politische Kraft
gibt. Doch erscheint es eher ungewiss, dass diese Allianz unter einer
durch Hass-Slogans auf Angehörige der jeweils anderen konfessionellen
Gruppe verängstigten Bevölkerung eine entscheidende Mehrheit erhalten
kann.
Gewinnt Maliki tatsächlich eine dritte Amtsperiode und hält er an
seiner bisherigen politischen Strategie fest, dann droht dem Irak eine
neue Diktatur, noch mehr Gewalt durch radikale mit Al-Kaida verbündete
Grupopen und im schlimmsten Fall sogar die Spaltung des Landes. Schon
haben die Kurden ihre Bereitschaft bekräftigt, sich vollends vom Irak
loszulösen und neun andere Provinzen, sunnitische, aber auch überwiegend
von Schiiten bewohnte ölreiche Regionen fordern Autonomie.
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