Montag, 28. April 2014

LEXIKON: Parlamentswahlen im Irak

9.030 Kandidaten von 276 politischen Blöcke bewerben sich bei den Wahlen am 30. April um 328 Sitze des irakischen Parlaments.  21,5 Millionen Iraker sind aufgerufen, ihre Stimme in diesen Wahlen abzugeben, in denen Stammesloyalitäten und konfessionelle Zugehörigkeiten eine Schlüsselrolle spielen.
Größte Erfolgschancen besitzt die von Premier Maliki 2009 formierte „Allianz für den Rechtsstaat“ , ein Bündnis von zwölf Parteien und Gruppen, darunter Malikis eigener Dawa-Partei, der Badr-Organisation und der Unabhängigen unter dem gegenwärtigen stellvertretenden Premier Hussein Shahristani. Das Bündnis wurde jüngst jedoch durch zahlreiche Austritte geschwächt.
Ebenso erlitt Malikis stärkster Rivale bei den  Parlamentswahlen 2010, der unabhängige säkulare Schiit und Übergangspremier nach dem Sturz von Diktator Saddam Hussein 2003, Iyad Allawi schwere politische Verluste, als seine  „Iraqiyya Koalition“, die die wichtigsten arabisch-sunnitischen Gruppierungen für sich gewonnen und 2010 mit zwei Sitzen vor Maliki die Parlamentsmehrheit errang, auseinanderbrach.  Seine neuen „Nationalistischen Koalition“ vereint Allawi erneut Sunniten und Schiiten und kandidiert in allen arabischen Provinzen des Landes. Doch es fehlt ihr die Unterstützung der traditionellen Anhängerschaft Allawis. Zudem werden ihre Chancen angesichts der starken Polarisierung zwischen arabischen Sunniten und Schiiten als gering eingestuft. Ein attraktiver Konkurrenten ist die neue liberale „Zivilgesellschaftlichen Allianz“. Ihr gehören angesehene Technokraten und Persönlichkeiten mit langer Erfahrung in der Wirtschaft, im sozialen und politischen Leben an. Sie dürfte vor allem unter säkularen Kreisen und einem Teil der Jugend Stimmen gewinnen.
Die Schiiten aber sind tief gespalten. Der „Ahrar-Block“ des vom Iran unterstützten schiitischen Geistlichen Moktada Sadr unterstützt Maliki ebenso awenig wie der „Islamische Höchste Rat des Iraks“ unter Ammar al-Hakim, beide dem Iran nahestehende Gruppierungen. Hakims neue „Bürger-Koalition“ ist die einzige Gruppierung, die ein detailliertes Parteiprogramm präsentiert. Der junge Politiker aus einer angesehenen Familie islamischer Geistlicher hat sich von fundamentalistischen Ideen seiner Vorfahren gelöst und mit seiner neuen Koalition eine gemäßigte islamische Bewegung gegründet, der sich zahlreiche Persönlichkeiten der Bürgergesellschaft angeschlossen haben.  Sie gibt Hoffnung auf eine Annäherung zwischen gemäßigten islamischen und säkularen Bewegungen.
Im Gegensatz zu den Wahlen von 2010 sind auch die arabischen Sunniten tief gespalten. Parlamentssprecher Osama al-Nujaifi führt den „Mutahidoun“-Block und der stellvertretende Premier Saleh al-Mutlaq die „Arabiya“-Allianz. Mehrere prominente Sunnis aber rufen zum Wahlboykott. Auch die Kurden sind zerstritten: während die „Patriotische Union Kurdistans“ unter dem schwer erkranken Präsidenten Talabani hinter Maliki steht, will die „Demokratische Partei Kurdistans“ des kurdischen Regionalpräsidenten Barzani  eine dritte Amtsperiode des Premiers verhindern.
Wahlprognosen lassen sich im politischen Wirrwarr des Iraks kaum erstellen. Um eine legitime Regierung auf die Beine zu stellen, muss eine politische Gruppierung mindestens 165 Parlamentssitze erobern, nach der derzeitigen politischen Realität eine Unmöglichkeit. Kann sich Maliki etwa hundert Mandate sichern, dann, so meinen Analysten, könnte er ausreichend Bündnispartner aus anderen Gruppierungen  für eine dritte Amtsperiode gewinnen. Das große Feilschen beginnt erst nach den Wahlen, und es könnte, wie in der Vergangenheit, viele Monate dauern.

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