Mittwoch, 26. März 2014

Syrien-Krieg bedroht die Wiege der Weltkulturen

Panzer, Raketen und Räuber zielen hemmungslos auf die einzigartigen Schätze vergangener Reiche und großer Religionen – Unwiederbringliche Verluste
 
von Birgit Cerha
 

[Bild: Damaskus]
 Vor mehr als 5000 Jahren zog eine Armee von der mesopotamischen Stadt Uruk aus und marschierte Richtung Norden. Ihr Ziel war die blühende Handelsstadt Hamoukar, eine bittere Rivalin im Kampf um Reichtum und Macht. Mit Lehmkugeln und Schleudern massakrierten die Eindringlinge die überraschten Stadtbewohner, bevor sie die Häuser in Asche legten. Nach archäologischen Erkenntnissen war Hamoukar Opfer des ersten in großem Maßstab organisierten Krieges der Menschheitsgeschichte. Diese blutige Tragödie ereignete sich auf dem Boden des heutigen Nord-Ost-Syriens, der Provinz Hasaka, nahe der Grenze zum Irak. Jahrtausende später wiederholen sich auf dieser Erde nicht minder brutale Gemetzel, die ebenfalls historische Bedeutung gewinnen.
[Bild: Palmyra]
Das gigantische Ausmaß der menschlichen Tragödien, der Zahl der Toten, der Verwundeten, der Vertriebenen, rückt eine Tragödie ähnlicher Tragweite in den Hintergrund: die Zerstörung einzigartiger Schätze vergangener Reiche und großer Religionen. Die UNESCO und andere Experten-Organisationen warnen zutiefst alarmiert vor unwiederbringlichen Verlusten, die der Krieg in Syrien, die Skrupellosigkeit der Kämpfer beider Seiten der Weltkultur zufügen. Wenn Rebellen und Regierungssoldaten nicht vor dem massenhaften Tod unbeteiligter Zivilisten zurückschrecken, um wieviel weniger kümmern sie die Erhaltung kulturhistorischer Schätze. Strategischer Vorteil, koste es was es wolle, ist das Hauptkriterium ihres Handelns.
UN-Generalsekretär Ban Ki-moon fasste jüngst die tiefe Bedeutung der Attacken gegen kulturhistorische Stätten für das kollektive Gedächtnis einer gesamten Bevölkerung in eindringlichen Worten zusammen: „Wer das Erbe der Vergangenheit zerstört,  beraubt künftige Generationen eines starken Vermächtnisses, steigert Hass und Verzweiflung und untergräbt alle Versuche einer (nationalen) Versöhnung.“  Je länger der Krieg in Syrien tobt, desto größer werden die Schäden an diesem einzigartigen Erbe.
 
Dank seiner geografischen Lage besitzt Syrien einen weltweit herausragenden kulturhistorischen Reichtum. Das Gebiet des heutigen Syrien grenzte an die römischen und parthischen Reiche und nahm die Spuren aller wichtigen mittelöstlichen Zivilisationen auf. Von den frühen Hochkulturen im Zweistromland bis zu den Eroberungen des Islam kreuzten sich hier vier Jahrtausende lang die Einflussbereiche der Sumerer, Babylonier, Ägypter, Assyrer, Hethiter, Perser, Griechen und Römer. Hier entstanden Kirchen und Moscheen, die von den ersten Tagen der Christenheit und des Islam an ohne Unterbrechung mit Leben erfüllt sind. Tausende Stätten  auf syrischem Boden repräsentieren bis zu sechs Jahrtausende der Zivilisation. Architektonisches Wahrzeichen dieses Schmelztiegels der Kulturen ist die Wüstenstadt Palmyra, die parthische, hellenistische und römische Bauelemente zu einem einzigartigen Stil vereinte. Viele Errungenschaften der Menschheit, wie Landwirtschaft und Urbanisierung wurden erstmals in der Region des heutigen Syrien entwickelt.
Die UNESCO setzte jüngst sechs der herausragenden kulturhistorischen Stätten Syriens auf ihre Liste des bedrohten Welterbes. Alle sechs – Palmyra, Krak des Chevaliers, die „Toten Städte“, Aleppo, Damaskus und Bosra  - wurden in den vergangenen drei Kriegsjahren entweder beschädigt oder teilweise unwiederbringlich zerstört. Eine genaue Zwischenbilanz der Schäden lässt sich freilich im blutigen Kriegschaos Syriens nicht ziehen. Meist sind die Experten auf lokale Informanten, Fotos oder Videoaufnahmen angewiesen, die wissenschaftliche Einschätzungen fast unmöglich machen. Doch einige Fakten stehen unverrückbar fest. Sie sind dramatisch und versetzen Kulturliebhaber angesichts der Aussichtslosigkeit eines Waffenstillstandes in Panik.
 
[Bild: Umayyaden-Moschee in Aleppo vor und nach der Zerstörung des Minaretts]
 
Für den bisher schwersten Verlust der syrischen Kulturschätze halten Fachleute die totale Zerstörung des Minaretts der Umayyaden-Moschee von Aleppo, um  715 errichtet, galt es als eines der bedeutendsten mittelalterlichen Monumente Syriens und überstand zahlreiche Erdbeben, Feuersbrünste und Kriege. Seit  Juli 2012 diente die Moschee Regierungstruppen und der bewaffneten Opposition als Kampfstätte, erlitt unzählige Einschusslöcher und Brandschäden. Rebellen und Regierung schieben einander die Schuld am Einsturz des 45 Meter hohen Minaretts zu, das seit April 2013 in Schutt und Asche liegt.
Die gesamte Altstadt Aleppos zählt zu den größten Juwelen Syriens. Eine der ältesten Städte der Welt, verdankt sie historisch ihren  Reichtum der zentralen Lage an den Handelswegen zwischen Europa und dem Fernen Osten. Ihre Blütezeit erreichte sie im 16. Jahrhundert durch den Handel  mit Gewürzen und Seide aus Indien, China und dem Iran, die über Aleppo zu den italienischen Stadtstaaten transportiert wurden. Wundervolle Häuser, Karawansereien,  Moscheen, osmanische Badehäuser, neoklassische Säulengänge sind Zeugnisse der bedeutenden Rolle, die die Stadt im internationalen Handel gespielt hatte. Auf einer Fläche von 350 ha waren bis 2011 etwa 16.000 historische Häuser erhalten. Aleppos Altstadt galt als das größte traditionelle Wohngebiet der arabischen Welt und der sich über zwölf Kilometer erstreckende Suk al-Madina mit seinen Tausenden Marktständen und Geschäften als der größte des Mittleren Ostens. Aleppos Architektur ist ein Spiegelbild der multikulturellen Geschichte der Stadt, die Araber, Tscherkessen, Armenier, Aseris, Kurden, Muslime, Christen und – bis 1948 – Juden beherbergte.
 
[Bild: Suk al-Madina, Aleppo vor der Zerstörung]
 
Wegen ihrer strategischen Lage und der ökonomischen Bedeutung für Syrien ist die Stadt seit mehr als zwei Jahren heftig umkämpft. Teile des berühmten Suk al-Madina brannten im Oktober 2012 aus. Das Ausmaß der Zerstörungen in der Altstadt lässt sich vorerst nur erahnen. Und die Kämpfe gehen weiter.
Auch die mittelalterliche Zitadelle, von der aus die Stadt einst erfolgreich gegen die Kreuzfahrer verteidigt wurde, blieb nicht vom Krieg verschont. Kämpfe und Artillerie der Regierungssoldaten hinterließen ihre Spuren, zerstörten das mittelalterliche Eisentor und Historiker befürchten, dass auch der 5.000 Jahre alte Tempel Schaden erlitten hat. Noch mehr irritiert die Experten, dass die Ruinen der „Toten Städte“, der ehemals etwa 700 dörflichen Siedlungen aus spätrömischer und frühbyzantinischer Zeit, nahe von Aleppo,  als Schlachtfelder dienen.
 
[Bild: Suk von Aleppo heute]
 
Syrien besitzt einen Reichtum an Burgen, und sie alle spielen seit Beginn des Krieges eine wichtige militärische Rolle. Die herrausragendste unter ihnen, der Krak des Chevaliers, gilt unter Experten als das weltweit beste Beispiel mittelalterlicher Festungs-Architektur, einzigartig in der Region, weil sie in ihren umfangreichen Dimension fast vollständig erhalten ist. Der Krak thront auf einem Hügel am Rande des Alewitengebirges. Diese perfekte strategische Lage ermöglichte ihm auch in der Vergangenheit die Kontrolle über die Ebene um Syriens drittgrößte Stadt Homs. Im Volksmund wird sie „Hisn al-Akräd“ (Kurden-Burg) genannt, denn 1031 hatte der Emir von Homs auf diesem Hügel die erste Befestigungsanlage für eine kurdische Militärkolonie zum Schutz des Gebietes und der Stadt errichtet. In ihrer langen Geschichte war der Krak stetes Objekt der Begierde. Erdbeben machten ihm ebenso schwer zu schaffen, wie zahlreiche Kämpfe und Herrscherwechsel. Den Kreuzrittern diente die Burg als wichtiger Stützpunkt und die Johanniter bauten sie im zwölften Jahrhundert zu einem Bollwerk aus. Ihre heutige Form erhielt sie von den muslimischen Mamluken, die die Festung schließlich im 13. Jahrhundert eroberten.
Heute lässt sich vom „Krak des Chevalliers“ die wichtige Verbindungsstraße zwischen Homs und der Mittelmeerstadt Tartous kontollieren und vor allem Gas- und Ölpipelines, sowie Hochspannungsleitungen , die in der Nähe verlaufen. Vier Monate nach Kriegsbeginn hatten Rebellen, denen sich später auch die mit Al-Kaida verbündete „Al-Nusra“ anschloss, die Burg besetzt und erst am 20. März dieses Jahres gelang es Regierungstruppen, die wiederholt von ihnen bombardierte Festung wieder zu erobern. Augenzeugen berichten, dass die äußeren, ngewöhnlich dicken Kalksteinmauern weitgehend unbeschädigt sind, doch Brände im Inneren hätten Schäden angerichtet. Torbögen seien zusammengebrochen. Eines der größten Gebäude auf dem Burggelände sei demoliert. Und der Krak bleibt im Zentrum der Kämpfe.
 
[Bild: Zitadelle von Aleppo]
 
Eine lange Reihe von antiken Stätten hat der Krieg nicht verschont, Teile von Damaskus,  Bosra, das von aramäisch sprechenden Christen bewohnte Maloula ider die greco-romanische Stadt Apamea, in der die Zitadelle bombardiert und Plünderer antike Mosaike aus Ruinen sprengten. Die sagenumwobene Wüstenstadt Palmyra wurde mit Mörsergranaten beschossen. Splittereinschläge an den Säulen des Baal-Tempels zeugen davon. Im Internet sind Bilder von Regierungspanzern zu sehen, die über die einzigartige römische Säulenstraße rollten.
Wo Syriens Kulturerbe nicht in die Schusslinie gerät, wird es stückweise geraubt. In großem Stil wurden nicht nur Museen geplündert,  auch Raubgrabungen werden immer intensiver von organisierten kriminellen Banden durchgeführt, die sich zunehmend auf ein dichtes Netzwerk von Schmugglern stützen. Nach Berichten von Händlern in Jordanien und im Libanon ist der Markt von syrischen Kunstgegenständen derzeit überflutet, doch wegen der Vielfalt des syrischen Kulturerbes sehr gefragt. Der Schmuggel erreicht nach Ansicht von Experten ein „beispielloses Ausmaß“. Sein zerstörerischer Schaden übertrifft noch weit jenen durch kriegerische Attacken.
 
 
[Bild. Krak des Chevaliers]
 
Und dem syrischen Kulturerbe droht neue Gefahr. Während Rebellen zunehmend systematischen Schmuggel zum Zweck des Waffenkaufes betreiben, begannen fundamentalistische Jihadis aus radikal-religiösen Gründen mit der Zerstörung von antiken Schätzen, wie byzantinischer Mosaiken,  griechischer und römischer Statuen, denn die Darstellung von Menschen widerspricht ihren religiösen Überzeugungen. Kulturhistoriker befürchten, Radikale könnten aus diesem Grund antike Schätze in großem Stil demolieren und damit einen weiteren Beitrag zur Zerstörung der syrischen Identität leisten.
 

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