Panzer,
Raketen und Räuber zielen hemmungslos auf die einzigartigen Schätze
vergangener Reiche und großer Religionen – Unwiederbringliche Verluste
von Birgit Cerha
[Bild: Damaskus]
Vor
mehr als 5000 Jahren zog eine Armee von der mesopotamischen Stadt Uruk
aus und marschierte Richtung Norden. Ihr Ziel war die blühende
Handelsstadt Hamoukar, eine bittere Rivalin im Kampf um Reichtum und
Macht. Mit Lehmkugeln und Schleudern massakrierten die Eindringlinge die
überraschten Stadtbewohner, bevor sie die Häuser in Asche legten. Nach
archäologischen Erkenntnissen war Hamoukar Opfer des ersten in großem
Maßstab organisierten Krieges der Menschheitsgeschichte. Diese blutige
Tragödie ereignete sich auf dem Boden des heutigen Nord-Ost-Syriens, der
Provinz Hasaka, nahe der Grenze zum Irak. Jahrtausende später
wiederholen sich auf dieser Erde nicht minder brutale Gemetzel, die
ebenfalls historische Bedeutung gewinnen.
[Bild: Palmyra]
Das
gigantische Ausmaß der menschlichen Tragödien, der Zahl der Toten, der
Verwundeten, der Vertriebenen, rückt eine Tragödie ähnlicher Tragweite
in den Hintergrund: die Zerstörung einzigartiger Schätze vergangener
Reiche und großer Religionen. Die UNESCO und andere
Experten-Organisationen warnen zutiefst alarmiert vor
unwiederbringlichen Verlusten, die der Krieg in Syrien, die
Skrupellosigkeit der Kämpfer beider Seiten der Weltkultur zufügen. Wenn
Rebellen und Regierungssoldaten nicht vor dem massenhaften Tod
unbeteiligter Zivilisten zurückschrecken, um wieviel weniger kümmern sie
die Erhaltung kulturhistorischer Schätze. Strategischer Vorteil, koste
es was es wolle, ist das Hauptkriterium ihres Handelns.
UN-Generalsekretär
Ban Ki-moon fasste jüngst die tiefe Bedeutung der Attacken gegen
kulturhistorische Stätten für das kollektive Gedächtnis einer gesamten
Bevölkerung in eindringlichen Worten zusammen: „Wer das Erbe der
Vergangenheit zerstört, beraubt künftige Generationen
eines starken Vermächtnisses, steigert Hass und Verzweiflung und
untergräbt alle Versuche einer (nationalen) Versöhnung.“ Je länger der Krieg in Syrien tobt, desto größer werden die Schäden an diesem einzigartigen Erbe.
Dank
seiner geografischen Lage besitzt Syrien einen weltweit herausragenden
kulturhistorischen Reichtum. Das Gebiet des heutigen Syrien grenzte an
die römischen und parthischen Reiche und nahm die Spuren aller wichtigen
mittelöstlichen Zivilisationen auf. Von den frühen Hochkulturen im
Zweistromland bis zu den Eroberungen des Islam kreuzten sich hier vier
Jahrtausende lang die Einflussbereiche der Sumerer, Babylonier, Ägypter,
Assyrer, Hethiter, Perser, Griechen und Römer. Hier entstanden Kirchen
und Moscheen, die von den ersten Tagen der Christenheit und des Islam an
ohne Unterbrechung mit Leben erfüllt sind. Tausende Stätten auf
syrischem Boden repräsentieren bis zu sechs Jahrtausende der
Zivilisation. Architektonisches Wahrzeichen dieses Schmelztiegels der
Kulturen ist die Wüstenstadt Palmyra, die parthische, hellenistische und
römische Bauelemente zu einem einzigartigen Stil vereinte. Viele
Errungenschaften der Menschheit, wie Landwirtschaft und Urbanisierung
wurden erstmals in der Region des heutigen Syrien entwickelt.
Die
UNESCO setzte jüngst sechs der herausragenden kulturhistorischen
Stätten Syriens auf ihre Liste des bedrohten Welterbes. Alle sechs –
Palmyra, Krak des Chevaliers, die „Toten Städte“, Aleppo, Damaskus und
Bosra - wurden in den vergangenen drei Kriegsjahren
entweder beschädigt oder teilweise unwiederbringlich zerstört. Eine
genaue Zwischenbilanz der Schäden lässt sich freilich im blutigen
Kriegschaos Syriens nicht ziehen. Meist sind die Experten auf lokale
Informanten, Fotos oder Videoaufnahmen angewiesen, die wissenschaftliche
Einschätzungen fast unmöglich machen. Doch einige Fakten stehen
unverrückbar fest. Sie sind dramatisch und versetzen Kulturliebhaber
angesichts der Aussichtslosigkeit eines Waffenstillstandes in Panik.
Für
den bisher schwersten Verlust der syrischen Kulturschätze halten
Fachleute die totale Zerstörung des Minaretts der Umayyaden-Moschee von
Aleppo, um 715 errichtet, galt es als eines der
bedeutendsten mittelalterlichen Monumente Syriens und überstand
zahlreiche Erdbeben, Feuersbrünste und Kriege. Seit Juli
2012 diente die Moschee Regierungstruppen und der bewaffneten Opposition
als Kampfstätte, erlitt unzählige Einschusslöcher und Brandschäden.
Rebellen und Regierung schieben einander die Schuld am Einsturz des 45
Meter hohen Minaretts zu, das seit April 2013 in Schutt und Asche liegt.
Die
gesamte Altstadt Aleppos zählt zu den größten Juwelen Syriens. Eine der
ältesten Städte der Welt, verdankt sie historisch ihren Reichtum
der zentralen Lage an den Handelswegen zwischen Europa und dem Fernen
Osten. Ihre Blütezeit erreichte sie im 16. Jahrhundert durch den Handel mit
Gewürzen und Seide aus Indien, China und dem Iran, die über Aleppo zu
den italienischen Stadtstaaten transportiert wurden. Wundervolle Häuser,
Karawansereien, Moscheen, osmanische Badehäuser,
neoklassische Säulengänge sind Zeugnisse der bedeutenden Rolle, die die
Stadt im internationalen Handel gespielt hatte. Auf einer Fläche von 350
ha waren bis 2011 etwa 16.000 historische Häuser erhalten. Aleppos
Altstadt galt als das größte traditionelle Wohngebiet der arabischen
Welt und der sich über zwölf Kilometer erstreckende Suk al-Madina mit
seinen Tausenden Marktständen und Geschäften als der größte des
Mittleren Ostens. Aleppos Architektur ist ein Spiegelbild der
multikulturellen Geschichte der Stadt, die Araber, Tscherkessen,
Armenier, Aseris, Kurden, Muslime, Christen und – bis 1948 – Juden
beherbergte.
[Bild: Suk al-Madina, Aleppo vor der Zerstörung]
Wegen ihrer strategischen Lage und
der ökonomischen Bedeutung für Syrien ist die Stadt seit mehr als zwei
Jahren heftig umkämpft. Teile des berühmten Suk al-Madina brannten im
Oktober 2012 aus. Das Ausmaß der Zerstörungen in der Altstadt lässt sich
vorerst nur erahnen. Und die Kämpfe gehen weiter.
Auch
die mittelalterliche Zitadelle, von der aus die Stadt einst erfolgreich
gegen die Kreuzfahrer verteidigt wurde, blieb nicht vom Krieg
verschont. Kämpfe und Artillerie der Regierungssoldaten hinterließen
ihre Spuren, zerstörten das mittelalterliche Eisentor und Historiker
befürchten, dass auch der 5.000 Jahre alte Tempel Schaden erlitten hat.
Noch mehr irritiert die Experten, dass die Ruinen der „Toten Städte“,
der ehemals etwa 700 dörflichen Siedlungen aus spätrömischer und
frühbyzantinischer Zeit, nahe von Aleppo, als Schlachtfelder dienen.
[Bild: Suk von Aleppo heute]
Syrien
besitzt einen Reichtum an Burgen, und sie alle spielen seit Beginn des
Krieges eine wichtige militärische Rolle. Die herrausragendste unter
ihnen, der Krak des Chevaliers, gilt unter Experten als das weltweit
beste Beispiel mittelalterlicher Festungs-Architektur, einzigartig in
der Region, weil sie in ihren umfangreichen Dimension fast vollständig
erhalten ist. Der Krak thront auf einem Hügel am Rande des
Alewitengebirges. Diese perfekte strategische Lage ermöglichte ihm auch
in der Vergangenheit die Kontrolle über die Ebene um Syriens drittgrößte
Stadt Homs. Im Volksmund wird sie „Hisn al-Akräd“ (Kurden-Burg)
genannt, denn 1031 hatte der Emir von Homs auf diesem Hügel die erste
Befestigungsanlage für eine kurdische Militärkolonie zum Schutz des
Gebietes und der Stadt errichtet. In ihrer langen Geschichte war der
Krak stetes Objekt der Begierde. Erdbeben machten ihm ebenso schwer zu
schaffen, wie zahlreiche Kämpfe und Herrscherwechsel. Den Kreuzrittern
diente die Burg als wichtiger Stützpunkt und die Johanniter bauten sie
im zwölften Jahrhundert zu einem Bollwerk aus. Ihre heutige Form erhielt
sie von den muslimischen Mamluken, die die Festung schließlich im 13.
Jahrhundert eroberten.
Heute lässt sich vom „Krak des
Chevalliers“ die wichtige Verbindungsstraße zwischen Homs und der
Mittelmeerstadt Tartous kontollieren und vor allem Gas- und Ölpipelines,
sowie Hochspannungsleitungen , die in der Nähe verlaufen. Vier Monate
nach Kriegsbeginn hatten Rebellen, denen sich später auch die mit
Al-Kaida verbündete „Al-Nusra“ anschloss, die Burg besetzt und erst am
20. März dieses Jahres gelang es Regierungstruppen, die wiederholt von
ihnen bombardierte Festung wieder zu erobern. Augenzeugen berichten,
dass die äußeren, ngewöhnlich dicken Kalksteinmauern weitgehend
unbeschädigt sind, doch Brände im Inneren hätten Schäden angerichtet.
Torbögen seien zusammengebrochen. Eines der größten Gebäude auf dem
Burggelände sei demoliert. Und der Krak bleibt im Zentrum der Kämpfe.
[Bild: Zitadelle von Aleppo]
Eine lange Reihe von antiken Stätten hat der Krieg nicht verschont, Teile von Damaskus, Bosra,
das von aramäisch sprechenden Christen bewohnte Maloula ider die
greco-romanische Stadt Apamea, in der die Zitadelle bombardiert und
Plünderer antike Mosaike aus Ruinen sprengten. Die sagenumwobene
Wüstenstadt Palmyra wurde mit Mörsergranaten beschossen.
Splittereinschläge an den Säulen des Baal-Tempels zeugen davon. Im
Internet sind Bilder von Regierungspanzern zu sehen, die über die
einzigartige römische Säulenstraße rollten.
Wo Syriens Kulturerbe nicht in die
Schusslinie gerät, wird es stückweise geraubt. In großem Stil wurden
nicht nur Museen geplündert, auch Raubgrabungen werden
immer intensiver von organisierten kriminellen Banden durchgeführt, die
sich zunehmend auf ein dichtes Netzwerk von Schmugglern stützen. Nach
Berichten von Händlern in Jordanien und im Libanon ist der Markt von
syrischen Kunstgegenständen derzeit überflutet, doch wegen der Vielfalt
des syrischen Kulturerbes sehr gefragt. Der Schmuggel erreicht nach
Ansicht von Experten ein „beispielloses Ausmaß“. Sein zerstörerischer
Schaden übertrifft noch weit jenen durch kriegerische Attacken.
[Bild. Krak des Chevaliers]
Und
dem syrischen Kulturerbe droht neue Gefahr. Während Rebellen zunehmend
systematischen Schmuggel zum Zweck des Waffenkaufes betreiben, begannen
fundamentalistische Jihadis aus radikal-religiösen Gründen mit der
Zerstörung von antiken Schätzen, wie byzantinischer Mosaiken, griechischer
und römischer Statuen, denn die Darstellung von Menschen widerspricht
ihren religiösen Überzeugungen. Kulturhistoriker befürchten, Radikale
könnten aus diesem Grund antike Schätze in großem Stil demolieren und
damit einen weiteren Beitrag zur Zerstörung der syrischen Identität
leisten.
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