Dienstag, 25. März 2014

529 Todesurteil gegen Moslembrüder in Ägypten

Massenprozess wurde zur Farce und steigert die Ängste vor einer noch brutaleren Diktatur
 
Familienangehörige der Verurteilten brachen vor dem Gericht im oberägyptischen Minya zusammen, Sympathisanten,  liberale Kreise und Menschenrechtsaktivisten reagierten geschockt, als Richter Said Youssef Sabri 529 Mal wegen Gewalt, Vandalismus gegen Staatsbesitz und Mord an einem Polizisten das Todesurteil verkündete. 16 der angeklagten Anhänger des im Juli 2013 gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi erhielten Freisprüche, rund 380 wurden in absentia verurteilt. „Eine Katastrophe“, ein „Skandal für Ägypten“, „Justizirrtum“  lauten empörte Reaktionen von Menschenrechtsaktivisten.
Die Angeklagten waren im August 2013 bei Gewaltausbrüchen in Minya nach der der blutigen Räumung der Protestlager der Anhänger Mursis in Kairo festgenommen worden. 1.400 Menschen waren dabei ums Leben gekommen.  
Der Richter fällt nach nur zwei Gerichtsverhandlungen sein Urteil ohne Beweisführung und ohne Zeugenbefragung. Die Verteidiger hatten keine Möglichkeit, Hunderte Seiten der Anklageschriften überhaupt zu studieren.  Nach Ansicht von Rechtsexperten wurde die ägyptische Prozessordnung schwer verletzt. Den Verurteilten steht das Recht auf Berufung zu und die Todesurteile müssen nach ägyptischer Tradition von der höchsten religiösen Instanz, dem Grossmufti, gebilligt werden.
Das Verfahren war Teil eines Massenprozesses gegen insgesamt mehr als 1.200 Moslembrüder, darunter auch deren Geistlichen Führer Mohammed Badie und dem Führer des politischen Flügels der unterdessen verbotenen Massenbewegung, Saad al-Katatny. der in den nächsten Tagen fortgesetzt wird.
Das Urteil gilt als einzigartig in der jüngeren Geschichte Ägyptens. Massenprozesse zur Einschüchterung der Bevölkerung sind am Nil keineswegs neu. Der gestürzte Diktator Mubarak hatte u.a. mit dieser Methode den islamistischen Terror der 1980er Jahre nicht ohne Erfolg bekämpft. Seit dem Sturz Mursis nahm diese Form der Justiz, wie die Repression insgesamt allerdings dramatisch zu. Mursi selbst muss sich in einem solchen, wie in mehreren anderen Verfahren wegen zahlreicher angeblicher Verbrechen verantworten. Neu ist jedoch das rasante Tempo des Verfahrens ohne den geringsten Anschein von Fairness. Traditionell werden Todesurteile in Ägypten häufig verhängt, doch in den vergangenen Jahren wurden nur wenige exekutiert.
Die weithin schockierende Gerichtsentscheidung ist Höhepunkt einer beispiellosen Repressionswelle, durch die das vom Militär abgestützte Übergangsregime seit seiner Machtübernahme nach Massendemonstrationen gegen Mursi am 3. Juli die Moslembruderschaft des gestürzten Präsidenten zu zerschlagen hofft. Rund 16.000 Menschen – mutmaßliche Anhänger der Bruderschaft, aber auch viele Unbeteiligte sitzen seither in Gefängnissen. Die Repression richtet sich mehr und mehr auch gegen die Medien, gegen Kritiker im Allgemeinen und insbesondere auch gegen liberale und säkulare Kreise, die die Revolution gegen Mubarak geführt hatten und zunehmend das brutale Vorgehen der neuen Führer kritisieren. In einem Brief aus dem Gefängnis klagt der revolutionäre Aktivist Alaa Abd El Fattah: „Jeder weiß, dass die meisten Gefangenen jung sind und dass die Repression auf eine ganze Generation zielt, um diese einem Regime zu unterwerfen, das die tiefe Kluft zu dieser Generation begriffen hat“ und sie nicht mit ihnen verständigen könne oder wolle.
Hinter den Kulissen kehrt die alte Garde Mubaraks wieder zurück an die Macht. Durch die jüngste Regierungsumbildung wurden die letzten Verbindungen, die noch zu den Aktivisten der Revolution vom 25. Januar 2011 bestanden hatten entfernt. Ägyptische Analysten, wie Michael Hanna, aber sind überzeugt, dass nicht, wie weithin vermutet, der Coup-Führer von 2013, Feldmarschall Al-Sisi die Zügel der Macht fest in Händen hält. Er koordiniere keineswegs direkt die Repression. Vielmehr herrscht seiner Ansicht nach am Nil ein Machtvakuum, das gewisse Kräfte nützen, um durch Repression ihre eigenen Machtpositionen zu festigen.

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