Mit gescheiterter diplomatischer Option droht der dreijährige Kriegshorror das gequälte Land noch viele Jahre lang auszubluten
von Birgit Cerha
Während Syrien sein viertes Kriegsjahr beginnt, feiert das
Assad-Regime einen kleinen, aber wichtigen strategischen Sieg: die Befreiung, dank intensiver der
libanesischen Hisbollah, von Yabroud, der letzten größeren Rebellenbastion an
der Grenze zum Libanon. Damit hofft Assad, den Landweg von Damaskus zu seiner
alawitischen Hochburg am Mittelmeer abzusichern und seinen Feinden die wichtige
Nachschubroute aus dem Libanon abzuschneiden. Wieder ein militärischer
Fortschritt in einer Serie kleiner Geländegewinne, die dem Regime seit vielen
Wochen mehr und mehr Selbstbewusstsein und Entschlossenheit bescheren, den
Krieg - ungeachtet der mehr als 140.000 Toten, darunter mindestens 10.000 Kinder, der rund neun Millionen
Vertriebenen und gigantischer Zerstörungen - gnadenlos fortzusetzen. Die
diplomatische Option ist nach der gescheiterten „Genf II“-Konferenz im Januar vom
Tisch und Berichte aus Diplomaten-, Geheimdienst- und Rebellenkreisen lassen
erkennen, dass selbst der bisher so zurückhaltende US-Präsident Obama nun auf
die militärische Option setzt.
Die drei Jahre des Krieges haben nicht nur unter der
Zivilbevölkerung und den Rebellen gigantische Opfer gefordert, sondern auch das
Regime und seine Kämpfer so geschwächt, dass es sich mehr und mehr auf
verbündete ausländische Milizen – Hisbollah und schiitische Kämpfer aus dem
Irak – stützt. In zwölf der 14 syrischen Provinzen führen Regierungskräfte Tag
für Tag an die hundert Militäroperationen durch, die von Scud-Raketenangriffen,
zerstörerischen Schlägen mit Fassbomben
zu kleineren Gefechten mit Rebellen reichen. Dabei verfolgt das Regime mit
konsequenter Strategie und selbst für Experten überraschender
Durchhaltungskraft das Ziel, sich die
bedrohte Macht zu retten, so weit wie möglich wieder die Kontrolle über das
Land zu gewinnen, die bewaffnete Opposition zu einer beherrschbaren „Terrorgefahr“
zu schwächen und die politischen Gegner zu einer irrelevanten Exilbewegung zu
degradieren. Während sich Assad nun darauf konzentriert, wieder
seine Macht zu konsolidieren – und damit auch nicht vor dem Zynismus
zurückschreckt, sich inmitten einer einzigartigen humanitären Katastrophe
wiederwählen zu lassen – hält er unvermindert an der Position fest: kein
Gespräch mit seinen Gegnern, keine endgültige Aufgabe verlorenen Territoriums,
das Zug um Zug zurückzuerobern ist; Belagerung, Bombardierungen von
Stadtvierteln und Regionen, die von Rebellen kontrolliert werden, mit dem Ziel
die Bewohner in die Flucht zu treiben und den Feinden den Rückhalt in der Bevölkerung
zu rauben; „‘Befriedung“ der Gebiete, die die Opposition unterstützten;
„Sicherheitsoperationen“ (Verhaftungen,
Folter, Einschüchterungsmaßnahmen) um ein lokales Wiederaufflammen der
Rebellion zu verhindern.
Unterdessen drängt Ahmad Jarba, Chef der vom Westen
unterstützten „Syrischen Nationalen Koalition“ die internationalen Verbündeten,
doch endlich ihre Versprechungen zu realisieren und die Rebellen mit schweren
Waffen auszustatten: „Die Zeit ist gekommen, der Diplomatie einen zweiten Rang
zu geben und das Gleichgewicht der Kräfte auf dem Schlachtfeld zu verändern.“
Zugleich aber verstärkten sich Hinweise, dass der US-Kongress geheime
Unterstützung syrischer Rebellen wieder aufgenommen hat, um – gemeinsam mit
Millionen von Dollar und Waffenhilfe aus Saudi-Arabien - von einem geheimen Kommandozentrum in
Jordanien aus eine „Südfront“ gegen das Assad-Regime aufzubauen. Nach Berichten
aus der Region gelangten in den vergangenen Wochen Unmengen von kleinen Waffen,
Munition, Panzerfäusten und Granatwerfern insbesondere dank saudischer Hilfe zu
Stützpunkten Einheiten der „Freien syrischen Armee“ (FSA)in Jordanien. Darunter
sollen nach informierten Kreisen auch mobile Anti-Flugzeugraketen, sog.
„Manpads“ chinesischer Produktion aus saudischen Arsenalen sein, die Riad auf
US-Druck den Rebellen bisher vorenthalten hatte, deren Besitz aber die
Schlagkraft der Assad-Gegner empfindlich verstärken könnte.
Eine Umstrukturierung der FSA zählt zu den wichtigsten
Vorbereitungen einer offenbar geplanten „Frühjahrsoffensive“, die, vom
jordanischen Grenzgebiet gesteuert, in der syrischen Provinz Deraa beginnen und
Damaskus erreichen soll. Hauptempfänger
der verstärkten Waffenlieferungen ist Bashar al-Zoubi, der neue Kommandant der
„Südfront“, einer Koalition von 49 bewaffneten Gruppen – insgesamt 30.000
Kämpfern. Al-Zoubi werden enge Beziehungen zu westlichen und arabischen
Geheimdiensten, wie dem jordanischen König Abdullah nachgesagt. Er genießt
unter den Stämmen in Süd-Syrien beträchtliches Ansehen und gilt als eine
„Stimme der Mäßigung“, die sich für eine repräsentative Regierung in einem
Syrien nach Assad einsetzt. Washington hofft offenbar, dass unter seiner
Führung Waffen nicht, wie in der Nordfront, in die Hände von radikalen, mit dem
Al-Kaida Netzwerk verbündete Islamisten gelangen. In Süd-Syrien sind die
extremistischen Jihadis weit schwächer präsent als im Norden. Washington dürfte laut Geheimdienstkreisen
deshalb bereit sein, mit saudischer Hilfe der FSA unter Al-Zoubi modernere und
schlagkräftigere Waffen zu liefern als den Gesinnungsgenossen im Norden, um
damit die gemäßigten Kräfte unter den Feinden Assads als Gegengewicht zu den
radikalen Islamisten entscheidend zu stärken. Voraussetzung für einen Erfolg
dieser Strategie, die den Sturm auf Damaskus zum Ziel hat, ist eine Vereinigung
von Dutzenden Kampfgruppen in Süd-Syrien. Ob dies Al-Zoubi gelingen kann, ist zwar nicht sicher, besitzt
jedoch einige Chance. Denn im Gegensatz zu Nord-Syrien, hat sich die FSA im
Süden in die lokalen Gemeinschaften und Stammesverbände integriert, die damit
eher bereit sein könnten, sich einer in Zukunft vielleicht besser ausgerüsteten
FSA unter Zoubi – und nicht der mit Al-Kaida verbündeten „Nusra“ anzuschließen.
Vertreter der FSA sind davon überzeugt, dass die „Frühjahrsoffensive“ ihre
„letzte militärische Chance“ sei. Sollte diese fehlschlagen oder keine
signifikanten Erfolge erzielen, würden diese gemäßigten Rebellengruppen ihren
Status im Land und die Unterstützung von
außen verlieren.
Ziel der Offensive ist nicht der Sturz Assads, sondern eine
Verschiebung des militärischen Gleichgewichts, dass das Regime zu seriösen Verhandlungen
über eine Machtübergabe zwingen würde. „Bomben (des Westens) für den Frieden“,
lautet die Strategie. Für die gequälte syrische Bevölkerung bedeutet dies noch
mehr Leid, noch mehr Blut und noch mehr Tote – ein Krieg, der vielleicht, so
fürchten Experten, noch Dutzende von Jahren toben werde.
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