Sonntag, 16. März 2014

Syrien: „Bomben für den Frieden“

Mit gescheiterter diplomatischer Option droht der dreijährige Kriegshorror das gequälte Land noch viele Jahre lang auszubluten

 
von Birgit Cerha
 
Während Syrien sein viertes Kriegsjahr beginnt, feiert das Assad-Regime einen kleinen, aber wichtigen strategischen Sieg:  die Befreiung, dank intensiver der libanesischen Hisbollah, von Yabroud, der letzten größeren Rebellenbastion an der Grenze zum Libanon. Damit hofft Assad, den Landweg von Damaskus zu seiner alawitischen Hochburg am Mittelmeer abzusichern und seinen Feinden die wichtige Nachschubroute aus dem Libanon abzuschneiden. Wieder ein militärischer Fortschritt in einer Serie kleiner Geländegewinne, die dem Regime seit vielen Wochen mehr und mehr Selbstbewusstsein und Entschlossenheit bescheren, den Krieg - ungeachtet der mehr als 140.000 Toten, darunter mindestens  10.000 Kinder, der rund neun Millionen Vertriebenen und gigantischer Zerstörungen - gnadenlos fortzusetzen. Die diplomatische Option ist nach der gescheiterten „Genf II“-Konferenz im Januar vom Tisch und Berichte aus Diplomaten-, Geheimdienst- und Rebellenkreisen lassen erkennen, dass selbst der bisher so zurückhaltende US-Präsident Obama nun auf die militärische Option setzt.
Die drei Jahre des Krieges haben nicht nur unter der Zivilbevölkerung und den Rebellen gigantische Opfer gefordert, sondern auch das Regime und seine Kämpfer so geschwächt, dass es sich mehr und mehr auf verbündete ausländische Milizen – Hisbollah und schiitische Kämpfer aus dem Irak – stützt. In zwölf der 14 syrischen Provinzen führen Regierungskräfte Tag für Tag an die hundert Militäroperationen durch, die von Scud-Raketenangriffen, zerstörerischen  Schlägen mit Fassbomben zu kleineren Gefechten mit Rebellen reichen. Dabei verfolgt das Regime mit konsequenter Strategie und selbst für Experten überraschender Durchhaltungskraft  das Ziel, sich die bedrohte Macht zu retten, so weit wie möglich wieder die Kontrolle über das Land zu gewinnen, die bewaffnete Opposition zu einer beherrschbaren „Terrorgefahr“ zu schwächen und die politischen Gegner zu einer irrelevanten Exilbewegung zu degradieren.  Während  sich Assad nun darauf konzentriert, wieder seine Macht zu konsolidieren – und damit auch nicht vor dem Zynismus zurückschreckt, sich inmitten einer einzigartigen humanitären Katastrophe wiederwählen zu lassen – hält er unvermindert an der Position fest: kein Gespräch mit seinen Gegnern, keine endgültige Aufgabe verlorenen Territoriums, das Zug um Zug zurückzuerobern ist; Belagerung, Bombardierungen von Stadtvierteln und Regionen, die von Rebellen kontrolliert werden, mit dem Ziel die Bewohner in die Flucht zu treiben und den Feinden den Rückhalt in der Bevölkerung zu rauben; „‘Befriedung“ der Gebiete, die die Opposition unterstützten; „Sicherheitsoperationen“  (Verhaftungen, Folter, Einschüchterungsmaßnahmen) um ein lokales Wiederaufflammen der Rebellion zu verhindern.
Unterdessen drängt Ahmad Jarba, Chef der vom Westen unterstützten „Syrischen Nationalen Koalition“ die internationalen Verbündeten, doch endlich ihre Versprechungen zu realisieren und die Rebellen mit schweren Waffen auszustatten: „Die Zeit ist gekommen, der Diplomatie einen zweiten Rang zu geben und das Gleichgewicht der Kräfte auf dem Schlachtfeld zu verändern.“ Zugleich aber verstärkten sich Hinweise, dass der US-Kongress geheime Unterstützung syrischer Rebellen wieder aufgenommen hat, um – gemeinsam mit Millionen von Dollar und Waffenhilfe aus Saudi-Arabien -  von einem geheimen Kommandozentrum in Jordanien aus eine „Südfront“ gegen das Assad-Regime aufzubauen. Nach Berichten aus der Region gelangten in den vergangenen Wochen Unmengen von kleinen Waffen, Munition, Panzerfäusten und Granatwerfern insbesondere dank saudischer Hilfe zu Stützpunkten Einheiten der „Freien syrischen Armee“ (FSA)in Jordanien. Darunter sollen nach informierten Kreisen auch mobile Anti-Flugzeugraketen, sog. „Manpads“ chinesischer Produktion aus saudischen Arsenalen sein, die Riad auf US-Druck den Rebellen bisher vorenthalten hatte, deren Besitz aber die Schlagkraft der Assad-Gegner empfindlich verstärken könnte.
Eine Umstrukturierung der FSA zählt zu den wichtigsten Vorbereitungen einer offenbar geplanten „Frühjahrsoffensive“, die, vom jordanischen Grenzgebiet gesteuert, in der syrischen Provinz Deraa beginnen und Damaskus erreichen soll.  Hauptempfänger der verstärkten Waffenlieferungen ist Bashar al-Zoubi, der neue Kommandant der „Südfront“, einer Koalition von 49 bewaffneten Gruppen – insgesamt 30.000 Kämpfern. Al-Zoubi werden enge Beziehungen zu westlichen und arabischen Geheimdiensten, wie dem jordanischen König Abdullah nachgesagt. Er genießt unter den Stämmen in Süd-Syrien beträchtliches Ansehen und gilt als eine „Stimme der Mäßigung“, die sich für eine repräsentative Regierung in einem Syrien nach Assad einsetzt. Washington hofft offenbar, dass unter seiner Führung Waffen nicht, wie in der Nordfront, in die Hände von radikalen, mit dem Al-Kaida Netzwerk verbündete Islamisten gelangen. In Süd-Syrien sind die extremistischen Jihadis weit schwächer präsent als im Norden.  Washington dürfte laut Geheimdienstkreisen deshalb bereit sein, mit saudischer Hilfe der FSA unter Al-Zoubi modernere und schlagkräftigere Waffen zu liefern als den Gesinnungsgenossen im Norden, um damit die gemäßigten Kräfte unter den Feinden Assads als Gegengewicht zu den radikalen Islamisten entscheidend zu stärken. Voraussetzung für einen Erfolg dieser Strategie, die den Sturm auf Damaskus zum Ziel hat, ist eine Vereinigung von Dutzenden Kampfgruppen in Süd-Syrien. Ob dies Al-Zoubi  gelingen kann, ist zwar nicht sicher, besitzt jedoch einige Chance. Denn im Gegensatz zu Nord-Syrien, hat sich die FSA im Süden in die lokalen Gemeinschaften und Stammesverbände integriert, die damit eher bereit sein könnten, sich einer in Zukunft vielleicht besser ausgerüsteten FSA unter Zoubi – und nicht der mit Al-Kaida verbündeten „Nusra“ anzuschließen. Vertreter der FSA sind davon überzeugt, dass die „Frühjahrsoffensive“ ihre „letzte militärische Chance“ sei. Sollte diese fehlschlagen oder keine signifikanten Erfolge erzielen, würden diese gemäßigten Rebellengruppen ihren Status im Land  und die Unterstützung von außen verlieren.
Ziel der Offensive ist nicht der Sturz Assads, sondern eine Verschiebung des militärischen Gleichgewichts, dass das Regime zu seriösen Verhandlungen über eine Machtübergabe zwingen würde. „Bomben (des Westens) für den Frieden“, lautet die Strategie. Für die gequälte syrische Bevölkerung bedeutet dies noch mehr Leid, noch mehr Blut und noch mehr Tote – ein Krieg, der vielleicht, so fürchten Experten, noch Dutzende von Jahren toben werde.
 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen