Immer stärker wird der Libanon in die blutigen Konflikte der
Region hineingerissen – Ein „Opfer des Terror-Krieges“
von Birgit Cerha
Und wieder rissen zwei Autobomben im höchst belebten
Beiruter Schiiten-Vorort Bir Hasan vier Menschen in den Tod und mindestens 80
wurden verletzt. Und wieder zielten die Terroristen auf eine Vertretung des
Irans in der libanesischen Hauptstadt, diesmal das 100 Meter vom Tatort
entfernte Kulturzentrum der Islamischen Republik. Die mit dem Al-Kaida-Netzwerk
verknüpften libanesischen „Abdullah Azzam Brigaden“ bekannten sich zu dem
Anschlag, wie auch zu der ersten schweren Attacke gegen die iranische Botschaft
in Beirut, bei der im November Dutzende Menschen ums Leben gekommen waren. Es
sind die jüngsten Hinweise auf eine alarmierende Eskalation des Terrors, der
den kleinen Mittelmeerstaat mehr und mehr in die grauenvollen Turbulenzen des
Syrien-Krieges hineinzureißen droht.
Erstaunlich lange konnte sich der Libanon nach Beginn der Rebellion
gegen das syrische Assad-Regime von der Gewalt im Nachbarstaat abschirmen. Doch
seit die mit Assad und dem Iran verbündete und kampferprobte schiitische
Hisbollah-Organisation dem bedrängten Damaszener Regime vor neun Monaten militärisch
zu Hilfe kam, versuchen in Syrien kämpfende Jihadis des Al-Kaida-Netzwerkes Hisbollah für dieses
für Assad so entscheidende Engagement durch Terror gegen jene Regionen im
Libanon – Süd-Beirut und die Bekaa-Ebene
– zu „bestrafen“, wo die Organisation ihren stärksten Rückhalt unter der
Bevölkerung besitzt. Die Opfer dieser Gewalt sind fast ausschließlich
Zivilisten, die – so die offensichtliche Kalkulation der radikalen sunnitischen
Terroristen – Hisbollah-Chef Nasrallah zum Rückzug aus Syrien bewegen sollen.
Seit dem Sommer 2013 wurden rund 50 Libanesen durch Autobomben und
Selbstmordattacken getötet, zu denen sich meist die syrische Al-Nusra und die
irakische ISIS (Islamischer Staat des Iraks und Groß-Syriens) bekannten.
Die Verschärfung der Spannungen zwischen den libanesischen
Bevölkerungsgruppen – insbesondere Sunniten und Schiiten – ermutigten militante
sunnitische Salafisten, die im Irak und in Syrien für die Errichtung eines
islamischen Kalifats gegen das Regime in Bagdad und gegen Assad kämpfen, nun auch
im Libanon Stützpunkte einzurichten. Zunehmend aktiv sind im Libanon die „Abdullah
Azzam Brigaden“, die sich den Schutz sunnitischer Muslime zum deklarierten Ziel
setzen und wiederholt die Vorherrschaft der Schiiten, insbesondere Hisbollahs, im
Libanon kritisieren. Die „Brigaden“
wurden laut US-Außenministerium 2009 gegründet und tragen den Namen des Mitbegründers des Al-Kaida-Netzwerkes und
Mentros von Osama Bin Laden. 2010 haben
sie sich zu einem größeren Anschlag auf einen japanischen Öltanker in der
Straße von Hormuz im Persischen Golf bekannt. Mehrere Zweige der „Abdullah
Azzam Brigaden“ verübten Terrorakte auf der Arabischen Halbinsel, in
Afghanistan und in Pakistan. Seit 2012 sind sie vermehrt aktiv im Libanon, wo
sie Schiiten bedrohen, die das syrische Regime unterstützen. Die „Brigaden“
haben aber auch Attacken gegen westliche Ziele im Mittleren Osten angedroht und
Libanesen zur Rebellion, sowie Saudis zum Sturz des Königshauses aufgerufen.
Während Hisbollah-Chef Nasrallah seine Entschlossenheit
bekräftigt, die wohl auch für sein eigenes politisches Überleben ausschlaggebende
strategische Bedeutung zur aktiven militärischen Unterstützung Assads nicht
wieder rückgängig zu machen, verschärft der Terror der Jihadis die Spannungen
zwischen den libanesischen Bevölkerungsgruppen und steigert dramatisch die
Angst vor einem Neuausbruch des katastrophalen Bürgerkrieges, der den kleinen
Levantestaat von 1975 bis 1990 ausgeblutet hatte.
Nach fast 30-jähriger Besatzung durch die syrische Armee
(von 1976 bis 2005) ist der Libanon aufs engste mit dem Schicksal Syriens
verflochten. Immer noch hat Assad dort
starke Verbündete und ebenso emphatisch gegen ihn verschworene Feinde. Hierin
liegt auch der Grund, warum jede der libanesischen Fraktionen und jede Bevölkerungsgruppe – die schiitische
Mehrheit, ebenso wie die Sunniten, die Christen u.a. – ihre eigene Zukunft aufs
engste mit dem Ausgang des Krieges im Nachbarstaat verknüpft sieht. Je länger
dieser Krieg andauert, desto mehr verhärten sich die Frontlinien im
Libanon. Hisbollahs Syrien-Engagement
führt, je länger es anhält, zu einer stetigen Radikalisierung der libanesischen
Sunniten, deren Sympathie für und Bereitschaft zur Unterstützung der Jihadis in
Syrien stetig wächst. Der Libanon, so klagen Terror-Experten in Beirut, werde
damit zunehmend zu einer neuen „Arena des Jihad“ . „Der Syrien-Konflikt ist
nicht ein klassischer Krieg“, meint der Beiruter Professor für internationale
Beziehungen, Sami Nader. „Er wird zunehmend zu einem Terrorkrieg, der in
Syrien, im Irak und (nun auch) im Libanon“ geführt wird.“
Nur eine starke Einheitsregierung, die sich auf eine starke
Armee zur Abdichtung der Grenzen stützen könnte, würde das Land vor einem Absturz
blutiges Chaos bewahren. Nach zehn Monaten des Machtvakuums haben sich die
libanesischen Fraktionen nun immerhin auf eine breite Koalitions-Regierung
geeinigt und damit ihren Willen zur Kooperation gezeigt, um das Land vor einem
erneuten Bürgerkrieg zu bewahren. Doch selbst Innenminister Marwan Charbel
gesteht offen ein, „solange Syrien im Aufruhr bleibt“ und Regionalmächte wie
Saudi-Arabien und Iran mitmischen,“ kann der Libanon nicht auf Sicherheit und
Stabilität hoffen“.
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