Warum das Schicksal der drittgrößten syrischen Stadt eng mit der Zukunft des Regimes und damit des gesamten Landes verknüpft ist
von Birgit Cerha
Hagere,
total erschöpfte Gestalten, nicht mehr als 40, verließen Sonntag im
Schutz von UNO und dem „Syrischen Roten Halbmond“ die Altstadt der
zentralsyrischen Stadt Homs. Beobachter stellten deutliche Zeichen der
Unterernährung der insgesamt 123 Frauen, Kinder und älteren Menschen
fest, die nach mehr als 600 Tagen der Belagerung durch die Streitkräfte
des Assad-Regimes aus der Hölle der Altstadt herausgeführt werden
konnten. Doch, wie bereits Samstag, gerieten auch
Sonntag UN-Hilfkonvois, die den weiterhin Eingeschlossenen dringend
benötigte Lebensmittel, Wasser und Medikamente brachten, unter schweren
Beschuss. Das Assad-Regime und die Rebellen beschuldigen einander
gegenseitig für diesen Bruch des erst vor zwei Wochen in der Schweiz
getroffenen Abkommens über einen dreitägigen Waffenstillstand , der
diese humanitäre Hilfe - die erste seit Mai 2012 – ermöglichen sollte.
Die
Umsetzung dieses Abkommens ist wichtigste Voraussetzung für die zweite
Runde der Genfer Friedensgespräche, die Montag beginnt. Scheitert die
Hilfsaktion, schwinden wohl auch die letzten kleinen Hoffnungsschimmer,
dass die internationalen Vermittlungsbemühungen durch winzige und
dennoch schwer errungene Verständigung auf humanitärem Sektor die
Kriegsgegner allmählich für einen substantiellen Dialog zur Beendigung
des dreijährigen Krieges gewinnen können. Wichtigster nächster Schritt,
auf den sich die Gegner nun einigen müssten, ist das Schicksal der in
der Altstadt von Homs zurückgebliebenen Zivilbevölkerung, an die 2.500
Menschen, von denen laut Aktivisten zahlreiche dem Hungertode nahe
stünden, viele ernährten sich nur noch von Oliven und Gräsern.
Beide
Seiten, Präsident Assad und seine Gegner, hegen größtes Interesse an
der Kontrolle über die Altstadt, die seit mehr als zwei Jahren von
Tausenden miteinander rivalisierenden Rebellen beherrscht wird. Denn das
Schicksal von Homs ist entscheidend mit der Zukunft des Regimes und
damit des gesamten Landes verknüpft. Und starke
Kräfte auf beiden Seiten haben kein strategisches Interesse an einem
reibungslosen Erfolg dieser ersten in direkten Verhandlungen
beschlossenen humanitären Aktion. Das Regime hat bisher alle in der
Altstadt Eingeschlossenen als „Terroristen“ qualifiziert und damit
gnadenlose Bombardements gerechtfertigt. Mit der Zustimmung zur
Evakuierung des Stadtzentrums hat Assad indirekt eingestanden, dass dort
zahlreiche unschuldige Zivilisten Ziel seiner militärischen Attacken
und Aushungerungskampagne sind. Zugleich fürchtet das Regime, dass von der UNO gelieferte Nahrungsmittel in
die Hände der Rebellen gelangen und deren Widerstand stärken. Die
Opposition hingegen befürchtet, Assad habe der Evakuierung von
Zivilisten nur zugestimmt um anschließend einen gnadenlosen
Vernichtungsfeldzug gegen die Altstadt zu führen.
Homs
war vor Ausbruch des Krieges mit 1,5 Millionen Einwohnern die
drittgrößte Stadt Syriens, das wichtigste industrielle Zentrum, eine
Metropole von enormer strategischer Bedeutung. Denn sie liegt an den
wichtigsten Verbindungsstraßen zwischen Damaskus und den Grenzen zum
Libanon und dem Irak, der größten, derzeit heißumkämpften Stadt Aleppo
und der Mittelmeerküste. Zudem ist die Region um Homs auch Sitz der
wichtigsten militärischen Institutionen des Regimes. Wer Homs verliert,
riskiert die endgültige Niederlage in diesem Krieg.
Seit
Jahrzehnten ist das von einer sunnitischen Mehrheit bewohnte Homs eine
Hochburg der Opposition gegen die Assad-Regime. So schloss sich die
Stadt auch als erste kurz nach Ausbruch der Rebellion Mitte März 2011 in
der südwestlichen Stadt Deraa der Kampagne gegen den Diktator in
Damaskus an. Wiederholte Phase heftigster Kämpfe und Bombardierungen
durch das Regime folgten, bis diverse Rebellengruppen einen großen Teil
der Stadt und ihrer Vororte unter ihre Kontrolle brachten. Das Blatt
aber wendete sich entscheidend, als im Juni 2013 die libanesische
Schiiten-Miliz Hisbollah Assad zu Hilfe eilte und Qusair, die
strategisch wichtige, heißumkämpfte Grenzstadt zum Libanon, für das
Regime rettete. Daraufhin begannen Assads Streitkräfte mit einer
massiven Bombenkampagne gegen Homs und dessen Vororte. Bis zum Januar
2014 hatten Assads Streitkräfte die Umgebung von Homs und alle
Stadtviertel mit Ausnahme des alten Zentrums wieder erobert. Tausende
Menschen verloren ihr Leben, Hunderttausende flüchteten aus einer
teilweise total zerstörten Stadt. Von ihren Positionen in der Altstadt aus aber können die Rebellen weiterhin Regierungstruppen attackieren. „Wenn
das Regime (aber) Homs zur Gänze wieder unter seine Kontrolle zwingen
kann“, analysiert Paul Salem vom angesehenen „Carnegie Endowment“, sei
„seine Position für unabsehbare Zeit gesichert“.
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