Hier,
auf dem 2.285 Meter hohen Berg Sinai offenbarte sich Gott den Menschen.
Auf Arabisch heißt er Mosesberg und gilt nach der Überlieferung als
jener Platz, von dem aus Boraq, das Pferd des Propheten Mohammed, zum
Himmel aufstieg. Die dreieckförmige Halbinsel Sinai besitzt religiöse
Bedeutung für Christen ebenso, wie für Muslime, doch als „Tor“ zu Asien
ebenso wie zu Afrika ist sie von alters her von enormem strategischen
Wert für die Herrscher am Nil. Zu den frühen Bewohnern des Sinai zählten
Semiten und Hamiten, die sich miteinander vermischten und schließlich
noch lange vor der islamischen Eroberung im siebenten Jahrhundert von
Arabern dominiert wurden. Die Pharaonen zogen auf
dem Höhepunkt ihrer Macht um 1.500 v.Chr. die Horus-Militärstraße durch
den Sinai um Land im Osten zu erobern oder später konnte die ägyptische
Armee über diesen Weg Rebellionen in Syrien niederschlagen. Wann immer
Ägypten schwach war, benützten Invasoren, bis zu den Israelis, diesen
Weg zum Nil.
Die strategische Bedeutung des Sinai als militärischer Kreuzpunkt wuchs mit
der Bedrohung an Ägyptens Grenzen, in jüngster Zeit durch die Gründung
Israels, das die Halbinsel zweimal eroberte. Seit dem endgültigen
Rückzug Israels 1982 gilt der Sinai für beide Staaten als eine riesige
Pufferzone, deren lokaler Bevölkerung von etwas mehr als einer Million
sowohl Israel als auch Ägypten bis heute als Quelle möglicher Gefahren
zutiefst misstrauen.
Die
wachsenden Probleme des Sinai als riesige Region der Gesetzlosigkeit,
in der nicht nur Kriminelle, sondern zunehmend auch radikale Islamisten
Unterschlupf und Aktionsfreiraum gewinnen, hat komplexe Ursachen. Der
Friedensvertrag von Camp David von 1979 erlegte Kairo eine gravierende
Einschränkung seiner militärischen Präsenz auf dieser Halbinsel auf, die
mit 61.000 km2 immerhin ein Drittel der Fläche
Ägyptens ausmacht. Dies ermöglichte diversen militanten und kriminellen
Gruppen einen Freiraum, der sich der Kontrolle durch die ägyptischen
Sicherheitskräfte weitgehend entzog. Hinzu kam
jahrzehntelange Vernachlässigung durch die Regierungen in Kairo und so
entstand ein toxisches Gemisch aus Widerstand der Lokalbevölkerung und
islamistischer Militanz, das sich immer wieder blutig entlud.
In
dem seit dem Sturz Präsident Mubaraks vor drei Jahren entstandenen
Sicherheitsvakuum auf dem Sinai versuchen nun die mehr als 200.000 in
etwa 15 Stämmen organisierten Beduinen die Kontrolle über ihre
jeweiligen Einflussbereiche zu stärken. Die
Beduinen sind seit langem die am stärksten benachteiligte
Bevölkerungsgruppe Ägyptens, der Sinai die ärmste Region des Landes mit
völlig unterentwickelter Infrastruktur und extrem geringen
Arbeitschancen. Viele Beduinen besitzen keine offiziellen Dokumente und
beklagen seit langem, dass sie von jedem nationalen Entscheidungsprozess
ausgeschlossen, von politischen Ämtern ebenso wie von lokaler
Entwicklungsplanung und zudem seit Jahrzehnten schutzlos der
erbarmungslosen Härte der staatlichen Sicherheitskräfte ausgeliefert
sind. Als „Bürger zweiter Klasse“‘ an den Rand der Gesellschaft
gedrängt, mussten sie voll Bitterkeit tatenlos zusehen, wie korrupte
Magnaten, allen voran Mubaraks enger persönlicher Freund, der 2011
rechtzeitig vor der rächenden Justiz im revolutionären Ägypten nach
Spanien geflüchtete Hussein Salem, das Land schamlos ausbeutete, indem
er an den Stränden der Halbinsel unzählige höchst lukrative, luxuriöse
Ferienanlagen errichtete und der lokalen Bevölkerung. Andere bauten
Industriekomplexe und verwehrten der lokalen Bevölkerung nicht nur
jegliche Teilnahme am Profit, sondern ließen sie bitter für die
Vermehrung ihres eigenen Wohlstandes bezahlen. Der höchst einflußreiche
Magnat Hassan Rateb etwa vertrieb Hunderte Beduinen von ihrem Land, um
dort Industrie- und Tourismusanlagen zu errichten und speiste sie mit
magerer Entschädigung ab. Diese Unternehmen leisteten nicht den
geringsten Beitrag zur Entwicklung des Sinai oder zur Schaffung von
Arbeitsplätzen. Höchst selten wurden Beduinen in den Ferienanlagen oder
in den Fabriken angestellt.
Derart
in die Perspektivlosigkeit gedrängt blieb vielen nur die Illegalität,
allen voran der Schmuggel insbesondere von Waffen nach Israel und Gaza,
Cannabis- und Opiumzucht, aber auch Menschenhandel. Die umfangreichen
Schmuggelnetze, die sie im Laufe der Jahre über den Sinai gesponnen
haben, der leichte Zugang zu modernen Waffen vor allem aus libyschen
Arsenalen ziehen nun zunehmend islamistische Gewalttäter an, die hier
neuen Aktionsfreiraum finden. Nach Einschätzung ägyptischer
Sicherheitskräfte können die seit dem Sturz Mubaraks und insbesondere
seit dem Putsch gegen dessen ersten freigewählten Nachfolger Mursi am 3.
Juli 2013 in zunehmender Zahl aus Libyen,
Syrien, Afghanistan und anderen islamischen Ländern in den Sinai
eindringenden kampferprobten Jihadis bei den Beduinen wertvollen Schutz
und Hilfe zum Aufbau von Trainingslagern finden. Diese bleiben den
Sicherheitskräften in diesem unwegsamen, wilden Gelände des Sinai so
lange verborgen, als sie die Beduinen selbst ihnen nicht verraten. Ohne
Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung ist
für den ägyptischen Staat der zunehmend gefährlich Krieg gegen die
Jihadis verloren. Nur wenn Kairo die traditionelle Marginalisierung der
Bewohner der Halbinsel beendet und den bitterarmen Beduinen durch
Investitionen eine Zukunftschance bietet, kann das Regime am Nil seine
so schwer diskriminierten und gequälten Bürger aus den Fängen
islamistischer Radikaler befreien, die ihnen eine bessere Welt in einem
großen islamischen Kalifat auf dem Boden Ägyptens verheißen und ihren
Kampf zu diesem Ziel bis in das tiefe Afrika tragen wollen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen