Das Hariri-Tribunal
eröffnet die Chance auf ein Ende jahrzehntelanger Straflosigkeit von
politischen Attentätern – Doch es droht die gefährliche Polarisierung
des Landes zu vertiefen
von Birgit Cerha
„Seit 2005 warten wir auf
diesen Tag und haben hart darauf hingearbeitet.“ So kommentiert Ahmad
Hariri, Generalsekretär der von dem 2005 ermordeten ehemaligen
libanesischen Premier gegründeten „Zukunfts-Bewegung“ die Eröffnung des
Internationalen Sondertribunals für den Libanon in Den Haag. Fast neun
Jahre lang hatten die Opfer des Terroranschlags auf Hariri und deren
Angehörige, sowie etwa die Hälfte der libanesischen Bevölkerung auf den
Prozessbeginn gewartet. Er – so hoffen sie - soll Aufklärung in einen
politischen Mord bringen, der die Geschicke des Landes radikal
veränderte und dessen Folgen bis heute dramatisch nachwirken.
Es war zu Mittag des 14.
Februar 2005 gewesen, als ein Lkw, beladen mit 2.500 kg Sprengstoff in
Beirut explodierte und 22 Menschen, darunter den 60-jährigen
Multimilliardär, mehrmaligen Premier und Syrienkritiker Rafik Hariri in
den Tod riss. Das gigantische Ausmaß der Explosion, ließ nach Ansicht
libanesischer Analysten darauf schließen, dass die Täter nicht nur den
prominenten Politiker töten, sondern das ganze Land destabilisieren
wollten. Und das gelang. Der Verdacht, die syrische Besatzungsmacht sei
der Drahtzieher erzeugte solch massiven libanesischen und
internationalen Druck auf das Damaszener Regime, dass Präsident Assad
nach fast drei Jahrzehnten die Okkupationsarmee aus dem Nachbarstaat
abzog. Ein tiefer Riss spaltet seither Syriens libanesische Verbündete –
allen voran die schiitische Hisbollah – und die prowestliche, von Saad
Hariri, dem Sohn des Ermordeten, geführte Allianz.
Dem Anschlag folgten
unmittelbar eine Serie von Attentaten auf prominente Politiker und
Journalisten, die offen an Syrien Kritik geübt hatten. Doch das von der
UNO eingesetzte Tribunal verfolgte zwar Spuren nach Damaskus, nannte
jedoch offiziell keine Verdächtigen innerhalb des Regimes. Vielmehr
erhob das Tribunal 2011 gegen vier Angehörige der Hisbollah – Salim
Ayyash, Mustafa Badredine, Hussein Onessi und Assad Sabra – Anklage,ein
fünfter, Hasssan Habib Merhi, wurde im August 2013 angeklagt. Sein Fall
wird jedoch erst später behandelt.
Zum ersten Mal seit den
Nürnberger Prozessen, tagt ein internationaler Gerichtshof über
Verbrechen in Abwesenheit der Angeklagten. Es ist zudem der erste
Prozess eines internationalen Gerichts über ein Terrorverbrechen. Die
libanesischen Befürworter des Tribunals feiern den Prozessbeginn als den
„Tag der Gerechtigkeit für den Libanon“, dieses jahrzehntelang von
Bürgerkrieg und Terror gequälte Land, das zahlreiche Morde prominenter
Persönlichkeiten erlebte, ohne dass je mutmaßliche Täter ausgeforscht
und zur Rechenschaft gezogen wurden. Der Prozess, so hoffen dessen
Befürworter und unabhängige Kreise, werde dieser schändlichen „Kultur
der Straflosigkeit“ ein Ende setzen, und – so hoffen gar manche – in
Hinkunft abschreckend auf Attentäter wirken.
Doch die andere Hälfte
des Libanons – allen voran Hisbollah – sieht das Tribunal als
„westliche-zionistische Verschwörung“, um dem ohnedies schwer besudelten
Image der Organisation noch weiteren Schaden zuzufügen. Hisbollah-Chef
Nasrallah entschied sich nun, die ganze Angelegenheit einfach zu
ignorieren, nachdem er jahrelang alles getan hatte, um eine Aufklärung,
die Ausforschung der Verdächtigen zu blockieren. Weil Hisbollah im
höchst delikaten politischen Gleichgewicht, das seit Jahren einen
erneuten Ausbruch des blutigen Bürgerkrieges (von 1975 bis 1990)
verhindert, große Macht im Libanon besitzt, konnte die Justiz die
Verdächtigen nicht verhaften. Zwei von ihnen sollen sich im Iran
aufhalten, die anderen sind untergetaucht.
Hätte der Prozessbeginn
den Libanon noch bis vor drei Jahren in einen erneuten Bürgerkrieg
reißen können, so sind nun wohl angesichts der gewaltsamen Turbulenzen
in der Region und insbesondere der direkten Verwicklung der Hisbollah
auf der Seite Assads im Syrienkrieg, die Folgen dieses Ereignisses für
den schwer bedrängten Levantestaat wahrscheinlich begrenzt. Dass die
Sorgen der Bevölkerung von der Angst vor dem gewaltsamen Überschwappen
der Gewalt aus Syrien dominiert wird, zeigte Donnerstag erneut ein
blutiger Anschlag in der Hisbollah-Hochburg der Bekaa-Ebene, der
zweifellos auf das Konto sunnitischer Fanatiker geht, die ihre Drohung
wahrmachen, Hisbollah für die Unterstützung Assads „zu bestrafen“.
Der Prozess, in dem u.a.
500 Zeugenaussagen angehört werden, könnte Jahre dauern, wenn das Geld
dafür zur Verfügung steht. Bisher hat er bereits 325 Mio. Dollar
verschlungen. Ob die wahren Täter je ermittelt und bestraft werden, ist
höchst zweifelhaft. Fest steht jedoch, dass dieses Verfahren die
gefährlichen Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten im Libanon noch
weiter verschärfen dürften.
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