Donnerstag, 16. Januar 2014

„Tag der Gerechtigkeit für den Libanon“

Das Hariri-Tribunal eröffnet die Chance auf ein Ende jahrzehntelanger Straflosigkeit von politischen Attentätern – Doch es droht die gefährliche Polarisierung des Landes zu vertiefen
 
 von Birgit Cerha

„Seit 2005 warten wir auf diesen Tag und haben hart darauf hingearbeitet.“ So kommentiert Ahmad Hariri, Generalsekretär der von dem 2005 ermordeten ehemaligen libanesischen Premier  gegründeten „Zukunfts-Bewegung“ die Eröffnung des Internationalen Sondertribunals für den Libanon in Den Haag. Fast neun Jahre lang hatten die Opfer des Terroranschlags auf Hariri und deren Angehörige, sowie etwa die Hälfte der libanesischen Bevölkerung auf den Prozessbeginn gewartet. Er – so hoffen sie - soll Aufklärung in einen politischen Mord bringen, der die Geschicke des Landes radikal veränderte und dessen Folgen bis heute dramatisch nachwirken.
Es war zu Mittag des 14. Februar 2005 gewesen, als ein Lkw, beladen mit 2.500 kg Sprengstoff in Beirut explodierte und 22 Menschen, darunter den 60-jährigen Multimilliardär, mehrmaligen Premier und Syrienkritiker Rafik Hariri in den Tod riss. Das gigantische Ausmaß der Explosion,  ließ nach Ansicht libanesischer Analysten darauf schließen, dass die Täter nicht nur den prominenten Politiker töten, sondern das ganze Land destabilisieren wollten. Und das gelang. Der Verdacht, die syrische Besatzungsmacht sei der Drahtzieher erzeugte solch massiven libanesischen und internationalen Druck auf das Damaszener Regime, dass Präsident Assad nach fast drei Jahrzehnten die Okkupationsarmee aus dem Nachbarstaat abzog. Ein tiefer Riss spaltet seither Syriens libanesische Verbündete – allen voran die schiitische Hisbollah – und die prowestliche, von Saad Hariri, dem Sohn des Ermordeten, geführte Allianz.
Dem Anschlag folgten unmittelbar eine Serie von Attentaten auf prominente Politiker und Journalisten, die offen an Syrien Kritik geübt hatten. Doch das von der UNO eingesetzte Tribunal verfolgte zwar Spuren nach Damaskus, nannte jedoch offiziell keine Verdächtigen innerhalb des Regimes. Vielmehr erhob das Tribunal 2011 gegen vier Angehörige der Hisbollah – Salim Ayyash, Mustafa Badredine, Hussein Onessi und Assad Sabra – Anklage,ein fünfter, Hasssan Habib Merhi,  wurde im August 2013 angeklagt. Sein Fall wird jedoch erst später behandelt.
Zum ersten Mal seit den Nürnberger Prozessen, tagt ein internationaler Gerichtshof über Verbrechen  in Abwesenheit der Angeklagten. Es ist zudem  der erste Prozess eines internationalen Gerichts über ein Terrorverbrechen. Die libanesischen Befürworter des Tribunals feiern den Prozessbeginn als den „Tag der Gerechtigkeit für den Libanon“, dieses jahrzehntelang von Bürgerkrieg und Terror gequälte Land, das zahlreiche Morde prominenter Persönlichkeiten erlebte, ohne dass je mutmaßliche Täter ausgeforscht und zur Rechenschaft gezogen wurden.  Der Prozess, so hoffen dessen Befürworter und unabhängige Kreise, werde dieser schändlichen „Kultur der Straflosigkeit“ ein Ende setzen, und – so hoffen gar manche – in Hinkunft abschreckend auf Attentäter wirken.
Doch die andere Hälfte des Libanons – allen voran Hisbollah – sieht das Tribunal als „westliche-zionistische Verschwörung“, um dem ohnedies schwer besudelten Image der Organisation noch weiteren Schaden zuzufügen. Hisbollah-Chef Nasrallah entschied sich nun, die ganze Angelegenheit einfach zu ignorieren, nachdem er jahrelang alles getan hatte, um eine Aufklärung, die Ausforschung der Verdächtigen zu blockieren. Weil Hisbollah im höchst delikaten politischen Gleichgewicht, das seit Jahren einen erneuten Ausbruch des blutigen Bürgerkrieges (von 1975 bis 1990) verhindert, große Macht im Libanon besitzt, konnte die Justiz die Verdächtigen nicht verhaften. Zwei von ihnen sollen sich im Iran aufhalten, die anderen sind untergetaucht.
Hätte der Prozessbeginn den Libanon noch bis vor drei Jahren in einen erneuten Bürgerkrieg reißen können, so sind nun wohl angesichts der gewaltsamen Turbulenzen in der Region und insbesondere der direkten Verwicklung der Hisbollah auf der Seite Assads im Syrienkrieg, die Folgen dieses Ereignisses für den schwer bedrängten Levantestaat wahrscheinlich begrenzt. Dass die Sorgen der Bevölkerung von der Angst vor dem gewaltsamen Überschwappen der Gewalt aus Syrien dominiert wird, zeigte Donnerstag erneut ein blutiger Anschlag in der Hisbollah-Hochburg der Bekaa-Ebene, der zweifellos auf das Konto sunnitischer Fanatiker geht, die ihre Drohung wahrmachen, Hisbollah für die Unterstützung Assads „zu bestrafen“.
Der Prozess, in dem u.a. 500 Zeugenaussagen angehört werden, könnte Jahre dauern, wenn das Geld dafür zur Verfügung steht. Bisher hat er bereits 325 Mio. Dollar verschlungen. Ob die wahren Täter je ermittelt und bestraft werden, ist höchst zweifelhaft. Fest steht jedoch,  dass dieses Verfahren die gefährlichen Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten im Libanon noch weiter verschärfen dürften.

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