Sonntag, 12. Januar 2014

LEXIKON: Grundgesetz für ein „neues Ägypten“

Verfassungsentwurf sieht größere Freiheitsgarantien vor, stärkt aber auch die Macht der Generäle und enthält Unklarheiten für den Übergangsprozess zur Demokratie
Das von Ägyptens Moslembruderschaft unter Präsident Mursi 2012 durchgepeitschte neue Grundgesetz enthielt Bestimmungen, die den Einfluss islamistischer Strömungen stärkten und den Weg zur Errichtung eines islamischen Staates offen ließen. Im abgeänderten Verfassungsentwurf, über den das Volk am 14. Und 15. Januar entscheidet, sind derartige Passagen eliminiert. Die Präambel betont Ägyptens Streben zum „Aufbau eines demokratischen, modernen Landes mit einer zivilen (nicht-militärischen und nicht-religiösen; Red.)Regierung“.
Unabhängige Analysten würdigen das Dokument als wichtigen Schritt zur Regelung der Rolle der Scharia (des islamischen Rechts) im neuen Ägypten und der Verankerung religiöser Freiheiten. Zwar bekräftigt die Präambel das Prinzip der Scharia, wie es in der bis 2011 geltenden Verfassung von 1985 anerkannt ist. Auch der seit den 70er Jahren geltende Artikel zwei, der die „Prinzipien der Scharia“ als „die Hauptquelle der Gesetzgebung“ festlegt, bleibt erhalten. Doch ein von den Salafisten 2012 durchgesetzter Artikel, der die „Prinzipien“ detailliert definiert, wurde ebenso gestrichen, wie die im Dokument von 2012 verankerte politische Macht von Al-Azhar, der höchsten Lehranstalt des sunnitischen Islam. Im neuen Dokument ist es nicht Al-Azhar, der das letzte Wort bei der Interpretation der Scharia zusteht, sondern der Höchste Verfassungsgerichtshof. Die Religionsfreiheit wird jedoch auch im neuen Entwurf auf Islam, Christentum und Judentum eingeschränkt, was Menschen mit anderen Glaubensbekenntnissen unverändert Diskriminierung aussetzt. Das trifft insbesondere die in Ägypten relativ stark vertretenen Bahais.
Die neue Verfassung stärkt die Macht und Immunität der Militärs. Für die Ernennung des Verteidigungsministers ist die Zustimmung des „Höchsten Rates der Streitkräfte“ erforderlich und diese Bestimmung des Übergangsartikel 234 gilt innerhalb von acht Jahren nach Inkrafttreten der Verfassung. Die in der Bevölkerung heftig umstrittenen (geheimen) Militärgerichtsverfahren gegen Zivilisten sind in der neuen Verfassung für eine Vielzahl detailliert angeführter Verbrechen verankert. Das Militärbudget bleibt geheim und der alleinigen Verantwortung des Nationalen Verteidigungsrates unterstellt.
Im allgemeinen garantiert die neue Verfassung mehr Rechte und Freiheiten für Frauen, die Medien und Minderheiten als alle bisherigen Grundgesetze des Landes. Ausdrücklich wird die Gleichberechtigung der Frauen auch in offiziellen Ämtern und in der Justiz hervorgehoben. Neue Artikel klassifizieren Folter, Diskriminierung und Zwangsumsiedlungen, von denen insbesondere Christen betroffen sind, als Verbrechen und – was Menschenrechtsaktivisten besonders begrüßen – verpflichten den Staat zur Einhaltung von Ägypten unterzeichneter internationaler Menschenrechtsabkommen.
Eine der bedeutendsten Veränderungen betrifft die Ernennung des General-Staatsanwaltes, ein Recht, das laut Verfassung von 2012 dem Präsidenten zustand und nun vom „Höchsten Justizrat“ auszuüben ist.
Die Amtszeit des Präsidenten ist auf zweimal vier Jahre begrenzt und dem Parlament steht das Recht zur Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens zu. Der vom Präsidenten ernannte Premier muss vom Parlament gebilligt werden und der Präsident kann die Regierung nur mit Zustimmung des Parlaments umbilden oder entlassen. Ägypten erhält künftig nur ein Einkammer-Parlament.
Als besonders kritisch für den dringend nötigen politischen Versöhnungsprozess dürfte sich das neue Verbot der Gründung politischer Parteien auf Basis der Religion erweisen. Davon sind nicht nur die unterdessen verbotenen und kriminalisierten Moslembrüder betroffen, sondern auch die salafistische Nour-Partei, die sich dennoch für eine Billigung des Verfassungsentwurfes engagiert.
Einige wichtige Fragen läßt der Entwurf allerdings offen. So muss nun der Interimspräsident den Anteil der Mandate bestimmen, der Unabhängigen und Frauen reserviert ist. Vor allem aber bleibt es dem Übergangspräsidenten vorbehalten, darüber zu entscheiden, ob dem Referendum zuerst Palaments- und dann Präsidentschaftswahlen folgen oder umgekehrt. Sollte zuerst ein Präsident gewählt werden, so dürfte dieser nach Ansicht von einigen Analysten mehr Macht gewinnen und könnte die Fairness der Parlamentswahlen entscheidend beeinträchtigen.

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