Donnerstag, 30. Januar 2014

Ägyptens Sinai: Al Kaidas neue Front

Im Sicherheitsvakuum der strategisch wichtigen Halbinsel bauen internationale Jihadis eine neue Basis und gewinnen die Unterstützung der schwer diskriminierten lokalen Bevölkerung
 
von Birgit Cerha
 
„Ansar Beit al-Maqdis“ (Anhänger von Jerusalem) „ist mit rasendem Tempo zu einer der aktivsten Jihadi-Gruppen der Welt aufgestiegen“, stellt  der amerikanische Think-Tank „Stratfor“ alarmiert fest und meint starke Hinweise darauf zu erkennen, dass „ABM“ fest im
 Terrornetzwerk der „Al-Kaida“ eingebunden ist. Von ihren Stützpunkten auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel hält “ABM“‘ zunehmend die Sicherheitskräfte des Landes in Atem. Denn erstmals trugen Jihadis den Terror mit Hilfe hochentwickelter Waffen ins Herz der ägyptischen Hauptstadt. Die islamistische Terrorgruppe bekannte sich zum Mord an General Mohammed Said, einem hohen Berater des Innenministers, den zwei Attentäter auf Motorrädern am 28. Januar nahe seines Hauses in Kairo erschossen hatten.  Vier Tage zuvor war eine Autobombe vor dem Polizeihauptquartier in Kairo explodiert. Auch zu diesem Anschlag bekannte sich „ABM“ und bewies damit erstmals, dass sie auf dem ägyptischen Festland selbst schärfste Sicherheitsvorkehrungen durchbrechen kann. Den durch interne politische Turbulenzen in Atem gehaltenen Streitkräften am Nil eröffnet sich eine neue Front mit unabsehbaren Gefahren für die Stabilität des Landes und der gesamten Region.
Im Sicherheitsvakuum des Sinai blühen Schmuggel, Kriminalität und nun zunehmend auch der Jihadi-Terror. Wiederholte Militäraktionen der Armee konnten dieser Entwicklung nicht Einhalt gebieten. Ganz im Gegenteil.
Die seit Jahrzehnten ökonomisch gravierend vernachlässigte und militärisch kaum zu kontrollierende  Halbinsel  bietet traditionell allerlei Kriminellen, Drogen-, Waffen- und Menschenhändlern Unterschlupf und Aktionsfreiraum. Die Sicherheitssituation aber begann sich mit der Ankunft militanter Islamisten, zunächst insbesondere Palästinenser aus dem benachbarten Gazastreifen und Libanesen, zu verschlechtern. Diese Radikalen kündigten ihre Ankunft 2005 und 2006 durch eine Serie von Terrorattacken auf Luxushotels in Sharm el Sheikh, Taba und Dahab an. Durch massive Militäraktionen gelang es der Armee, die Gewalt in Grenzen zu halten. Nach jedem größeren Anschlag wurden Tausende Beduinen wahllos festgenommen, brutal  gefoltert und bis zu fünf Jahre ohne Gerichtsverfahren eingesperrt.
Nach dem Sturz Präsident Mubaraks im Februar 2011 konnte auch die lokale Bevölkerung des Sinai ein wenig aufatmen, zumal die Sicherheitskräfte sich zunehmend auf die Unruhen auf dem Festland konzentrierten. So öffnete sich mehr und mehr ein Machtvakuum auf der dünnbesiedelten Wüsten-Halbinsel, in das zunehmend Jihadis aus der gesamten Region mit der Absicht eindrangen, in diesem gesetzlosen Raum sichere Basen einzurichten, wie Al-Kaida sie im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet schon so lange unterhält. Zudem kommen die Jihadis im Sinai in den Genuss eines schier unbegrenzten Nachschubs an teils hochmodernen Waffen aus den reichen Arsenalen des gestürzten libyschen Diktators Gadafi. Jüngster Beweis für diese Entwicklung: der Einsatz der Luftabwehrrakete „Strela 2“ russischer Produktion, mit der „ABM“ Mitte Januar einen ägyptischen Militärhelikopter zum Absturz brachte.
Die Gewaltakte im Sinai haben sich insbesondere seit dem Militärputsch gegen Mursi am 3. Juli 2013 drastisch auf durchschnittlich fünf Anschläge im Tag gesteigert. Mehr als hundert Angehörige der Sicherheitskräfte wurden im vergangenen halben Jahr auf der Halbinsel ermordet. Die Militanten gewannen im turbulenten Klima der vor sieben Monaten begonnen zweiten ägyptischen Revolution derart an Selbstvertrauen, dass sie nach Anschlägen sich nicht mehr in den wilden Bergen des Sinai verbergen, sondern stolz wie Sieger in Kleinkriegen islamischen Flaggen hissen. Wiewohl die Moslembrüder unter den Bewohnern des Sinai traditionell keinen starken Rückhalt fanden, gelang es den ausländischen Jihadis in der Atmosphäre hoch emotionaler Proteste nach Mursis Sturz viele Beduinen zum „Kampf gegen  die Feinde des Islams“ als die sie Mursis Gegner klassifizierten, anzuziehen. Solche auch über soziale Netzwerke verbreitete Propaganda  freilich nützt der Armeeführung, die ihre harte Hand gegen die Moslembrüder und zunehmend viele ihrer Kritiker mit dem Kampf gegen Terrorismus rechtfertigt.
Dennoch tragen die Streitkräfte und der ägyptische Staat die Hauptschuld an der Ineffizienz im Kampf gegen diese Form des Terrors. Denn durch ihren brutalen Einsatz gegen Extremisten, bei dem sie traditionell nicht zwischen mutmaßlichen Terroristen und der lokalen Bevölkerung unterschieden, Hunderte Wohnhäuser und damit die Existenz zahlreicher gewaltloser Bürger zerstörten, verlor der Staat zunehmend die Sympathie der Bewohner des Sinai, der ärmsten Region Ägyptens und trieb sie mehr und mehr in die Arme der Jihadis. Die rund 200.000 Beduinen fühlen sich seit langem als „Bürger zweiter Klasse“ im Land der Pharaonen. Der Staat mißtraut ihnen, nirgends in Ägypten ist die Arbeitslosigkeit so hoch wie im Sinai, sind Berufsperspektiven und Infrastruktur so unterentwickelt.
Hatten die Beduinenstämme in den vergangenen zehn Jahren mit den Sicherheitskräften und zugleich mit radikalen Islamisten kooperiert, trafen ihre Führer nach dem Sturz Mubaraks hoffnungsvoll  mit der vom Militär geführten Übergangsregime ein Abkommen: Informationen über die Aktivitäten von Jihadis, und kriminellen Banden im Austausch gegen die so dringend nötigen Maßnahmen zur sozialen und ökonomischen Entwicklung dieser sträflich vernachlässigten Region.  Die Beduinen hielten sich auch unter der einjährigen Präsidentschaft Mohammed Mursis an diese Kooperation, nicht jedoch Kairo. Kein Geld floss in die bitter armen Regionen des Sinai. Schwer frustriert begannen die Beduinen  mit den ausländischen Jihadis zu sympathisieren, deren Ideen eines islamischen Kalifats unter der verzweifelten Lokalbevölkerung an Attraktivität gewinnt.
Der Sturz Mursis und der Ruf der Moslembrüder nach – allerdings friedlicher – Kampagne zu dessen Rückkehr an die Macht ermutigte die zahlreichen Jihadi-Gruppen im Sinai, wo sie es heute auch nach Terrorakten gegen die Sicherheitskräfte wagen, offen ihre Präsenz zu zeigen. Denn sie finden Unterschlupf und Sicherheit bei fast allen Beduinenstämmen, deren Führer sich weniger aus ideologischen als aus pragmatischen Gründen auf ihre Seite geschlagen haben. Nur einige wenige sind vorerst noch zur Zusammenarbeit mit den Sicherheitskräften bereit. Ohne Kooperation der Beduinen aber, die das wilde Gelände des Sinai kennen wie niemand sonst, kann Ägyptens Armee einen Kampf nicht gewinnen, der sich mehr und mehr über das ganze Land auszuweiten droht.
 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen