Im
Sicherheitsvakuum der strategisch wichtigen Halbinsel bauen
internationale Jihadis eine neue Basis und gewinnen die Unterstützung
der schwer diskriminierten lokalen Bevölkerung
von Birgit Cerha
„Ansar
Beit al-Maqdis“ (Anhänger von Jerusalem) „ist mit rasendem Tempo zu
einer der aktivsten Jihadi-Gruppen der Welt aufgestiegen“, stellt der amerikanische Think-Tank „Stratfor“ alarmiert fest und meint starke Hinweise darauf zu erkennen, dass „ABM“ fest im
Terrornetzwerk
der „Al-Kaida“ eingebunden ist. Von ihren Stützpunkten auf der
ägyptischen Sinai-Halbinsel hält “ABM“‘ zunehmend die Sicherheitskräfte
des Landes in Atem. Denn erstmals trugen Jihadis den Terror mit Hilfe
hochentwickelter Waffen ins Herz der ägyptischen Hauptstadt. Die
islamistische Terrorgruppe bekannte sich zum Mord an General Mohammed
Said, einem hohen Berater des Innenministers, den zwei Attentäter auf
Motorrädern am 28. Januar nahe seines Hauses in Kairo erschossen hatten. Vier
Tage zuvor war eine Autobombe vor dem Polizeihauptquartier in Kairo
explodiert. Auch zu diesem Anschlag bekannte sich „ABM“ und bewies damit
erstmals, dass sie auf dem ägyptischen Festland selbst schärfste
Sicherheitsvorkehrungen durchbrechen kann. Den durch interne politische
Turbulenzen in Atem gehaltenen Streitkräften am Nil eröffnet sich eine
neue Front mit unabsehbaren Gefahren für die Stabilität des Landes und
der gesamten Region.
Im
Sicherheitsvakuum des Sinai blühen Schmuggel, Kriminalität und nun
zunehmend auch der Jihadi-Terror. Wiederholte Militäraktionen der Armee
konnten dieser Entwicklung nicht Einhalt gebieten. Ganz im Gegenteil.
Die seit Jahrzehnten ökonomisch gravierend vernachlässigte und militärisch kaum zu kontrollierende Halbinsel bietet
traditionell allerlei Kriminellen, Drogen-, Waffen- und
Menschenhändlern Unterschlupf und Aktionsfreiraum. Die
Sicherheitssituation aber begann sich mit der Ankunft militanter
Islamisten, zunächst insbesondere Palästinenser aus dem benachbarten
Gazastreifen und Libanesen, zu verschlechtern. Diese Radikalen kündigten
ihre Ankunft 2005 und 2006 durch eine Serie von Terrorattacken auf
Luxushotels in Sharm el Sheikh, Taba und Dahab an. Durch massive
Militäraktionen gelang es der Armee, die Gewalt in Grenzen zu halten.
Nach jedem größeren Anschlag wurden Tausende Beduinen wahllos
festgenommen, brutal gefoltert und bis zu fünf Jahre ohne Gerichtsverfahren eingesperrt.
Nach
dem Sturz Präsident Mubaraks im Februar 2011 konnte auch die lokale
Bevölkerung des Sinai ein wenig aufatmen, zumal die Sicherheitskräfte
sich zunehmend auf die Unruhen auf dem Festland konzentrierten. So
öffnete sich mehr und mehr ein Machtvakuum auf der dünnbesiedelten
Wüsten-Halbinsel, in das zunehmend Jihadis aus der gesamten Region mit
der Absicht eindrangen, in diesem gesetzlosen Raum sichere Basen
einzurichten, wie Al-Kaida sie im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet
schon so lange unterhält. Zudem kommen die Jihadis im Sinai in den
Genuss eines schier unbegrenzten Nachschubs an teils hochmodernen Waffen
aus den reichen Arsenalen des gestürzten libyschen Diktators Gadafi.
Jüngster Beweis für diese Entwicklung: der Einsatz der Luftabwehrrakete
„Strela 2“ russischer Produktion, mit der „ABM“ Mitte Januar einen
ägyptischen Militärhelikopter zum Absturz brachte.
Die
Gewaltakte im Sinai haben sich insbesondere seit dem Militärputsch
gegen Mursi am 3. Juli 2013 drastisch auf durchschnittlich fünf
Anschläge im Tag gesteigert. Mehr als hundert Angehörige der
Sicherheitskräfte wurden im vergangenen halben Jahr auf der Halbinsel
ermordet. Die Militanten gewannen im turbulenten Klima der vor sieben
Monaten begonnen zweiten ägyptischen Revolution derart an
Selbstvertrauen, dass sie nach Anschlägen sich nicht mehr in den wilden
Bergen des Sinai verbergen, sondern stolz wie Sieger in Kleinkriegen
islamischen Flaggen hissen. Wiewohl die Moslembrüder unter den Bewohnern
des Sinai traditionell keinen starken Rückhalt fanden, gelang es den
ausländischen Jihadis in der Atmosphäre hoch emotionaler Proteste nach
Mursis Sturz viele Beduinen zum „Kampf gegen die
Feinde des Islams“ als die sie Mursis Gegner klassifizierten,
anzuziehen. Solche auch über soziale Netzwerke verbreitete Propaganda freilich
nützt der Armeeführung, die ihre harte Hand gegen die Moslembrüder und
zunehmend viele ihrer Kritiker mit dem Kampf gegen Terrorismus
rechtfertigt.
Dennoch
tragen die Streitkräfte und der ägyptische Staat die Hauptschuld an der
Ineffizienz im Kampf gegen diese Form des Terrors. Denn durch ihren
brutalen Einsatz gegen Extremisten, bei dem sie traditionell nicht
zwischen mutmaßlichen Terroristen und der lokalen Bevölkerung
unterschieden, Hunderte Wohnhäuser und damit die Existenz zahlreicher
gewaltloser Bürger zerstörten, verlor der Staat zunehmend die Sympathie
der Bewohner des Sinai, der ärmsten Region Ägyptens und trieb sie mehr
und mehr in die Arme der Jihadis. Die rund 200.000 Beduinen fühlen sich
seit langem als „Bürger zweiter Klasse“ im Land der Pharaonen. Der Staat
mißtraut ihnen, nirgends in Ägypten ist die Arbeitslosigkeit so hoch
wie im Sinai, sind Berufsperspektiven und Infrastruktur so
unterentwickelt.
Hatten
die Beduinenstämme in den vergangenen zehn Jahren mit den
Sicherheitskräften und zugleich mit radikalen Islamisten kooperiert,
trafen ihre Führer nach dem Sturz Mubaraks hoffnungsvoll mit
der vom Militär geführten Übergangsregime ein Abkommen: Informationen
über die Aktivitäten von Jihadis, und kriminellen Banden im Austausch
gegen die so dringend nötigen Maßnahmen zur sozialen und ökonomischen
Entwicklung dieser sträflich vernachlässigten Region. Die
Beduinen hielten sich auch unter der einjährigen Präsidentschaft
Mohammed Mursis an diese Kooperation, nicht jedoch Kairo. Kein Geld
floss in die bitter armen Regionen des Sinai. Schwer frustriert begannen
die Beduinen mit den ausländischen Jihadis zu
sympathisieren, deren Ideen eines islamischen Kalifats unter der
verzweifelten Lokalbevölkerung an Attraktivität gewinnt.
Der
Sturz Mursis und der Ruf der Moslembrüder nach – allerdings friedlicher
– Kampagne zu dessen Rückkehr an die Macht ermutigte die zahlreichen
Jihadi-Gruppen im Sinai, wo sie es heute auch nach Terrorakten gegen die
Sicherheitskräfte wagen, offen ihre Präsenz zu zeigen. Denn sie finden
Unterschlupf und Sicherheit bei fast allen Beduinenstämmen, deren Führer
sich weniger aus ideologischen als aus pragmatischen Gründen auf ihre
Seite geschlagen haben. Nur einige wenige sind vorerst noch zur
Zusammenarbeit mit den Sicherheitskräften bereit. Ohne Kooperation der
Beduinen aber, die das wilde Gelände des Sinai kennen wie niemand sonst,
kann Ägyptens Armee einen Kampf nicht gewinnen, der sich mehr und mehr
über das ganze Land auszuweiten droht.
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