Entscheidender Schritt auf dem Weg zu Stabilität – Doch das
Land bleibt tief gespalten und die Massenbewegung der Moslembruderschaft
ausgeschlossen
von Birgit Cerha
160.000 ägyptische Soldaten stehen im Großeinsatz, um am 14.
Und 15. Januar im ganzen Land insgesamt 30.317 Wahllokale zu bewachen und
Bürger auf dem Weg zu den Urnen vor Attacken von Extremisten zu schützen. Zum
zweiten Mal in kaum mehr als einem Jahr ist das Volk aufgerufen, einen neuen
Verfassungsentwurf zu billigen. Das von einer 50-köpfigen Verfassungskommission
nach monatelanger Arbeit verfasste Grundgesetz soll jenes durch eine
Volksabstimmung gebilligte Dokument ablösen, das der am 3. Juli 2013 nach
Massenprotesten durch das Militär gestürzte Präsident Mohammed Mursi Ende 2012 in
einer Kommission durchgepeitscht hatte, die von seiner Moslembruderschaft und
mit ihr verbündeten Islamisten dominiert gewesen war und sich bedingungslos den
Protesten liberaler, säkularer Kräfte und der religiösen Minderheiten
widersetzt hatte. Ägyptens neuer „starker
Mann“, Verteidigungsminister Al-Sisi, hatte dieses Dokument für ungültig
erklärt. Eine neue Kommission wurde unter Leitung des politischen Veteranen Amr
Moussa eingesetzt. Sie präsentiert dem Volk nun ein Grundgesetz, das – so Amr
Moussa – „die Bedürfnisse und Bestrebungen aller Ägypter“ spiegle. Und Amr
Moussa hegt keine Zweifel, dass die große Mehrheit der Bevölkerung dieses
Dokument billigen und damit einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zu einem „neuen
Ägypten“ setzen werde.
Das Referendum ist der erste entscheidende Schritt nach dem
von Ägyptens Übergangsführung festgelegten
Fahrplan zu einem neuen politischen System. Doch dass es die tiefe Spaltung des
Landes überwinden kann, ist höchst unwahrscheinlich. Denn diesmal bleibt die
Moslembruderschaft ausgeschlossen. Keiner ihrer Vertreter saß in dem von
Laizisten dominierten Verfassungskomitee, in dem die einstigen Verbündeten der „Brüder“,
die radikalere salafistische „Nour-Partei“, mit einem Sitz als einzige die
islamistische Strömung Ägyptens repräsentierte.
Der Widerstand islamistischer Kräfte gegen das neue
Grundgesetz forderte bereits mehrere Menschenleben. Wiewohl jüngst vom Regime
als „Terrororganisation“ klassifiziert, ruft die von der Moslembruderschaft geleitete
„Nationale Allianz zur Unterstützung der Legitimität“ (Wiedereinsetzung Mursis)
zu einem Boykott des Referendums und Protesten auf. Die islamistische Jugendbewegung
will das Referendum durch zivilen Ungehorsams sabotieren.
Doch Ägyptens politische Szene ist nicht mehr zwischen
Islamisten und Nicht-Islamisten gespalten. Die Polarisierung ist weit komplizierter
geworden. Einerseits hat die einflussreiche Nour-Partei ihre Allianz mit den
Moslembrüdern aufgekündigt und engagiert sich voll für den neuen
Verfassungsentwurf. Anderseits sind auch die säkularen Strömungen tief
gespalten. Die Tamarod-Bewegung, die durch Massenproteste im Vorjahr Mursi zu
Fall gebracht hatte, steht ebenso wie die liberrale „Nationale Rettungsfront“
voll hinter dem Verfassungsprojekt. Doch in diesen Strömungen gibt es auch
Vorbehalte. So unterstützt etwa Friedensnoelpreisträger El-Baradei den „Fahrplan“,
bezieht aber keine Position zum Verfassungsentwurf, während linke Gruppen
insbesondere bemängeln, dass die Rechte der Arbeiter unberücksichtigt bleiben. Menschenrechtsaktivisten
würdigen, dass in dem neuen Grundgesetz die Grundfreiheiten weit stärker
verankert seien als in den Verfassungen von 1971 und 2012 und umstrittene
religiöse Paragraphen aus dem Dokument von 2012 gestrichen wurden, irritiert Liberale
insbesondere die Tatsache, dass das
Komitee im letzten Moment die Betonung der „zivilen (d.h. nicht-religiöse und
nicht-militärische)Herrschaft“ im neuen Ägypten - offenbar als Zugeständnis an
die Salafisten - durch „zivile Regierung“ ersetzt hatte. Besonders beunruhigt
einige der liberalen Oppositionsgruppen der Paragraph, der auch in Zukunft
Militärgerichtsverfahren gegen Zivilisten, wiewohl in etwas eingeschränkten
Fällen, zulässt und insgesamt die Stärkung der Macht und Immunität des Militärs.
Dennoch erscheint eine Billiigung des Verfassungsentwurfes
wahrscheinlich. Doch ist diese geringer und die Mehrheit knapper als beim Verfassungsreferendum
von 2012 könnten jene, die die Legitimität dieses Übergangsprozesses anzweifeln
und gar bekämpfen, erneut Auftrieb erhalten.
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