Sonntag, 12. Januar 2014

Ägypter stimmen über neue Verfassung ab

Entscheidender Schritt auf dem Weg zu Stabilität – Doch das Land bleibt tief gespalten und die Massenbewegung der Moslembruderschaft ausgeschlossen
 
von Birgit Cerha
 
160.000 ägyptische Soldaten stehen im Großeinsatz, um am 14. Und 15. Januar im ganzen Land insgesamt 30.317 Wahllokale zu bewachen und Bürger auf dem Weg zu den Urnen vor Attacken von Extremisten zu schützen. Zum zweiten Mal in kaum mehr als einem Jahr ist das Volk aufgerufen, einen neuen Verfassungsentwurf zu billigen. Das von einer 50-köpfigen Verfassungskommission nach monatelanger Arbeit verfasste Grundgesetz soll jenes durch eine Volksabstimmung gebilligte Dokument ablösen, das der am 3. Juli 2013 nach Massenprotesten durch das Militär gestürzte Präsident Mohammed Mursi Ende 2012 in einer Kommission durchgepeitscht hatte, die von seiner Moslembruderschaft und mit ihr verbündeten Islamisten dominiert gewesen war und sich bedingungslos den Protesten liberaler, säkularer Kräfte und der religiösen Minderheiten widersetzt hatte.  Ägyptens neuer „starker Mann“, Verteidigungsminister Al-Sisi, hatte dieses Dokument für ungültig erklärt. Eine neue Kommission wurde unter Leitung des politischen Veteranen Amr Moussa eingesetzt. Sie präsentiert dem Volk nun ein Grundgesetz, das – so Amr Moussa – „die Bedürfnisse und Bestrebungen aller Ägypter“ spiegle. Und Amr Moussa hegt keine Zweifel, dass die große Mehrheit der Bevölkerung dieses Dokument billigen und damit einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zu einem „neuen Ägypten“ setzen werde.
Das Referendum ist der erste entscheidende Schritt nach dem von Ägyptens Übergangsführung  festgelegten Fahrplan zu einem neuen politischen System. Doch dass es die tiefe Spaltung des Landes überwinden kann, ist höchst unwahrscheinlich. Denn diesmal bleibt die Moslembruderschaft ausgeschlossen. Keiner ihrer Vertreter saß in dem von Laizisten dominierten Verfassungskomitee, in dem die einstigen Verbündeten der „Brüder“, die radikalere salafistische „Nour-Partei“, mit einem Sitz als einzige die islamistische Strömung Ägyptens repräsentierte.
Der Widerstand islamistischer Kräfte gegen das neue Grundgesetz forderte bereits mehrere Menschenleben. Wiewohl jüngst vom Regime als „Terrororganisation“ klassifiziert, ruft die von der Moslembruderschaft geleitete „Nationale Allianz zur Unterstützung der Legitimität“ (Wiedereinsetzung Mursis) zu einem Boykott des Referendums und Protesten auf. Die islamistische Jugendbewegung will das Referendum durch zivilen Ungehorsams sabotieren.
Doch Ägyptens politische Szene ist nicht mehr zwischen Islamisten und Nicht-Islamisten gespalten. Die Polarisierung ist weit komplizierter geworden. Einerseits hat die einflussreiche Nour-Partei ihre Allianz mit den Moslembrüdern aufgekündigt und engagiert sich voll für den neuen Verfassungsentwurf. Anderseits sind auch die säkularen Strömungen tief gespalten. Die Tamarod-Bewegung, die durch Massenproteste im Vorjahr Mursi zu Fall gebracht hatte, steht ebenso wie die liberrale „Nationale Rettungsfront“ voll hinter dem Verfassungsprojekt. Doch in diesen Strömungen gibt es auch Vorbehalte. So unterstützt etwa Friedensnoelpreisträger El-Baradei den „Fahrplan“, bezieht aber keine Position zum Verfassungsentwurf, während linke Gruppen insbesondere bemängeln, dass die Rechte der Arbeiter unberücksichtigt bleiben. Menschenrechtsaktivisten würdigen, dass in dem neuen Grundgesetz die Grundfreiheiten weit stärker verankert seien als in den Verfassungen von 1971 und 2012 und umstrittene religiöse Paragraphen aus dem Dokument von 2012 gestrichen wurden, irritiert Liberale insbesondere  die Tatsache, dass das Komitee im letzten Moment die Betonung der „zivilen (d.h. nicht-religiöse und nicht-militärische)Herrschaft“ im neuen Ägypten - offenbar als Zugeständnis an die Salafisten - durch „zivile Regierung“ ersetzt hatte. Besonders beunruhigt einige der liberalen Oppositionsgruppen der Paragraph, der auch in Zukunft Militärgerichtsverfahren gegen Zivilisten, wiewohl in etwas eingeschränkten Fällen, zulässt und insgesamt die Stärkung der Macht und Immunität des Militärs.
Dennoch erscheint eine Billiigung des Verfassungsentwurfes wahrscheinlich. Doch ist diese geringer und die Mehrheit knapper als beim Verfassungsreferendum von 2012 könnten jene, die die Legitimität dieses Übergangsprozesses anzweifeln und gar bekämpfen, erneut Auftrieb erhalten.

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