Montag, 20. Januar 2014

„Genf II“ gibt Syrern Hoffnung inmitten von Hoffnungslosigkeit

Die internationale Friedenskonferenz kann nur ein erster kleiner Schritt auf einem langen Weg zum Ende des Krieges sein
 
 von Birgit Cerha
 
Wenn sich am Mittwoch Vertreter von mehr als 30 Staaten im schweizerischen Montreux an den Verhandlungstisch setzen, dann werden sie einen Prozess neu beleben, der seit Juni 2012 vollends in Stocken geraten war. Damals hatte die „Aktionsgruppe für Syrien“ (der Ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates und wichtigen Nachbarländer Syriens) im „Genfer Kommunique“  den Rahmen für die politische Umgestaltung in Syrien, ein Ende der Herrschaft Bashar el Assads und den Weg zu einem demokratischen System festgelegt. Seither steckte die Suche nach einem Mechanismus zur Beendigung der katastrophalen Selbstzerstörung Syriens in der Sackgasse, während das Land immer tiefer in einem erbarmungslosen Bürgerkrieg versank.
Das „Genfer Kommunique“ bildet nun die Basis für diesen Friedensanlauf, der zum erstenmal seit Ausbruch des Krieges vor fast drei Jahren Vertreter des Assad-Regimes mit zumindest einigen Oppositionellen an einen Tisch bringen soll. Doch bis zuletzt hängt ein großes Fragezeichen über dieser Konferenz, zu deren Teilnahme sich der innerlich tief zerstrittene, vom Westen unterstützte oppositionelle Dachverband „Syrische Nationale Koalition“ (SNK) Samstag nach heftigen Debatten und gravierenden Widerständen durchgerungen hatte, nur um kaum 48 Stunden später mit einem Boykott zu drohen, sollte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon seine überraschende Einladung an den Iran nicht rückgängig machen. Eine Teilnahme Teherans, des neben Rußland wichtigsten Verbündeten Assads, ist von entscheidender Bedeutung für einen Erfolg dieser ersten ernsthaften Suche nach Verständigung und Kompromiß. Und die neue pragmatische Führung in Teheran nahm die Einladung ohne Vorbedingungen an, zeigte sich laut Ban Ki-moon aber bereit, das „Genfer Kommunique“ als Verhandlungsbasis zu akzeptieren – eine Bedingung, an die Washington Irans Platz am Verhandlungstisch knüpft.
Das hektische Tauziehen um die Teilnahme an dieser Konferenz illustriert die vorerst unüberbrückbar erscheinende Kluft zwischen den Gegnern und deren internationalen Förderern. Die Glaubwürdigkeit der Verhandlungsteams ist Grundvoraussetzung dafür dass „Genf II“ nicht sofort scheitert. Hauptprobleme dabei sind die Vertreter der Assad-Gegner. SNK, im türkischen Exil stationiert, fehlt es nicht nur an einer effizienten Führung, sondern auch an Rückhalt unter der syrischen Bevölkerung. Wozu immer sie am Verhandlungstisch zustimmen mag, sie besitzt weder Macht noch Einfluss, dies auch in die Tat zu setzen.  Zwar sprach sich der Chef des vom Westen unterstützten „Höchsten Militärrates“, General Idris, für die Unterstützung „einer Lösung“ aus, „die einen politischen Führungswechsel“ garantiere. Doch auf den syrischen Schlachtfeldern geben die von Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten geförderten Jihadis den Ton an und die radikalsten unter ihnen „Ahrar al-Sham“, Nusra und „Islamischer Staat im Irak und Syrien“ (ISIS) lehnen energisch jedes Gespräch mit Assad ab. „Wir können nicht zulassen, dass das Genf II-Spiel das Volk zum Narren hält“, wettert Nusra-Chef Al-Joulani. Die jüngst für den Kampf gegen die mit Al-Kaida verbündeten Jihadis gebildete und trotz ihrer mehrheitlich salafistischen Mitglieder vom Westen unterstützte „Islamische Front“ klassifiziert die Teilnahme an „Genf II“ als „Hochverrat“.
Andere große Hürden auf dem Weg zu einer Verständigung sind die bitteren internationalen und regionalen Rivalitäten, insbesondere die Feindschaft zwischen dem die Jihadis unterstützenden Saudi-Arabien und dem Iran. Rußland und die westlichen Mächte haben sich in den vergangenen Monaten immerhin auf drei Hauptziele geeinigt: Beendigung der Gewalt; Erhaltung der Einheit und der Staatsstrukturen (einschließlich der Streitkräfte) Syriens;  Eliminierung radikaler islamistischer Gruppen. Doch in vielen wichtigen Fragen herrscht kein Konsens, insbesondere jener des Schicksals Assads und seines Clans. Während der Westen und  die syrische Opposition auf der Bildung einer „Übergangsregierung“ als „einzige Quelle der Legitimität und Legalität in Syrien“ bestehen und bedingungslos verlangen, dass „Assad und seine engsten Mitstreiter mit Blut an den Händen“, keine Rolle im neuen Syrien spielen dürfen, können sich weder Moskau, noch der Iran mit einem Abgang ihres syrischen Verbündeten anfreunden. Und jüngste militärische Geländegewinne haben das Selbstvertrauen des Diktators wesentlich gestärkt. Assad entsendet seine Vertreter nicht nach Montreux, damit diese über seinen Abtritt verhandeln. Er bietet sich vielmehr als Partner im internationalen Kampf gegen den islamistischen Terror an und läßt seine Bereitschaft zur Wiederkandidatur bei den Präsidentschaftswahlen in diesem Jahr durchblicken. Zugleich hofft er wohl, durch vertrauensbildende Schritte, die er am Vorabend der Konferenz anbot, sein Image international aufzupolieren.
Vor diesem Hintergrund überraschen die zahlreichen kritischen Stimmen nicht, die „Genf II“ ein „Fiasko“ voraussagen oder – wie vor allem syrische Oppositionelle – befürchten, die Verhandlungen könnten Assad wichtigen Zeitgewinn verschaffen, um seine Position in einem Krieg zu stärken, der militärisch nicht zu gewinnen ist, solange der Waffennachschub von außen nicht stoppt. Und dennoch bietet diese Konferenz  der vom Krieg zermalmten Zivilbevölkerung die einzige Hoffnung inmitten verzweifelter Hoffnungslosigkeit, die Hoffnung,  dass dieser diplomatische Friedensversuch lokale Friedensinitiativen, die mehr und mehr im ganzen Land entstehen, Ermutigung von außen erhalten, der Zivilbevölkerung eine Atempause schenken und so dringend benötigte Hilfe. Damit wären erste, humanitär so wichtige Schritte gesetzt, die einen mühseligen und langen Prozess zum Ende der Gewalt einleiten könnten.
 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen