Sonntag, 19. Januar 2014

Ägyptens verlorene Revolution

Die Zustimmung zur Verfassung stärkt das Militärregime, doch der Weg zur Stabilität ist keineswegs gesichert

 
von Birgit Cerha
 
Ägyptens Übergangsführung frohlockt: Die Zustimmung zum neuen Verfassungsentwurf ist laut offiziellem Endergebnis vom Samstag mit 98,1 Prozent „überwältigend“. Dieses fast hundertprozentige Votum erinnert freilich fatal an die traditionell manipulierten Volksabstimmungen der Mubarak-Diktatur. Doch das vom Militär gestützte Übergangsregime versucht damit, die niedrige Wahlbeteiligung, die mit 38,6 Prozent nur um etwa fünf Prozent über jener  des Referendums  von 2012 über die vom gestürzten Islamisten-Präsidenten Mursi durchgepeitschte Verfassung liegt,  zu kaschieren. Der entscheidende erste Schritt in dem nach dem Sturz Mursis vor einem halben Jahr erarbeiteten Übergangsplan zur Demokratie ist gesetzt, das Ende der unterdessen kriminalisierten Moslembruderschaft, deren Kommandostruktur zerschlagen ist und deren Führung mit insgesamt rund tausend Aktivisten die Gefängnisse füllen, ist besiegelt. Ägyptens „starker Mann“, Verteidigungsminister und Generalstabschef Al-Sisi, sieht sich legitimiert in dem von ihm inszenierten Putsch vom 3. Juli. Das Referendum, so geben sich ägyptische Kommentatoren überzeugt, sei ein „Vertrauensvotum“ für Sisi, der auf diese durch massive Propaganda geförderte  Zustimmung wartete, um seine Bereitschaft zum Aufstieg in das höchste Staatsamt zu verkünden.  Der Weg zur Sisi-Republik ist frei. Die Ankündigung von Präsidentschaftswahlen durch Übergangspräsident Mansur schon im März, denen bis zum Sommer Parlamentswahlen folgen sollen, steht unmittelbar bevor.
Sisi hofft nun, auch das kritische Ausland durch die Tatsache zum Schweigen zu bringen, dass er keineswegs nur das säkulare Ägypten hinter sich hat. Immerhin billigt nicht nur die angesehene Al-Azhar, die höchste Autorität des sunnitischen Islam, die Verfassung, sondern auch die radikal-salafistische Nur-Partei, die bei den letzten Parlamentswahlen 2012 ein Viertel der Mandate erobern konnte. Insbesondere Al-Nur verhilft Sisi zu dem Anspruch, ein breites Spektrum der Bevölkerung unterstütze seinen Weg. Was zählt es da, dass Al-Nur vom Ehrgeiz getrieben wird, den Platz der Moslembruderschaft als stärkste islamistische Strömung im Land zu übernehmen.
Der Ausgang des von der Moslembruderschaft und einigen mit ihnen alliierten Gruppierungen boykottierten Referendums zeigt, dass ein großer Teil der Bevölkerung, die 2011 die Sehnsucht nach einem – auch ökonomisch -  besseren Leben zum Protest gegen Diktator Mubarak in die Straßen getrieben hatte, Stabilität und damit der Chance auf wirtschaftliche Erholung des nach dreijährigen Turbulenzen darniederliegenden Landes gegenüber Demokratie und Freiheit den Vorrang gibt und dass sie – vorerst? – auch bereit ist, gravierende Nachteile in Kauf zu nehmen.
Zu diesen Nachteilen zählt vor allem die volle Rückkehr des „tiefen Staates“, der alten Elite Mubaraks, deren Platz die zersplitterten Demokratie-Bewegungen nicht einzunehmen vermochten und die den Verlust der revolutionären Errungenschaften von 2001 besiegelt. Den Beweis dafür liefert teilweise die neue Verfassung, in der zwar größere Freiheiten als in den vorangegangenen Grundgesetzen verankert sind, die aber durch weit stärkere Machtbefugnisse und Privilegien der Streitkräfte aufgehoben werden. Vor allem aber: Der wahre Wert von Verfassungsdokumenten liegt in der Bereitschaft der Mächtigen, sie auch in die Tat zu setzen. Und die Signale dafür könnten kaum schlimmer sein: Gleichschaltung der Medien, der Praxis der alten Diktatoren folgend, Kriminalisierung journalistischer Kritiker des Regimes, Massenverhaftungen von friedlichen Demonstranten. Allein seit Juli 2012 wurden mehr als 21.000 Ägypter, überwiegend Anhänger und Sympathisanten der Moslembrüder, aber auch Liberale und führende Demokratieaktivsten, in die Gefängnisse gesteckt.
Die größte Gefahr für Ägypten liegt in der in den vergangenen Monaten dokumentierten Bereitschaft der Militärführung, Kritiker und Gegner erbarmungslos auszuschalten. Die Radikalisierung insbesondere der islamistischen Unterdrückten lastet als düsterer Schatten über den Zukunft des Landes. Schon malen so manche Analytiker das Schreckgespenst der grausigen Rebellion der um ihren Wahlsieg in den 80er Jahren betrogenen algerischen Islamisten an die Wand, die 200.000 Menschen das Leben gekostet haben.

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