Die Zustimmung zur Verfassung stärkt das Militärregime, doch der Weg zur Stabilität ist keineswegs gesichert
von Birgit Cerha
Ägyptens Übergangsführung frohlockt: Die Zustimmung zum neuen
Verfassungsentwurf ist laut offiziellem Endergebnis vom Samstag mit 98,1
Prozent „überwältigend“. Dieses fast hundertprozentige Votum erinnert
freilich fatal an die traditionell manipulierten Volksabstimmungen der
Mubarak-Diktatur. Doch das vom Militär gestützte Übergangsregime
versucht damit, die niedrige Wahlbeteiligung, die mit 38,6 Prozent nur
um etwa fünf Prozent über jener des Referendums von 2012 über die vom
gestürzten Islamisten-Präsidenten Mursi durchgepeitschte Verfassung
liegt, zu kaschieren. Der entscheidende erste Schritt in dem nach dem
Sturz Mursis vor einem halben Jahr erarbeiteten Übergangsplan zur
Demokratie ist gesetzt, das Ende der unterdessen kriminalisierten
Moslembruderschaft, deren Kommandostruktur zerschlagen ist und deren
Führung mit insgesamt rund tausend Aktivisten die Gefängnisse füllen,
ist besiegelt. Ägyptens „starker Mann“, Verteidigungsminister und
Generalstabschef Al-Sisi, sieht sich legitimiert in dem von ihm
inszenierten Putsch vom 3. Juli. Das Referendum, so geben sich
ägyptische Kommentatoren überzeugt, sei ein „Vertrauensvotum“ für Sisi,
der auf diese durch massive Propaganda geförderte Zustimmung wartete,
um seine Bereitschaft zum Aufstieg in das höchste Staatsamt zu
verkünden. Der Weg zur Sisi-Republik ist frei. Die Ankündigung von
Präsidentschaftswahlen durch Übergangspräsident Mansur schon im März,
denen bis zum Sommer Parlamentswahlen folgen sollen, steht unmittelbar
bevor.
Sisi hofft nun, auch das kritische Ausland durch die Tatsache zum
Schweigen zu bringen, dass er keineswegs nur das säkulare Ägypten hinter
sich hat. Immerhin billigt nicht nur die angesehene Al-Azhar, die
höchste Autorität des sunnitischen Islam, die Verfassung, sondern auch
die radikal-salafistische Nur-Partei, die bei den letzten
Parlamentswahlen 2012 ein Viertel der Mandate erobern konnte.
Insbesondere Al-Nur verhilft Sisi zu dem Anspruch, ein breites Spektrum
der Bevölkerung unterstütze seinen Weg. Was zählt es da, dass Al-Nur vom
Ehrgeiz getrieben wird, den Platz der Moslembruderschaft als stärkste
islamistische Strömung im Land zu übernehmen.
Der Ausgang des von der Moslembruderschaft und einigen mit ihnen
alliierten Gruppierungen boykottierten Referendums zeigt, dass ein
großer Teil der Bevölkerung, die 2011 die Sehnsucht nach einem – auch
ökonomisch - besseren Leben zum Protest gegen Diktator Mubarak in die
Straßen getrieben hatte, Stabilität und damit der Chance auf
wirtschaftliche Erholung des nach dreijährigen Turbulenzen
darniederliegenden Landes gegenüber Demokratie und Freiheit den Vorrang
gibt und dass sie – vorerst? – auch bereit ist, gravierende Nachteile in
Kauf zu nehmen.
Zu diesen Nachteilen zählt vor allem die volle Rückkehr des „tiefen
Staates“, der alten Elite Mubaraks, deren Platz die zersplitterten
Demokratie-Bewegungen nicht einzunehmen vermochten und die den Verlust
der revolutionären Errungenschaften von 2001 besiegelt. Den Beweis dafür
liefert teilweise die neue Verfassung, in der zwar größere Freiheiten
als in den vorangegangenen Grundgesetzen verankert sind, die aber durch
weit stärkere Machtbefugnisse und Privilegien der Streitkräfte
aufgehoben werden. Vor allem aber: Der wahre Wert von
Verfassungsdokumenten liegt in der Bereitschaft der Mächtigen, sie auch
in die Tat zu setzen. Und die Signale dafür könnten kaum schlimmer sein:
Gleichschaltung der Medien, der Praxis der alten Diktatoren folgend,
Kriminalisierung journalistischer Kritiker des Regimes,
Massenverhaftungen von friedlichen Demonstranten. Allein seit Juli 2012
wurden mehr als 21.000 Ägypter, überwiegend Anhänger und Sympathisanten
der Moslembrüder, aber auch Liberale und führende Demokratieaktivsten,
in die Gefängnisse gesteckt.
Die größte Gefahr für Ägypten liegt in der in den vergangenen
Monaten dokumentierten Bereitschaft der Militärführung, Kritiker und
Gegner erbarmungslos auszuschalten. Die Radikalisierung insbesondere der
islamistischen Unterdrückten lastet als düsterer Schatten über den
Zukunft des Landes. Schon malen so manche Analytiker das Schreckgespenst
der grausigen Rebellion der um ihren Wahlsieg in den 80er Jahren
betrogenen algerischen Islamisten an die Wand, die 200.000 Menschen das
Leben gekostet haben.
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