Dienstag, 31. Dezember 2013

Die Islamisten verloren ihre “Heiligkeit”

Im vierten Jahr des „Arabischen Frühlings“ ist trotz dramatischer Turbulenzen die Hoffnung auf positiven Wandel zur Moderne nicht gestorben

Von Birgit Cerha


„Die Glut des Arabischen Frühlings hat sich in einen bitteren Herbst gewandelt“, klagt die angesehene ägyptische  „Al Ahram“, während die Region mit Angst und düsteren Befürchtungen das vierte Jahr dieser historischen Epoche beginnt. Ungeachtet aller Schrecken, des grauenvollen Blutvergießens, des politischen und sozialen Chaos, in die der Ruf der arabischen Massen nach einem Ende der Despotie, nach Achtung persönlicher Würde,  der Menschenrechte und sozialer Gerechtigkeit mündete, hat der Prozess des „arabischen Erwachens“ in drei Jahren eine entscheidende Veränderung bewirkt: Die Barriere der Furcht ist durchstoßen. Selbst dort, wo despotische Kräfte immer noch – oder wieder - die Zügel der Macht in Händen halten, werden sich ihre Untertanen nicht mehr knebeln, nicht mehr einschüchtern lassen.
Doch die Opfer sind groß. In Syrien tobt ein selbstzerstörerischer Abnutzungskrieg, den nach derzeitigem Stand der Entwicklungen keine der beiden Seiten gewinnen kann. Mindestens 130.000 Menschen mussten ihn mit ihrem Leben bezahlen und elf Millionen, fast die Hälfte der Bevölkerung , flüchteten in Panik aus ihren Heimen. Aber auch in jenen Ländern, die wie Ägypten, Tunesien, Libyen oder dem Jemen ihre Despoten abschüttelten, haben sich weder die Hoffnungen auf Freiheit und Mitbestimmung, ja nicht einmal auf ein sozial besseres Leben erfüllt. Ganz im Gegenteil. Der Lebensstandard sackte dramatisch ab, eine Entwicklung, die insbesondere die schwächsten Glieder der Gesellschaft trifft. Weithin ist die Angst vor Schergen des Diktators der Angst voreinander und vor unkontrollierbarem Chaos gewichen. Keiner der neuen Führer hat auch nur begonnen, diese zunehmend dramatischen sozialen Probleme anzupacken. In Wahrheit sei es eine Revolution nicht gegen Despoten gewesen, sondern „gegen das Volk“, diese Meinung eines jungen Ägypters teilen wohl viele  am Nil und anderswo in der arabischen Welt.
 Die angesehene „Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden“ Identifiziert drei zentrale Faktoren, die die Entwicklungen der arabischen Rebellionen beeinflussen: die Veränderungen der islamischen Bewegungen; interne Macht- und Richtungskämpfe zwischen islamistischen Strömungen und die Entwicklung säkularer Kräfte.
In den Ländern, wo der „Arabische Frühling“ Diktatoren stürzte gelang islamischen Bewegungen nach jahrzehntelanger Opposition und politischer Verfolgung der Aufstieg zur einflussreichsten politischen Kraft, in Tunesien, im Libyen, im Jemen und in Ägypten bis zum Sturz des ersten freigewählten Präsidenten, dem Führer der Moslembrüder, Mohammed Mursi. Während der politische Islam auch im vierten Jahr des Arabischen Frühlings die Entwicklungen entscheidend beeinflussen wird, so hat sich unterdessen seine Rolle gewandelt.  „Die Islamisten“, stellt Marwan Muasher , Experte der Carnegie-Stiftung, fest, hätten in der arabischen Welt „ihre Heiligkeit verloren“. Ihr lange so populärer Slogan „Islam ist die Lösung“ besitze „in breiten Sektoren der Bevölkerung“ arabischer Länder keine Attraktivität mehr. Junge und pragmatische , ja selbst konservative und religiöse Bevölkerungsschichten beurteilen die neuen politischen Kräfte nach ihrer Leistung und nicht nach ihrer Ideologie. Das musste Mursi in Ägypten erleben und damit hat die herrschende islamistische  „Ennahda“ nun in Tunesien zu kämpfen. Sie könnte bei den für 2014 geplanten Parlamentswahlen die Macht an eine säkulare Koalition verlieren und damit den Präzedenzfall in der arabischen Welt setzen, dass eine islamistische Partei durch Wählerwillen die Macht verliert.
Aber auch die internen Richtungskämpfe zwischen der Massenbewegung der Moslembrüder und den radikaleren Salafisten werden 2014 die arabischen Transformationsprozesse wesentlich beeinflussen. Am bedrohlichsten aber erscheint die durch geopolitische Interessenskämpfe regionaler Mächte – allen voran Saudi-Arabien und Iran – gesteuerte Eskalation der Spannungen zwischen dem sunnitischen und der schiitischen Islam. So sieht auch Irans Außenminister Zarif die sich bedrohlich öffnenede Kluft zwischen diesen bieden Richtungen des Islams als „die größte Gefahr nicht nur für den Frieden im Nahen Osten, sondern in der gesamten Welt.“ Diese „Rivalitäten zerstören die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft.“
Doch auch die säkularen Strömungen, vor drei Jahren die Hauptantriebskräfte des „Arabischen Frühlings“ , haben bitter enttäuscht durch ihre internen Rivalitäten und ihre Unfähigkeit, sich zu einer starken politischen Strömung zu einen, die bedingungslos an demokratischen Grundsätzen festhält.
Nach drei Jahren des „Arabischen Erwachens“  müssen die Revolutionäre erst noch friedliche Wege zur nationalen Verständigung und gemeinsamen Suche nach einem Weg in die Moderne finden. Erste Schritte sind getan, gefolgt von bitteren Rückschlägen. Doch die Weltgeschichte lehrt für solch radikale Veränderungen  Geduld und Zeit.