Schwere Misshandlungen und humanitäre Tragödien in der
größten Deportationswelle der jüngsten Zeit
von Birgit Cerha
Eine Kolonne von Bussen erreicht, von der saudischen
Hauptstadt Riad kommend, die Grenze zum Jemen, an Bord Hunderte jemenitische
Arbeiter, deren sich das glitzernde Ölreich entledigen will. Es sind die
jüngsten der inzwischen auf mehr als 100.000 Menschen angeschwollenen
Migranten, die das königliche Regime in Riad aus seinem Land verbannt. Viele
der Verjagten sind total erschöpft, völlig dehydriert und „in schlechter gesundheitlicher Verfassung“,
klagt ein Vertreter der „International Organisation for Migration“ (IOM), die
sich der ver Heimkehrer annimmt. Manche zeigten Spuren schwerer Schläge und
brutaler Misshandlungen, die sie in Deternierungslagern erlitten. Auch zahlreiche Tote gibt es zu beklagen.
Zeugen erzählen wie saudische Arbeitgeber, Polizisten oder zivile
Schlägertrupps die fremden Arbeiter brutal quälten.
Im Frühjahr hatte das saudische Regime seinen mehr als acht
Millionen Gastarbeitern eine siebenmonatige Frist gesetzt, ihren Aufenthalt im
Königreich soweit nötig zu legalisieren und strikte Maßnahmen all jenen
angedroht, die sich weiterhin illegal im Land aufhielten. Die Frist war am 3.
November abgelaufen. Trotz der Vorwarnungen löste die exzessive Brutalität, mit
der Sicherheitskräfte die Deportationen begannen, einen Schock aus. Inder,
Bangladeschi, Jemeniten, Äthiopier und andere Afrikaner sowie Südostasiaten werden
heimgeschickt, Zehntausende in 64 eigens zu diesem Zweck eingerichtete Lager
gezerrt. „Sie behandeln uns wie Tiere“,
klagt eine junge Frau. Die größte Deportationswelle der Region der jüngeren
Geschichte hat begonnen.
Das Königshaus verteidigt das Vorgehen mit der
Notwendigkeit, im Zuge einer radikalen Reform seiner alten Arbeitsgesetze der
weitverbreiteten Schwarzarbeit ein Ende zu setzen.
Es war zu Beginn des Ölbooms in den 1970er Jahren, dass
Saudi-Arabien, wie auch andere Ölstaaten am Persischen Golf Arbeiter, Gastarbeiter
vor allem aus den ärmsten Ländern der Welt holten. Sie ermöglichten den Bürgern
ein Leben in luxuriöser Bequemlichkeit, indem sie die niedrigsten, die
schmutzigsten, die gefährlichsten Arbeiten und Dienstleistungen verrichteten und
dies vielfach gegen niedrigen Lohn und unter härtesten Bedingungen. Viele
wurden mit noch schlechterer Bezahlung illegal beschäftigt. Die plötzliche
zwangsweise Abreise Zehntausender Arbeiter brachte Bauarbeiten zum Stillstand.
Leichen werden nicht gewaschen, einige Schulen mußten schließen, weil die Hauswarte
verschwanden und niemand die Gebäude säubert.
In Jeddah lief eine Kläaranlage über,
weil das gesamte Personal die Flucht vor einer angedrohten Polizeirazzia
ergriffen hatte. Anderswo türmt sich in den Straßen der Müll und Mütter aus der
saudischen Mittelschicht beklagen den plötzlichen Verlust ihrer Kindermädchen
und Chauffeure.
Die Behörden aber sind entschlossen, die Kampagne
fortzusetzen und bis zu zwei Millionen
Gastarbeiter zu deportieren. Politische Analysten sehen diese Maßnahme als
Reaktion auf die Turbulenzen des „Arabischen Frühlings“, dessen teils
gravierende Folgen das Königreich bisher weitgehend abwehren konnte. Doch auch
in Saudi-Arabien gärt die Unzufriedenheit unter der jungen, überwiegend
gebildeten Generation. Weit über 20 Prozent der unter 30-Jährigen findet keine
Arbeit, während Gastarbeiter etwa die Hälfte der arbeitsfähige Bevölkerung
stellen. Doch die Deportation treffen
Arbeitskräfte aus dem Dienstleistungssektor und ungebildete Schwerarbeiter,
sowie Kinder und Hausmädchen, alles Beschäftigungen die die im Luxus
herangewachsenen Söhne kaum zu verrichten bereit sein werden.
„Wir werden zwei Jahrzehnte brauchen, um wieder den Stand
der 1970er Jahre zu erreichen“, prophezeit Turki al-Hamad, Publizist in der
ost-saudischen Ölstadt Dammam, wo Saudis einst auf den Aramco-Ölfeldern
gearbeitet hatten. „Unsere Wirtschaft hat sich entwickelt, doch sozial geht es
uns viel schlechter.“ Für die Hunderttausenden Arbeiter, die sozialem Elend in
einigen der ärmsten Länder der Welt zu entkommen suchten, bedeuten die
Deportation eine Katastrophe. Sie kehren heim in bittere Armut und
Aussichtslosigkeit für sich und ihre Familien. Allein im Oktober und November
verlor etwa der Jemen fünf Millionen Dollar an Gastarbeiterüberweisungen, die
Lebensbasis für Tausende Familien. Und Saudi-Arabien, eines der reichsten
Länder der Welt, hofft, durch die Vertreibungen die jährlichen Gastarbeiter-Überweisungen
um ein Viertel – d.h. sieben Mrd. Dollar – zu reduzieren.
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