„Als ob ich kein menschliches Wesen wäre“- Wurzeln und Auswirkungen der „modernen
Sklaverei“
Verzweifelte Männer und Frauen suchen seit Jahrzehnten der
Perspektivlosigkeit und bitteren Armut in ihrer Heimat Südostasien und
Ostafrika zu entfliehen und sich in den Ölmonarchien am Persischen Golf eine
Lebensexistenz für sich und ihre Familien daheim zu schaffen. Mit ihrer unermüdlichen Arbeit
sichern sie den durch den Ölboom der 1970er Jahre mit unermesslichen Reichtum
gesegneten Wüstensöhnen ein Leben in Bequemlichkeit und Müßiggang. Selbst die
Mütter übertragen mit Vorliebe die Betreuung und Erziehung ihrer Kinder Mädchen
aus den Philippinen und Sri Lanka.
Fast neun Millionen ausländische Arbeitskräfte, etwa ein
Drittel der Gesamtbevölkerung und mehr
als die Hälfte der erwerbsfähigen Saudis, leben heute in Saudi-Arabien,
Hunderttausende davon illegal, den stolzen Einheimischen stets zu Diensten mit
Jobs, die die Saudis meist selbst nicht übernehmen wollen. Sie kommen aus Pakistan und Indien,
Bangladesch, Sri Lanka, den Philippinen und dem Horn von Afrika, Äthiopien,
Somalia, einigen arabischen Ländern, vor allem dem benachbarten, bitterarmen
Jemen, mit dem Saudi-Arabien eine 1.800
km lange, teilweise völlig unkontrollierbare Grenze teilt. Viele von ihnen sind
ungelernt. Der saudische Privatsektor engagiert heute aber auch Hunderttausende
Fachkräfte aus dem Libanon, Syrien und Ägypten, sowie Europa. Nach jüngsten
Schätzungen des Internationalen Währungsfonds wurden in den letzten vier Jahren
von zwei Millionen neuen Jobs 1,5 Millionen an Nicht-Saudis vergeben. Gesamte
Bereiche der Wirtschaft werden von Ausländern kontrolliert.
Internationale humanitäre Organisationen brandmarken seit
langem die katastrophalen Bedingungen, denen Gastarbeiter aus den armen Ländern
Südostasiens und Ostafrikas im Königreich, aber auch in anderen arabischen
Ländern des Persischen Golfs ausgesetzt sind. In einem 133-seitigen Bericht
unter dem Titel „Als ob ich kein menschliches
Wesen wäre“ kritisiert „Human Rights Watch“ die „exzessive Arbeitslast“ der
etwa 1,5 Millionen Hausgehilfinnen, die oft monate- bis jahrelang auf die Bezahlung
ihrer Löhne warten müssen, oft sieben Tage in der Woche täglich 18 Stunden im
Einsatz sind. Tatsächlich praktiziert das Königshaus eine moderne Form der
Sklaverei. Der saudische Wissenschafter Ali al-Ahmed analysiert schonungslos,
dass in seiner Heimat bis heute „eine Kultur der Sklaverei“ fortlebt. Offiziell
wurde die Sklaverei im Königreich erst 1964 abgeschafft. Die Zahl der Sklaven
wurde damals auf 30.000 geschätzt. Doch, so meint Ahmed, die barbarische
Praktik , Menschen wie einen Besitz zu missbrauchen, existiere bis heute in der
Form des international verurteilten „Kafala“-Systems, das ausländische
Arbeitskräfte vollends an einen allmächtigen heimischen Sponsor bindet. Dieser
nimmt dem Gastarbeiter den Pass ab, sichert ihm die Aufenthaltsgenehmigung, die
nur an ihn gebunden ist und erhält damit totale Kontrolle über diesen Menschen.
Nach diesem System konfiszieren Arbeitgeber nicht nur Pässe, Geld und
Mobiltelefone von Neuankömmlingen .
Diese können nur mit dessen Zustimmung
ihre Arbeit wechseln oder vorzeitig heimreise, eine Genehmigung, die
ihnen meist verweigert wird.
Insbesondere weibliche Angestellte sind damit sexueller Gewalt durch
Arbeitgeber ausgesetzt, dem sie vollends ausgeliefert sind. Werden sie, was
häufig vorkommt, vergewaltigt oder gar schwanger drohen ihnen – und nicht dem
Arbeitgeber - meist noch Gefängnisstrafen durch die Behörden. Verzweiflung,
Krankheiten und psychische Probleme bis zum Selbstmord sind oft die Folge. Wer
unentdeckt flüchtet, kann aber ohne Pass und ohne gültiges Ausreisevisum das
Land nicht verlassen.
Misshandlungen durch saudische Arbeitgeber haben oft auch
rassistischen Charakter. Alle Migranten werden pauschal als „schwarz“ gebrandmarkt.
Äthiopier etwa stehen am unteren Ende der Hierarchie, nicht nur weil sie aus
Afrika kommen, sondern auch noch Christen sind.
Hinzu kommt ein extrem unfaires Justizsystem, das etwa Gastarbeiter, die
es schaffen, ihren gewalttätigen Arbeitgebern zu entkommen kriminalisiert,
Opfer willkürlicher Verhaftungen, unfairer Gerichtsverfahren und harter Gerichtsurteile
werden, kritisiert Human Rights Watch. Laut Amnesty International warten
derzeit 120 Menschen im Königreich nach
einem Todesurteil auf ihre Hinrichtung, die meisten sind Ausländer. Im Vorjahr
wurden 79 Menschen, darunter fünf Frauen exekutiert. Eine von ihnen erhielt das
Todesurteil wegen Zauberei und ohne Zugang zu einem Anwalt.
Die Anfang November begonnenen Massendeportationen illegal
im Lande lebender Gastarbeiter haben immerhin eine – vorerst noch schwache –
Diskussion in den saudischen Medien ausgelöst und so manche Stimmen beginnen
sich zu erheben und die große Bedeutung der Gastarbeiter für die Wirtschaft und die Bequemlichkeit der
Bürger zu betonen und zugleich auf die Ungerechtigkeit im Migrationssystem
hinzuweisen. Bis zu deren Abschaffung aber ist noch ein weiter Weg.
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