Der Aufstieg der „Islamischen Front“ verstärkt das Dilemma
des Westens bei der Suche nach einem Ende des Blutvergießens in Syrien
von Birgit Cerha
Während die gemäßigte Fraktion der syrischen Rebellen gegen
das Assad-Regime unter dem wachsenden militärischen Druck ihrer radikalen
islamistischen Rivalen, internen Kämpfen und schwindender Ressourcen auseinanderbröckelt,
spielen die USA offen mit dem Gedanken, engere Beziehungen zu islamistischen
Hardlinern aufzubauen. Der Niedergang
der gemäßigten Opposition droht ein Monat vor der geplanten Genfer
Syrien-Konferenz das gesamte Konzept der Friedenssuche zum Scheitern zu
bringen. Denn die Wahrscheinlichkeit wächst, dass das Assad-Regime nur Gegnern
gegenübersitzt, die auf das so blutige Geschehen in Syrien keinen Einfluss mehr
ausüben. Denn die diversen Islamistengruppen wollen sich nicht an den
Verhandlungstisch setzen.
Zwei Jahre lang hatte US-Präsident Obama, primär unterstützt
Großbritannien, die wichtigsten gemäßigten Oppositionsgruppen, darunter den
Dachverband der „Syrischen Oppositions-Koalition“, die „Freie syrische Armee“
(FSA), geführt von desertierten Offizieren der Streitkräfte Assads, Hauptgruppierung
des pro-westlichen „Höchsten Militärrates“, in der Hoffnung unterstützt, so
eine demokratische Alternative zur Diktatur Assads aufzubauen. Doch
islamistische Rebellen, insbesondere die mit dem Al-Kaida Netzwerk verbündete
Al-Nusra-Front und im Irak stationierte ISIS („Islamischer Staat des Iraks und
Großsyriens) fügten den FSA-Rebellen in einem blutigen Rivalitätskampf eine
schwere Niederlage nach der anderen zu. Als sieben salafistische Gruppen sich
im November zur „“Islamischen Front“ (IF) vereinten, um gemeinsam gegen das
Assad-Regime zu kämpfen, gleichzeitig aber auch den wachsenden Einfluss der
ausländischen Jihadis, insbesondere der mit Al-Kaida verbündeten Kämpfer
zurückzudrängen, begannen westliche Strategen eine Unterstützung dieser
offiziell von den USA nicht als „Terroristen“ klassifizierten Gruppen in Erwägung
zu ziehen. Denn mehr und mehr erwies IF ihre militärische Stärke gegen Assad,
was eine diplomatische Lösung des dreijährigen Krieges ohne ihre Beteiligung unmöglich
erscheinen lässt.
Doch statt sich auch mit der „FSA“ zu verbünden, bekämpft
die „IF“ oft mit höchst brutalen Methoden diese nicht-islamistischen Rivalen
mit einem Erfolg, der deren Untergang besiegeln könnte. Als die „IF“ vor
wenigen Tagen das mit US-Hilfe im Norden Syriens aufgebaute Waffenlager der „FSA“
unter ihre Kontrolle zwang und die Kontrolle über das Hauptquartier des „Höchsten
Militärrates“ übernahm, stellten Washington und London in Panik die Lieferung
letalen militärischen Geräts an die FSA ein. Der Untergang dieser militanten
Gegner Assads ist damit wohl vorgezeichnet. Deren Chef, General Idris, konnte nicht
zahlreiche Brigaden mit unterschiedlichen lokalen Zielsetzungen, Loyalitäten
und Taktiken kontrollieren und disziplinieren. Einige erwarben sich den
zweifelhaften Ruf als Schmuggler, andere als Plünderer oder Kriminelle und
nicht als Kämpfer gegen die bewaffneten Kräfte des Diktators.
„IF“ ist heute mit seinen geschätzten 45.000 bis 60.000
Kämpfern die militärisch stärkste
Rebellengruppe in Syrien, großzügig durch Saudi-Arabien und andere Golfstaaten
ausgestattet. Die Hoffnung, die nach Ansicht westlicher Regierungskreise
gemäßigtere IF werde sich mit der „FSA“ verschmelzen, bewahrheitete sich ebenso
wenig wie jene, dass diese Salafisten Jihadis von den weit radikaleren und von
den USA als Terrororganisationen qualifizierten ISIS und Al-Nusra wegzulocken vermögen. Doch vertritt „IF“
tatsächlich eine gemäßigte Ideologie? In der bei ihrer Gründung
veröffentlichten Charta nannten die sieben Gründungmitglieder eine sunnitische
Theokratie, und nicht eine Demokratie westlichen Stils als ihr Hauptziel. Sie
lehnen jede Form erepräsentativer Regierung ab und bekräftigen, dass nach dem
Islam nur „Gott der Souverän“ sei. Ausdrücklich weisen sie Säkularismus als „Widerspruch zum Islam“ zurück. Ihr
Militärchef, Zahran Alloush, dämonisiert die mehr als drei Jahrzehnte
herrschende alawitische Minderheit und ruft zu deren „Säuberung“ aus Damaskus
auf: „Die Jihadis werden den Dreck der „rafida“ (ein Schimpfwort, mit dem
Extremisten Schiiten und Alawiten belegen) von „Groß-Syrien. Sie werden es für
immer wegwaschen, so Gott will.“
Wiewohl sich „IF“ nicht mit den beiden Al-Kaida Gruppen
verbündet hkat, kooperieren sie auf dem Schlachtfeld mit ihnen. Und es herrscht
wenig Zweifel, dass sie auch deren Hass
auf den Westen teilen.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen und angesichts der
ungeheuerlichen Brutalitäten, mit denen insbesondere ISIS, sowie andere
radikale Jihadis die Zivilbevölkerung in
den von ihnen in Nord-Syrien kontrollierten Gebieten terrorisieren, erheben
sich selbst unter überzeugten Gegnern
des Regimes, unter gewaltlosen Demonstranten, die 2011 die Revolution vom Zaum
gebrochen und dafür Assads Terror am eigenen Leib erfahren hatten, zunehmend
Stimmen, die meinen, der Diktator sei vielleicht das geringste aller Übel. Auch in den USA stimmen angesehene Diplomaten und andere
Syrien-Experten in diesen Chor ein. Assad, so der ehemalige US-Botschafter im
Irak und Syrien, Ryan Crocker, „ist, so schlimm er ist, nicht so schlimm wie
die Jihadis“, die die Macht nach seinem Abgang übernehmen könnten.
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