Dienstag, 17. Dezember 2013

Ist Assad das kleinste Übel?

 Der Aufstieg der „Islamischen Front“ verstärkt das Dilemma des Westens bei der Suche nach einem Ende des Blutvergießens in Syrien
 
von Birgit Cerha
 
Während die gemäßigte Fraktion der syrischen Rebellen gegen das Assad-Regime unter dem wachsenden militärischen Druck ihrer radikalen islamistischen Rivalen, internen Kämpfen und schwindender Ressourcen auseinanderbröckelt, spielen die USA offen mit dem Gedanken, engere Beziehungen zu islamistischen Hardlinern aufzubauen.  Der Niedergang der gemäßigten Opposition droht ein Monat vor der geplanten Genfer Syrien-Konferenz das gesamte Konzept der Friedenssuche zum Scheitern zu bringen. Denn die Wahrscheinlichkeit wächst, dass das Assad-Regime nur Gegnern gegenübersitzt, die auf das so blutige Geschehen in Syrien keinen Einfluss mehr ausüben. Denn die diversen Islamistengruppen wollen sich nicht an den Verhandlungstisch setzen.
Zwei Jahre lang hatte US-Präsident Obama, primär unterstützt Großbritannien, die wichtigsten gemäßigten Oppositionsgruppen, darunter den Dachverband der „Syrischen Oppositions-Koalition“, die „Freie syrische Armee“ (FSA), geführt von desertierten Offizieren der Streitkräfte Assads, Hauptgruppierung des pro-westlichen „Höchsten Militärrates“, in der Hoffnung unterstützt, so eine demokratische Alternative zur Diktatur Assads aufzubauen. Doch islamistische Rebellen, insbesondere die mit dem Al-Kaida Netzwerk verbündete Al-Nusra-Front und im Irak stationierte ISIS („Islamischer Staat des Iraks und Großsyriens) fügten den FSA-Rebellen in einem blutigen Rivalitätskampf eine schwere Niederlage nach der anderen zu. Als sieben salafistische Gruppen sich im November zur „“Islamischen Front“  (IF) vereinten, um gemeinsam gegen das Assad-Regime zu kämpfen, gleichzeitig aber auch den wachsenden Einfluss der ausländischen Jihadis, insbesondere der mit Al-Kaida verbündeten Kämpfer zurückzudrängen, begannen westliche Strategen eine Unterstützung dieser offiziell von den USA nicht als „Terroristen“ klassifizierten Gruppen in Erwägung zu ziehen. Denn mehr und mehr erwies IF ihre militärische Stärke gegen Assad, was eine diplomatische Lösung des dreijährigen Krieges ohne ihre Beteiligung unmöglich erscheinen lässt.
Doch statt sich auch mit der „FSA“ zu verbünden, bekämpft die „IF“ oft mit höchst brutalen Methoden diese nicht-islamistischen Rivalen mit einem Erfolg, der deren Untergang besiegeln könnte. Als die „IF“ vor wenigen Tagen das mit US-Hilfe im Norden Syriens aufgebaute Waffenlager der „FSA“ unter ihre Kontrolle zwang und die Kontrolle über das Hauptquartier des „Höchsten Militärrates“ übernahm, stellten Washington und London in Panik die Lieferung letalen militärischen Geräts an die FSA ein. Der Untergang dieser militanten Gegner Assads ist damit wohl vorgezeichnet. Deren Chef, General Idris, konnte nicht zahlreiche Brigaden mit unterschiedlichen lokalen Zielsetzungen, Loyalitäten und Taktiken kontrollieren und disziplinieren. Einige erwarben sich den zweifelhaften Ruf als Schmuggler, andere als Plünderer oder Kriminelle und nicht als Kämpfer gegen die bewaffneten Kräfte des Diktators.
„IF“ ist heute mit seinen geschätzten 45.000 bis 60.000 Kämpfern  die militärisch stärkste Rebellengruppe in Syrien, großzügig durch Saudi-Arabien und andere Golfstaaten ausgestattet. Die Hoffnung, die nach Ansicht westlicher Regierungskreise gemäßigtere IF werde sich mit der „FSA“ verschmelzen, bewahrheitete sich ebenso wenig wie jene, dass diese Salafisten Jihadis von den weit radikaleren und von den USA als Terrororganisationen qualifizierten ISIS und Al-Nusra  wegzulocken vermögen. Doch vertritt „IF“ tatsächlich eine gemäßigte Ideologie? In der bei ihrer Gründung veröffentlichten Charta nannten die sieben Gründungmitglieder eine sunnitische Theokratie, und nicht eine Demokratie westlichen Stils als ihr Hauptziel. Sie lehnen jede Form erepräsentativer Regierung ab und bekräftigen, dass nach dem Islam nur „Gott der Souverän“ sei. Ausdrücklich weisen sie Säkularismus als  „Widerspruch zum Islam“ zurück. Ihr Militärchef, Zahran Alloush, dämonisiert die mehr als drei Jahrzehnte herrschende alawitische Minderheit und ruft zu deren „Säuberung“ aus Damaskus auf: „Die Jihadis werden den Dreck der „rafida“ (ein Schimpfwort, mit dem Extremisten Schiiten und Alawiten belegen) von „Groß-Syrien. Sie werden es für immer wegwaschen, so Gott will.“
Wiewohl sich „IF“ nicht mit den beiden Al-Kaida Gruppen verbündet hkat, kooperieren sie auf dem Schlachtfeld mit ihnen. Und es herrscht wenig  Zweifel, dass sie auch deren Hass auf den Westen teilen.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen und angesichts der ungeheuerlichen Brutalitäten, mit denen insbesondere ISIS, sowie andere radikale Jihadis  die Zivilbevölkerung in den von ihnen in Nord-Syrien kontrollierten Gebieten terrorisieren, erheben sich selbst unter  überzeugten Gegnern des Regimes, unter gewaltlosen Demonstranten, die 2011 die Revolution vom Zaum gebrochen und dafür Assads Terror am eigenen Leib erfahren hatten, zunehmend Stimmen, die meinen, der Diktator sei vielleicht das geringste aller Übel.  Auch in den USA  stimmen angesehene Diplomaten und andere Syrien-Experten in diesen Chor ein. Assad, so der ehemalige US-Botschafter im Irak und Syrien, Ryan Crocker, „ist, so schlimm er ist, nicht so schlimm wie die Jihadis“, die die Macht nach seinem Abgang übernehmen könnten.

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