Donnerstag, 19. Dezember 2013

Al-Kaidas Terrorherrschaft in Syrien

Mit brutalsten Methoden zwingen islamistische Extremisten Teile Nord- und Ost-Syriens unter ihre Kontrolle als wichtigen Schritt zu einem internationalen Ziel
 
von Birgit Cerha
 
Entführungen, willkürliche Gefangennahme, Folter  und Massentötungen von Gefangenen , mit solch schweren Menschenrechtsverletzungen zwingt die mit dem Terrornetzwerk Al-Kaida verbundene  „ISIS“ („Islamischer Staat des Iraks und Groß-Syriens“) die von ihr in den vergangenen Monaten eroberten Regionen Nord- und Ost-Syriens  voll unter ihre Kontrolle. In ihrem jüngsten Bericht, der sich auf Interviews aus ISIS-Gefangenschaft geflüchteter Syrer in der Türkei stützt, prangert Amnesty International schwerste Brutalitäten an Zivilisten, darunter auch Kindern, an, die in einigen Fällen Kriegsverbrechen darstellen. Selbst achtjährige Kinder werden in Geheimgefängnissen festgehalten, wiederholt ausgepeitscht und sexuell missbraucht. Die durch die drei Jahrzehnte lange Diktatur Assads, den fast dreijährigen Krieg gegen das Regime gequälte Zivilbevölkerung erleidet nun in den von „ISIS“ kontrollierten Gebieten die schlimmste Pein.
„ISIS“ ist mit  geschätzten acht- bis zehntausend Kämpfern keineswegs die größte Jihadi-Gruppe, die das Assad-Regime gewaltsam zu Fall zu bringen sucht. Aber sie ist bei weitem die brutalste und militärisch erfolgreichste. Sie kontrolliert heute Teile Nord- und Ost-Syriens, insbesondere die Provinzhauptstadt Rakka, deren Bevölkerung von 277.300  vor Kriegsbeginn durch Flüchtlinge aus anderen Regionen auf vielleicht eine Million angeschwollen ist.“ ISIS“ gelang es rivalisierende Gruppen, darunter den syrischen Al-Kaida –Ableger „Al-Nusra, gewaltsam aus Rakka zu verjagen und verkündete im Mai die neue Herrschaft über diese erste in Rebellenhand gefallene Provinzhauptstadt durch öffentliche „Exekutionen“.von drei Angehörigen der alawitischen Minderheit Assads auf dem Hauptplatz.
 Durch eine Doppelstrategie -  brutale Einschüchterung und Erzwingung von Abhängigkeit - gelang es „ISIS“ die Autorität über die Stadt zu festigen. Sie versorgt  die Bevölkerung in der Stadt und in der umliegenden Region mit Öl und Nahrungsmitteln, betreibt eigene Bäckereien. Zugleich begann sie rasch der Zivilbevölkerung ihre extreme Interpretation des Islam mit brutalen Methoden und Hilfe islamischer Gerichte, die im Schnellverfahren von mitunter einer Minute selbst Todesurteile verkünden, aufzuzwingen. Frauen müssen „ihre Schönheit bedecken“, Tabakwaren wurden verboten und selbst verbaler Widerstand wird  brutal unterdrückt. Nach Schätzungen des Syrien Analysten Chris Looney (veröffentlicht im Blog „Syria Comment“) Hält „ISIS“ derzeit mindestens 1.500 Menschen in Rakka gefangen, foltert und misshandelt sie. Hauptziele des Terrors sind Christen und Alewiten. Bibeln wurden öffentlich verbrannt, Kirchen zerstört, Priester entführt. Ein Großteil der christlichen Bevölkerung hat unterdessen die Stadt in Panik verlassen.
Wiewohl sich in Rakka  und an manchen anderen von „ISIS“ kontrollierten Orten syrische Jihadis dieser Gruppe angeschlossen haben, verdankt sie ihre militärischen Erfolge nicht-syrischen Extremisten – etwa aus Tunesien, Marokko oder den arabischen Golfstaaten, sowie dem Irak -, die in Kriegsgebieten Afghanistans, des Iraks, des Jemen und Libyens Kampferfahrung gesammelt hatten.  „ISIS“ hat ihren Ursprung im Widerstand des Iraks gegen die US-Besatzung (2003 bis 2011) und machte sich durch ungeheuerliche Brutalitäten als „Al-Kaida im Irak“ einen Namen.  Zu ihren gefürchtetsten Führern zählte der 2006 durch einen US-Militärschlag getötete jordanische Kriminelle Abu Musrab al Zarqawi, der u.a. durch blutige Terroranschläge gegen das UN-Hauptquartier in Bagdad, Entführungen auch von Ausländern und auf Video festgehaltene „Exekutionen“ Angst und Schrecken verbreitete. Der heutige Führer, der Iraker Abu Bakr al-Baghdadi, organisierte im Juli die Befreiung von Hunderten Al-Kaida Mitgliedern und Sympathisanten aus zwei irakischen Gefängnissen und initiierte durch deren Einsatz seine Kriegskampagne in Syrien. Sein Versuch, seine Organisation mit al-Nusra zur „ISIS“ zu verschmelzen, scheiterte am Widerstand der auf ihre Eigenständigkeit pochenden syrischen Gruppe, die sich jedoch offen zu Al-Kaida-Chef Zawaheri bekennt. Trotz dieser Rivalitäten gelangen „ISIS“ beträchtliche Geländegewinne in Syrien.
Baghdadi verfolgt mit seinem Syrienfeldzug ein kurzfristiges und ein langfristiges Ziel.  Zunächst geht es ihm darum,  sichere Stützpunkte in Ost-Syrien aufzubauen und mit den von ihm kontrollierten Regionen des West-Iraks zu verbinden, was teilweise bereits gelungen ist. Langfristig strebt Baghdadi nach der Errichtung eines islamischen Kalifats vom Irak über Syrien, bis in den Libanon und darüber hinaus. Zu diesem Zweck hat „ISIS schon in Rakka mit „Umschulungsprozessen“ begonnen, um vor allem der heranwachsende Generation die radikale Ideologe der Al-Kaida einzutrichtern.
Mitunter dringen aus Rakka vorsichtige Stimmen des Widerstandes. Doch das brutale Regime der „ISIS“ sichert – zunächst? – weitgehend Gehorsam. Selbst 14 der zuvor mächtigen und stolz auf ihre Unabhängigkeit bedachten lokalen Stämme schworen im November „ISIS“ die Treue.
 

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