Sonntag, 29. Dezember 2013

Ägypten auf dem Weg zum Bürgerkrieg?

Mit ihrer Strategie der Ausrottung der Moslembruderschaft wagt die Militärführung ein gefährliches Spiel

von Birgit Cerha

Zwei Gebäude der Kairoer Al-Azhar-Universität, der höchsten und ehrwürdigsten Lehranstalt des sunnitischen Islam – standen am Wochenende in Flammen. Ägyptische Universitäten entwickeln sich mehr und mehr zu Epizentren des von der Jugend geleiteten politischen Widerstandes gegen die vom Militär abgestützte Übergangsführung. „Wir werden unsere Proteste nicht beenden, bis wir Gerechtigkeit erkämpft haben für jene, die gestorben oder inhaftiert wurden“, bekräftigen Vertreter der Gruppe der „Studenten gegen den Putsch“, einer mit der Moslembruderschaft verbündeten Bewegung , die sich für die Wiedereinsetzung des am 3. Juli vom Militär abgesetzten ersten freigewählten Präsidenten Ägyptens, Mohammed Mursi, zum Ziel ihrer Aktionen gesetzt hat.

Die Spannungen zwischen Anhängern der Moslembruderschaft und den Sicherheitskräften haben sich dramatisch verschärft, seit das Übergangsregime in der Vorwoche ein höchst umstrittenes „Anti-Terrorismus-Gesetz“ verabschiedete, das die Moslembruderschaft, die größte politische und soziale Bewegung des Landes kriminalisiert. Seither starben bei Protesten im Land mindestens sechs Personen, rund 500 wurden unter dem Vorwurf, sie propagierten „terroristische Ideologien“ verhaftet und 16 bereits wegen ihrer Sympathien für die „Moslembruderschaft“ angeklagt. Ihnen drohen allein wegen dieses „Delikts“ fünf Jahre Gefängnis, während die Führer der Bewegung von nun an mit dem Tode bestraft werden können. Zudem hat die Regierung eigene „hotlines“ eingerichtet, über die die Bürger Islamisten denunzieren sollen. Massenverhaftungen und eine Serie von Prozessen gegen Anhänger einer Bewegung sind zu erwarten, die wiederholt ihre Gewaltlosigkeit bekräftigt, stehen bevor. Seit dem Sturz Mursis wurden rund tausend seiner Anhänger bei Demonstrationen getötet.
Letzten Anstoß für die höchst riskante Entscheidung, die Moslembruderschaft als „Terror-Organisation“ zu verteufeln, bot dem Regime eine Bombenexplosion, die am 24. Dezember in der Stadt Al-Mansoura im Nildelta 16 Menschen in den Tod gerissen hatte. Die mit Al-Kaida verbündeten Gruppe „Ansar Bayt al Makdis“, die sich zu dem Anschlag bekannt hatte,, ist von dem neuen Gesetz nicht betroffen. Die neuen Maßnahmen zielen vielmehr direkt auf die Moslembruderschaft, die den Terrorakt von Mansoura, wie zahllose andere verurteilt hat. „Human Rights Watch“ sieht das neue „Anti-Terror-Gesetz“ als rein politisch motiviert.


Ägyptens „starker Mann“, Verteidigungsminister General al-Sisi, verkündete Donnerstag die Entschlossenheit der ägyptischen Armee, „sich selbst für Ägypten und die Ägypter zu opfern“ und warnte : „jene, die euch Leid antun werden vom Antlitz der Erde verschwinden“. Kein Zweifel, radikale Kräfte innerhalb der Militärführung sind fest entschlossen, die Moslembruderschaft ein für alle Mal auszurotten, koste es was es wolle. Zu diesem Zweck wurden auch die Auslandskontakte der Bewegung, die über Jahrzehnte finanziell insbesondere von arabischen Golfstaaten finanziert wurde, blockiert. Als erster – und bisher einziger – Golfstaat weigerte sich aber Kuwait Sonntag, die „Anti-Terror“-Maßnahmen der Ägypter zu unterstützen. Auch die Entscheidung, das Vermögen von 1.055 als „Wohlfahrtsorganisationen“ der „Bruderschaft“ einzufrieren stoßen auf Schwierigkeiten. Die Behörden mussten sie teilweise wieder zurücknehmen, denn sie könnten sich als außerst gefährlicher Bumerang erweisen. Seit Jahrzehnten betreiben die Moslembrüder ein dichtes Netz von sozialen Aktivitäten, von Spitälern bis zu Schulen, die den ärmsten Bevölkerungsschichten dort helfen, wo der Staat traditionell kläglich versagt. Hier konnte die „Bruderschaft“ Millionen von Anhängern gewinnen, die nun teilweise ihre Lebensexistenz verlieren könnten.

Die Maßnahmen des Regimes treiben den Keil in der ägyptischen Gesellschaft noch tiefer und drohen frustrierte Anhänger der gemäßigten Moslembruderschaft in die Arme radikaler, gewalttätiger Kreise zu treiben. Terrorattacken nehmen vor allem im kaum zu kontrollierenden Sinai gefährlich zu. Auch gibt es erste Anzeichen, dass die Reihen der Sicherheitskräfte von Radikalen unterwandert sind. 280 Offiziere wurden wegen Verbindungen zu radikalen Gruppen festgenommen. Einige von ihnen gehören nicht der armen Bevölkerungsschichte an, auf die sich bisher der Extremismus beschränkt hatte.
Ob es Sisi gelingt, bis zu dem für Mitte Januar geplanten Referendum über eine neue Verfassung das Land zu stabilisieren ist höchst zweifelhaft. Viele Anhänger der Moslembruderschaft sind ungeachtet des totalen Demonstrationsverbotes zum weiteren Widerstand entschlossen.

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