Bassem Youssef geißelt politische Dummheit und Intoleranz
auf allen Seiten – Beliebte TV-Sendung
abgesagt und Staatsanwaltschaft ermittelt
von Birgit Cerha
„Heute stoppen sie eine Fernseh-Show und morgen stopfen sie
unsere Münder“, spricht ein Mitglied der Fan-Gemeinde Bassem Youssefs die
wachsende Angst der schweigenden dritten Kraft Ägyptens aus. Bassem Youssef,
der 39-jährige zum Satiriker mit Weltruhm gewandelte Herzchirurg, hat das
Ägypten General Al-Sisis an seinem wundesten Punkt getroffen. In seiner ersten
Sendung nach viermonatiger selbstauferlegter Pause geißelte er mit Humor und scharfem Zynismus
Intoleranz, Hass, politische Dummheiten auf allen Seiten des zunehmend
polarisierten Landes. Eine Woche später stoppte der Privatsender CBC des Wirtschaftsmagnaten
Mohammed Al-Amin Freitag unmittelbar vor der Ausstrahlung der zweiten Sendung
die gesamte Show mit der Begründung die Produzenten hätten durch ihre
satirische Kritik an Ägyptens „starkem Mann“, Verteidigungsminister al-Sisi,
die „redaktionellen Richtlinien“ verletzt.
Millionen von Ägyptern hatten voll Begeisterung auf den
erneuten Auftritt des beliebtesten Satirikers gewartet. Die Produzenten des
Programms „Al-Bernameg“ (das Programm), das laut CBC bis zu 40 Millionen
Zuschauer anzog, wiesen Sonntag die Vorwürfe von CBC entschieden zurück.
Youssefs Fan-Gemeinde ist schockiert und
selbst prominente Persönlichkeiten, wie Ägyptens führender Liberaler,
Nobelpreisträger und kurzfristig Vizepräsident Mohammed el-Baradei kritisieren
heftig die Entscheidung des TV-Senders. Der ehemalige Präsidentschaftskandidat
und gegenwärtige Vorsitzende der Verfassungskommission Amr Moussa drängt CBC
die Entscheidung zu revidieren. Dieser
„unkluge“ Schritt „erzeugt bei vielen Ärger und Sorge über Freiheiten. Er
schadet Ägypten.“ Auch das Präsidentschaftsbüro schloss sich der Kritik an und
betont, das Adli Mansur Rede- und Meinungsfreiheit respektiere.
Doch die Staatsanwaltschaft begann mit Ermittlungen wegen
des Vorwurfs, der Komiker hätte durch seine Witze über den
Verteidigungsminister den Frieden im Lande gestört, das öffentliche Interesse
verletzt, Chaos erzeugt und die Sicherheit in Ägypten bedroht. Er hätte in
unangemessener Weise das ägyptische Volk und alle ehrenwerten nationalen
Ikonen“ (gemeint ist insbesondere Al-Sisi) verhöhnt.
Youssef hatte seine Karriere als Satiriker, den das
„Time“-Magazin dieses Jahr in die Liste der hundert einflussreichsten
Persönlichkeiten der Welt aufnahm, nach dem Sturz Präsident Mubaraks im Februar
2011 begonnen und mit seinen Auftritten in YouTube mit einem Schlag Millionen
Zuschauer angezogen, bis ihn schließlich CBC für wöchentliche Shows engagierte.
Nichts war ihm heilig, weder die Revolutionäre, noch die Islamisten oder gar
der Präsident. Mit einer übermütigen Mischung aus Parodie, Wirrwarr und
Empörung warf er ein Schlaglicht auf die
Absurditäten und Verlogenheit, die die Neuburt des Landes prägten. Nach den
Wahlerfolgen der Moslembrüder konzentrierte er sich auf die gravierenden
Fehlschläge Präsident Mursis in dessen einjähriger Amtszeit. Vergeblich versuchte
Mursi, diesen gefährlichen Gegner zum Schweigen zu bringen. Ein Verfahren gegen
ihn wurde eingestellt. Manche politische Analysten am Nil meinen, mit seiner
hochpopulären Sendung hätte Youssef entscheidend die Massenbewegung angefeuert,
die schließlich am 3. Juli zum Sturz des ersten freigewählten Präsidenten durch
General Al-Sisi geführt hatte.
Das anschließende Klima der Repressionen und Brutalitäten
durch die Sicherheitskräfte empfand
Youssef, der ursprünglich den Militärputsch unterstützt hatte, als ungeeignet
für die Fortsetzung seiner satirischen Show. Und er übte wiederholt in Artikeln
Kritik an der Verhaftungswelle gegen Anhänger der Moslembruderschaft. So
erwarteten viele Ägypter voll Spannung den Neubeginn seiner Serie in der er
einen delikaten Balanceakt vollziehen musste, wollte er seine liberale Basis
nicht vergrämen und zugleich auch seine Freiheitsprinzipien nicht verraten.
Diese Balance ist Youssef tatsächlich gelungen. Er kritisierte die Islamisten,
die die Religion für ihre politischen Zwecke missbrauchten und christliche
Kirchen attackierten. Sein Hohn verschonte auch den Präsidenten nicht, den er
als unbedeutende Figur darstellte. Doch seine satirischen Pfeile wagte er nicht
direkt auf Al-Sisi zu zielen., vielmehr schoss er sie auf die wachsende Schar
der Anhänger des Militärs und deren Glorifizierungskampagne des Generals, die
die Polarisierung des Landes in die Katastrophe zu treiben droht. Er sprach von
der wachsenden Sorge, dass religiöser Faschismus durch „Faschismus im Namen von
Patriotismus und nationaler Sicherheit“ ersetzt werde und mokierte sich über
eine fast hysterische Kampagne, Al-Sisi zum „neuen Pharao“ zu erheben, dem das
Volk zu Füßen liege. Scharf kritisiert er Ägyptens Liberale als ebenso
intolerant wie deren islamistische Gegner. Dass dieser „Träumer der Freiheit“,
wie ihn Anhänger gerne bezeichnen, auch Realist ist, bewies er schon vor Beginn
der Sendung, als er, entschlossen seinen Kampf fortzusetzen, den aufziehenden
Sturm vorhersah. „Niemand wird uns sagen was wir sagen sollen. Wir werden sagen
was wir wollen.“
Youssefs Sorge vor der Rückkehr des Polizeistaates ist
keineswegs unbegründet. Seit Mursis Sturz wird mit wachsender nationalistischer
Leidenschaft die Meinungsfreiheit am Nil immer stärker geknebelt. Nicht nur
Anhänger der Moslembrüder und deren Medien sind Opfer. Zunehmend werden
Journalisten vor Gericht gestellt, die militärische Einrichtungen gefilmt und
Informationen veröffentlicht haben, die dem offiziellen Diskurs zuwiderlaufen.
In offiziellen, aber auch privaten Medien findet selbst die schwächste Kritik
an den neuen Herrschern kaum Platz.
Youssef hat sich in dieser Atmosphäre wachsender Intoleranz
zum Sprecher jener erhoben, die zwar ihre Stimme, aber nicht den Glauben an
Freiheit und Demokratie verloren haben. Sein Schicksal wird zum Gradmesser für
das Maß an Freiheit im neuen Ägypten.
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