Dem gestürzten Präsidenten droht die Todesstrafe – undt Ägypten
eine neue Welle der Gewalt und
anhaltende Instabilität
von Birgit Cerha
Ein Großaufgebot an Sicherheitskräften, mindestens 20.000
Offiziere und Soldaten, halten sich
bereit, um das Land vor einem erneuten Ausbruch blutiger Gewalt zu bewahren,
wenn heute, Montag, der Prozess gegen den am 3. Juli nach Massendemonstrationen
vom Militär gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi und 14 andere Führer seiner
Moslembruderschaft in Kairo beginnt. Viele Ägypter sehen mit Bangen dem Tag
entgegen, für den die Moslembruderschaft den Beginn von zeitlich
unbegrenzten Massendemonstrationen in
der Hauptstadt und anderen Landesteilen angekündigt hat. Bereits in den
vergangenen Tagen kam es zu Zusammenstößen zwischen Anhängern Mursis und
Sicherheitskräften, bei denen mehrere Menschen verletzt wurden.
Der Prozess beginnt in einer Atmosphäre schärfster Repression gegen Islamisten. An die
2000 Personen, darunter alle führenden Köpfe der Moslembruderschaft, sitzen nun
hinter Schloss und Riegel, während die vom Militär gestützte Regierung eine
drastische Verschärfung des Demonstrationsgesetzes plant. Das
Innenministeriumwarnte unterdessen, dass Demonstranten, die in den Gerichtssaal
einzudringen suchten, auf „entschlossene Gewalt“ stoßen würden. Aus Sorge,
fanatisierte Anhänger Mursis könnten versuchen, das Verfahren gewaltsam zu
stören, wurde bisher der Ort des Prozesses nicht bekannt gegeben. Auch fürchten
die Behörden den Ausbruch heftiger Emotionen, wenn Mursi das erstemal seit
seinem Sturz in der Öffentlichkeit erscheint. Er wird seit dem 3. Juli vom
Militär an einem geheimen Ort in totaler Isolation gehalten. Weder Anwälte,
noch Familienmitglieder konnten ihn bisher besuchen. Nur zweimal durfte er in
den vergangenen vier Monaten mit seiner Familie telefonieren.
Das Gericht hat bisher die Anklagepunkte gegen Mursi und 14
mitangeklagte hohe Funktionäre der Moslembruderschaft nicht veröffentlicht. Laut
staatlicher Wochenzeitschrift „Al-Ahram Al-Arabi“ wird den Angeklagten
Aufstachelung zur Gewalt, Tötung und Folter von Demonstranten außerhalb des
Präsidentenpalastes im Dezember 2012 vorgeworfen. Gegen Mursi läuft zudem ein
Verfahren wegen seiner Flucht aus einem Gefängnis,
die ihm in Kooperation mit der mit den Moslembrüdern verbündeten
palästinensischen Hamas während der Revolution gegen Präsident Mubarak im
Februar 2011 gelang.
Es waren die Ereignisse vom späten November 2012, die Mursis
Niedergang einleiteten. Damals löste der Präsident durch eine
Verfassungsdeklaration, in der er sich das letzte Wort in allen politischen
Fragen sicherte und das Justizsystem total entmachtete, Massendemonstrationen
und Sitzstreiks auch vor dem Al-Ittihadiya Präsidentenpalast aus. Nach
Presseberichten über den Ausgang der Untersuchungen der Vorfälle hatte Mursi
den Kommandanten der Republikanischen Garden, und den damaligen Innenminister beauftragt,
die Protestierenden zu verjagen. Aus Sorge vor einem Blutbad weigerten sich die
beiden Männer jedoch den mehrmals wiederholten Befehl des Präsidenten
auszuführen. Der damalige Direktor des Präsidentenbüros Ahmed Abdel-Atti, sowie
dessen Stellvertreter Asaad Al-Sheikha – beide unter den Mitangeklagten –
führten schließlich Mursis Befehl gegen friedliche Demonstranten aus Es kam zu
einem Blutbad.
Während intensiver Verhöre hatte Mursi jegliche Aussage verweigert und
erkennt nach informierten Kreisen die Rechtmäßigkeit des Gerichts nicht an. Die
Moslembruderschaft bezeichnet seine Verhaftung als Entführung und beharrt auf
seiner Position als legitim gewählter Präsident. Während Mursis Anhänger den
Prozessbeginn als Chance sehen, ihre Position in der ägyptischen, wie in der
internationalen Öffentlichkeit zu stärken, ist für das Ansehen der neuen Herrscher
die Frage der Fairness dieses Prozesses, den die Moslembrüder als Farce
brandmarken, von entscheidender Bedeutung. Menschenrechtsgruppen sehen als
ersten Test die Frage, ob der Richter die Verlegung Mursis von seinem geheimen
Aufenthaltsort in ein reguläres Gefängnis entscheidet und ob durch
TV-Übertragung für Transparenz gesorgt wird. Unabhängig davon hat die Justiz
eine äußerst harte Aufgabe, ihre Objektivität gegenüber einem Mann zu beweisen,
der mit ihr während seiner einjährigen Herrschaft härteste Machtkämpfe geführt
hatte. Als Vorsitzender des Gerichts
fungiert jener Richter, der Mubaraks letzten Premierminister, Ahmed Shafik des
Korruptionsvorwurfs freigesprochen und ihm damit die Präsidentschaftskandidatur
2012 ermöglicht hatte.
Im Falle einer Verurteilung drohen Mursi lebenslange Haft
oder die Todesstrafe.
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