Sanfte Proteste gegen das strikte Fahrverbot vermögen nicht nicht
an einem der brutalsten patriarchalischen Systeme zu rütteln
von Birgit Cerha
Auch wenn nur 60 Frauen, vielleicht sogar weniger, Samstag dem Aufruf saudischer Aktivistinnen gefolgt
waren und sich hinter das Lenkrad ihres Autos gesetzt hatten, die Initiatoren
dieses dritten Protestes seiner Art in der Geschichte Saudi-Arabiens, feiern solchen
Mut als beträchtlichen Erfolg. Immerhin hatten die Behörden des puritanischen
Königsreiches und insbesondere die allmächtige Ulema (die hohe Geistlichkeit)
in den vergangenen Tagen eine massive Einschüchterungskampagne betrieben, um
einen starken öffentlichen Protest gegen die Verletzung des Grundrechts auf
Mobilität zu verhindern. Mit Strafen
wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“, Verhaftungen und Gefängnis hatten sie
gedroht, Telefonterror betrieben und selbst einige erzkonservative saudische
Männer hatten physische Attacken auf Frauen angekündigt, die sich demonstrativ
diesem in der Welt einzigartigen Verbot des Autofahrens widersetzen würden.
Mehr als hundert Geistliche protestierten vor dem Königspalast in Riad gegen
diese „Verschwörung“ der Frauen, die mit ihrer Aktion „das Land gefährden“.
Irritiert durch die harsche Reaktion von Behörden und Ultras
im Königreich hatten die Initiatorinnen
den Aktionstag abgesagt und den Beginn einer unbefristeten Kampagne
verkündet. Unterdessen wurden mindestens
14 Frauen in Riad und anderen
Landesteilen festgenommen. Einige Aktionistinnen hatten sich bei ihren
Autofahrten filmen lassen und stellten die Clips auf YouTube.
Die Gruppe
„Women2Drive“ feiert ihre Aktion dennoch als Erfolg. Immerhin hat sie im
Vergleich zu ihrem ersten Protest 1990 Veränderungen, allerdings minimalste,
erzielt, die sie als „Fortschritte“ feiert.
Vor 23 Jahren hatten sich nur etwa 50 Frauen dem Fahrverbot widersetzt,
die meisten von ihnen waren verhaftet worden. An dem zweiten Protest
beteiligten sich 2011 lediglich 40
Frauen, zwei wurden festgenommen und eine von ihnen zu zehn Peitschenhieben
verurteilt. König Abullah hob die Strafe jedoch auf. Alle Teilnehmerinnen
wurden zur Unterschrift unter ein Garantieversprechen gezwungen, nie wieder ein
Auto zu steuern. Eine der Organisatorinnen verlor ihre Arbeit in einem
öffentlichen Amt mit der Begründung: „Es besteht die Sorge, dass sie die
Gedanken der Frauen vergiftet.“
Diesmal fühlen sich die Frauen ermutigt durch eine – wie sie
behaupten – wachsende Zahl von Männern, die mit ihrem Anliegen sympathisieren.
Ja selbst der Chef der gefürchteten „Religionspolizei“ hätte nach Aussagen der
Aktivistinnen eingestanden, dass das „islamische Recht“ den Frauen das
Autolenken nicht verbiete. Nicht nur konnte „Women2Drive“ über die sozialen
Netzwerke 17.000 Unterschriften für eine Petition zu r Aufhebung des
Fahrverbots sammeln, zum erstenmal haben die Aktivistinnen auch Verbündete in
der Regierung. Zwei der dieses Jahr vom König ernannten weiblichen Mitglieder des bisher
ausschließlich von Männern besetzten, politisch allerdings zahmen „Shura-Rates“
unterstützten offen die Aktion.
Doch die mächtige Geistlichkeit und Teile des
erzkonservativen Hauses Saud wollen von solcher, wie von jeglicher
„Liberalisierung“ absolut nichts wissen.
Sie weisen auf ein auch in einer Fetwa (islamisches Rechtsgutachten)
verankertes Gebot, das Frauen vorschreibt, nie ohne Begleitung eines männlichen
Verwandten das Haus zu verlassen. So argumentieren Islamgelehrte u.a.
autofahrende Frauen würden „die Familie und die gesamten Gesellschaft zerstören“.
Der 89-jährige König zeigt zwar ein
wenig Sympathie für diese Wünsche der Frauen und hat bereits einige vorsichtige Liberalisierungen
durchgesetzt (Einzug von Frauen in den Shura-Rat, das Recht in Lokalwahlen zu
wählen und zu kandidieren), doch das strikte patriarchalische Vormundsystem
bleibt unberührt. Und der designierte Nachfolger des greisen Königs ist weit
reaktionärer als Abdullah.
Dieerzkonservativen Kräfte im Königreich befürchten, eine
Aufhebung des absurden Fahrverbotes würde
eine Welle von Liberalisierungen vom Zaum brechen, die den islamischen
Charakter des Landes radikal verändern könnte. Die Aktivistinnen haben diese
Ängste berücksichtigt, betonen ihre Loyalität zum König und ihre
Entschlossenheit, hier nicht eine Revolution auszulösen. Dazu fehlt ihnen
tatsächlich die Kraft, zumal eine starke Elite im Königreich mit zunehmender
Entschlossenheit autoritäres islamisches Gedankengut nicht nur im eigenen Land,
sondern mehr und mehr in der gesamten Region den Menschen aufzuzwingen sucht.
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