Montag, 21. Oktober 2013

Der Krieg gegen Ägyptens Kopten

Islamisten machen die christliche Minderheit zum Sündenbock für den Putsch gegen Präsident Mursi und die Repressionen durch das Militär
 
 von Birgit Cerha

Und wieder sterben Kopten im Kugelhagel. Ein achtjähriges Mädchen ist unter den vier Toten, die von einem Motorradfahrer in einer willkürlichen Schussattacke Sonntag vor einer koptischen Kirche in Kairo getötet wurden. Sie sind die jüngsten Opfer einer Terrorwelle, die Ägyptens christliche Minderheit seit Monaten heimsucht.
Die mehr als acht Millionen Kopten, Nachkommen der alten Ägypter,  sind gezeichnet durch eine lange Geschichte von Verfolgung und Marginalisierung durch die am Nil jeweils herrschenden Mächte, wiewohl es auch insbesondere im 19. Und 20. Jahrhundert Perioden friedlichen Zusammenlebens mit der muslimischen Mehrheit gab. Doch nun herrscht ein Klima der Intoleranz und blutiger Gewalt, wie sie diese  Kirchengemeinde seit mindestens 300 Jahren nicht mehr durchlitten hatte. Laut „Amnesty International“  wurden allein seit dem 14. August mehr als 200 christliche Besitztümer, Häuser, Wohnungen, Geschäfte etc., attackiert, 43 Kirchen schwer beschädigt und Hunderte Kopten getötet. Die Gewalt konzentriert sich, neben Kairo, auf die oberägyptischen Provinzen Assiut und Minya. In der  gleichnamigen Hauptstadt Minya zogen militante Jihadis ihre schwarze Flagge über den Trümmern einer von ihnen attackierten Kirche auf. Brandschatzung, Plünderungen, Schändung religiöser Symbole zählen zu den systematischen Attacken, die  unter Kopten, aber auch gemäßigte Muslimen die Angst vor einer weiteren Destabilisierung des Landes schüren
Auch in den drei Jahrzehnten der Herrschaft des 2011 gestürzten Präsidenten Mubarak blieben die Kopten von gelegentlichen Terrorangriffen nicht verschont und die Täter wurden oft nicht verfolgt. Die Gewalt gegen Kopten verstärkte sich nach 2011, als Extremisten der lange von Mubarak massiv unterdrückten Salafisten ihrem Hass auf die Christen freien Lauf lassen konnten. Doch die entscheidende Eskalation des Terrors geht auf den Sturz Mursis im Juli zurück, insbesondere aber auf die gewaltsame Räumung des Kairoer Protestlagers der Moslembrüder durch das Militär am 14. August.
Die Moslembruderschaft, die zwar offiziell die Verantwortung für die Attacken gegen die Kopten zurückweist, sieht die christliche Minderheit als wichtigste Verbündete des neuen „starken Mannes“, General Sisi, hatte dieser doch im Beisein und mit demonstrativer Zustimmung des Koptenpapstes den Sturz des Moslembruders Mursi verkündet. Kein Zweifel, viele Anhänger Mursis machen nun die Kopten zum „Sündenbock“ für diesen Machtverlust, aber auch für die Verhaftung ihrer politischen Führer und Tausender Islamisten.
Was die Minderheit aber mindestens ebenso irritiert, wie diese einzigartige Terrorwelle, ist der häufig völlig fehlende Schutz durch die ägyptischen Sicherheitskräfte. Dies beklagt auch „Amnesty International“ : „Wir sind beunruhigt, dass diese Attacken in einem Klima der Straflosigkeit stattfinden, in dem die Sicherheitskräfte  der Tötung von Menschen und Plünderungen von Gebäuden tatenlos zusehen.“ Das vom Militär gestützte Regime leiste den Kopten angesichts der Gewalt lediglich Lippenbekenntnisse, ohne konkrete Schritte zu setzen, um der Gewalt Einhalt zu gebieten.
Verflogen ist unter den Kopten die Erleichterung des Machtwechsels vom Juli, der der von Mursi eingeleiteten Islamisierung des Landes ein Ende setzte. Denn viele Kopten fürchten nun, auch die neuen Herrscher, das Miliär, ebenso wie gemäßigte Muslime, an deren Seite sie gegen die Moslembrüder protestiert hatten, seien nicht bereit, ihnen den nötigen Schutz, ja vielleicht auch die so lange ersehnte Gleichberechtigung in der neuen Verfassung zu gewähren. „Wir sind die Urbevölkerung dieses Landes“, betont ein koptischer Intellektueller. „Wir unterstützen den ägyptischen Staat. Aber die Geschichte zeigt, dass wir die Opfer jedes Regimes sind und dass wir den Preis für jede Veränderung bezahlen müssen.“

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