Islamisten machen die christliche Minderheit zum Sündenbock
für den Putsch gegen Präsident Mursi und die Repressionen durch das Militär
von Birgit Cerha
Und wieder sterben Kopten im Kugelhagel. Ein achtjähriges
Mädchen ist unter den vier Toten, die von einem Motorradfahrer in einer willkürlichen
Schussattacke Sonntag vor einer koptischen Kirche in Kairo getötet wurden. Sie
sind die jüngsten Opfer einer Terrorwelle, die Ägyptens christliche Minderheit
seit Monaten heimsucht.
Die mehr als acht Millionen Kopten, Nachkommen der alten
Ägypter, sind gezeichnet durch eine
lange Geschichte von Verfolgung und Marginalisierung durch die am Nil jeweils
herrschenden Mächte, wiewohl es auch insbesondere im 19. Und 20. Jahrhundert
Perioden friedlichen Zusammenlebens mit der muslimischen Mehrheit gab. Doch nun
herrscht ein Klima der Intoleranz und blutiger Gewalt, wie sie diese Kirchengemeinde seit mindestens 300 Jahren
nicht mehr durchlitten hatte. Laut „Amnesty International“ wurden allein seit dem 14. August mehr als
200 christliche Besitztümer, Häuser, Wohnungen, Geschäfte etc., attackiert, 43
Kirchen schwer beschädigt und Hunderte Kopten getötet. Die Gewalt konzentriert
sich, neben Kairo, auf die oberägyptischen Provinzen Assiut und Minya. In der gleichnamigen Hauptstadt Minya zogen militante
Jihadis ihre schwarze Flagge über den Trümmern einer von ihnen attackierten
Kirche auf. Brandschatzung, Plünderungen, Schändung religiöser Symbole zählen
zu den systematischen Attacken, die unter
Kopten, aber auch gemäßigte Muslimen die Angst vor einer weiteren Destabilisierung
des Landes schüren
Auch in den drei Jahrzehnten der Herrschaft des 2011 gestürzten
Präsidenten Mubarak blieben die Kopten von gelegentlichen Terrorangriffen nicht
verschont und die Täter wurden oft nicht verfolgt. Die Gewalt gegen Kopten
verstärkte sich nach 2011, als Extremisten der lange von Mubarak massiv
unterdrückten Salafisten ihrem Hass auf die Christen freien Lauf lassen
konnten. Doch die entscheidende Eskalation des Terrors geht auf den Sturz
Mursis im Juli zurück, insbesondere aber auf die gewaltsame Räumung des Kairoer
Protestlagers der Moslembrüder durch das Militär am 14. August.
Die Moslembruderschaft, die zwar offiziell die Verantwortung
für die Attacken gegen die Kopten zurückweist, sieht die christliche Minderheit
als wichtigste Verbündete des neuen „starken Mannes“, General Sisi, hatte
dieser doch im Beisein und mit demonstrativer Zustimmung des Koptenpapstes den
Sturz des Moslembruders Mursi verkündet. Kein Zweifel, viele Anhänger Mursis
machen nun die Kopten zum „Sündenbock“ für diesen Machtverlust, aber auch für
die Verhaftung ihrer politischen Führer und Tausender Islamisten.
Was die Minderheit aber mindestens ebenso irritiert, wie diese
einzigartige Terrorwelle, ist der häufig völlig fehlende Schutz durch die
ägyptischen Sicherheitskräfte. Dies beklagt auch „Amnesty International“ : „Wir
sind beunruhigt, dass diese Attacken in einem Klima der Straflosigkeit
stattfinden, in dem die Sicherheitskräfte
der Tötung von Menschen und Plünderungen von Gebäuden tatenlos zusehen.“
Das vom Militär gestützte Regime leiste den Kopten angesichts der Gewalt
lediglich Lippenbekenntnisse, ohne konkrete Schritte zu setzen, um der Gewalt
Einhalt zu gebieten.
Verflogen ist unter den Kopten die Erleichterung des
Machtwechsels vom Juli, der der von Mursi eingeleiteten Islamisierung des
Landes ein Ende setzte. Denn viele Kopten fürchten nun, auch die neuen
Herrscher, das Miliär, ebenso wie gemäßigte Muslime, an deren Seite sie gegen
die Moslembrüder protestiert hatten, seien nicht bereit, ihnen den nötigen
Schutz, ja vielleicht auch die so lange ersehnte Gleichberechtigung in der
neuen Verfassung zu gewähren. „Wir sind die Urbevölkerung dieses Landes“,
betont ein koptischer Intellektueller. „Wir unterstützen den ägyptischen Staat.
Aber die Geschichte zeigt, dass wir die Opfer jedes Regimes sind und dass wir
den Preis für jede Veränderung bezahlen müssen.“
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