Dienstag, 15. Oktober 2013

Gemäßigte Rebellen verlieren in Syrien an Boden

Frankreich und Saudi-Arabien verstärken Militärhilfe an die zunehmend zersplitterte und unkontrollierbare militante Opposition
 
von Birgit Cerha
 
Während sich die USA seit Präsident Assads Kooperationsbereitschaft bei der Vernichtung der chemischen Waffen im Syrienkonflikt betont zurückhalten, verstärken Saudi-Arabien und Frankreich massiv ihre militärische Hilfe an die Rebellen mit dem unveränderten Ziel, den Sturz Assads zu beschleunigen. US-Präsident Obama hingegen setzt auf den Verhandlungsweg, um das Blutvergießen  zu beenden. Und zu diesem Zweck versuchen die Amerikaner, durch eng begrenzte Unterstützung die gemäßigten Gegner Assads zu stärken. Doch dass US-Militärhilfe tatsächlich nur an diese Gruppen gelangen kann, wird immer unwahrscheinlicher, insbesondere seit mit dem Al-Kaida-Terrornetzwerk alliierte Banden die wichtigsten Grenzübergänge kontrollieren. Was westliche Militärexperten besonders irritiert, sind jüngste Videoaufnahmen von tragbaren Flugabwehrraketen in den Händen islamistischer Kämpfer. Bisher hatte sich Saudi-Arabien US-Druck gebeugt und den dringenden Wunsch der Rebellen nach diesen  Waffen nicht erfüllt.  Im Westen befürchtet man, diese tragbaren Raketen könnten in die Hände von Terroristen gelangen, die damit die gesamte Zivilluftfahrt gefährden könnten.  Hat Saudi-Arabien dem Drängen nun nachgegeben? Tatsächlich dürften größere Waffenlieferungen nach Syrien gelangt sein.
Zugleich bedeutet die Ankündigung der Franzosen, mit Riad, dem engsten US-Verbündeten und großzügigsten Käufer von US-Rüstungsgütern in der Region,  ein Multi-Milliarden-Dollarabkommen zur Modernisierung der saudischen Luftwaffe zu unterzeichnen, einen weiteren Schlag ins Gesicht der Supermacht. In der Region wird viel über den offenbar schwindenden Einfluss der USA diskutiert. Die Entwicklung der Syrien-Krise könnte diese Tendenz noch wesentlich beschleunigen. Zunehmend nämlich kommen den Amerikanern ihre wichtigsten Verbündeten in der syrischen Opposition – die gemäßigten, laizistischen und demokratischen Fraktionen – abhanden. Ihr Einfluss unter den Gegnern Assads schwindet dramatisch.
Der US-Geheimdienst CIA stattet gemäßigte syrische Gruppen in Trainingslagern in Jordanien mit leichten Waffen aus, doch in derart kleinen Mengen, dass diese Hilfe nach Einschätzung von Experten de facto „irrelevant“ ist. Strömen allmonatlich bis zu 500 ausländische Jihadis nach Syrien, nehmen im selben Zeitraum kaum mehr als hundert in Jordanien ausgebildete gemäßigte Rebellen den Kampf in ihrer Heimat auf.
Nach einem jüngsten Bericht der angesehenen „IHS Jane’s Defense Weekly“ sind heute die geschätzten 100.000 in Syrien kämpfenden Rebellen in etwa tausend, vielfach  gegeneinander rivalisierende Gruppen zersplittert. Mehr als die Hälfte dieser  Rebellen hängen einer radikalen islamistischen Ideologie an, davon u.a. rund 10.000 jener des Al-Kaida Netzwerkes, viele darunter sind keine Syrer. Weitere 30.000 bis 35.000 Jihadis konzentrieren sich ausschließlich auf den Krieg in Syrien und nicht, wie die Al-Kaida Extremisten, auf das Ziel eines weltweiten islamischen Kalifats. Neben diversen anderen Gruppen gibt es auch etwa 30.000 Rebellen, die einen gemäßigten Islam vertreten. „Jane’s“ schätzt die gemäßigten Säkularisten und syrischen Nationalisten auf eine kleine Minderheit in dieser militanten Opposition und sie verlieren zunehmend an Stärke.
Der „Höchste Militärrat“ der syrischen Opposition, auf den sich die amerikanische Syrienstrategie stützt, wird zunehmend an den Rand des Geschehens gedrängt, da Milizionäre in immer größeren Zahlen zu islamischen Gruppen überlaufen.  Lässt sich diese Tendenz nicht stoppen – was höchst wahrscheinlich ist – dann verliert Obama in absehbarer Zeit seinen militärischen Partner für ein demokratisches Syrien. Dutzende dieser Überläufer haben im September in Nord-Syrien und in Damaskus zwei Gruppen gegründet, die einen islamischen Staat in Syrien errichten wollen. Hinter der Damaszener Gruppe, genannt „Armee des Islam“ , steht Zahran Alloush, Sohn eines von Riad unterstützten salafistischen Geistlichen in Saudi-Arabien. Dies nährt den Verdacht, dass die Saudis hier ihre Hand im Spiel haben und sich nun offen der amerikanischen Syrienstrategie mit dem Ziel widersetzen, durch die Schaffung einer parallelen Kommandostruktur den Kampf gegen Assad entscheidend zu verstärken.
Frustration über die zögerliche bzw. ausbleibende Militärhilfe des Westens gilt als das Hauptmotiv für den Zustrom von syrischen Kämpfern zu islamistischen Strömungen. „Weil wir zu wenig Waffen und Munition haben, laufen zahlreiche unserer Kämpfer zu ihnen (den beiden Al-Kaida Gruppen ISIS -Islamischer Staat des Iraks und al Sham, i.e. Großsyrien - sowie Al-Nusra) über. Die Islamisten haben ihre Nachschubquellen“, erläutert ein Sprecher der wichtigsten im „Höchsten Militärrat“ vertretenen „Freien Syrischen Armee“ (FSA). „Wir appellieren an die internationale Gemeinschaft: Bitte lasst nicht zu, dass unserem Volk nur die Wahl bleibt, sich den Extremisten anzuschließen oder Assad zu ergeben.“
Assads Gegner sind so tief gespalten, und auf ihren eigenen Machtgewinn konzentriert, dass sie sich nicht einmal auf Ansätze einer gemeinsamen Strategie einigen können.  Die Unzufriedenheit mit der von den USA unterstützten „Syrischen National-Koalition“ (SNK), überwiegend aus Exil-Syrern zusammengesetzt, ist in den vergangenen Wochen dramatisch angewachsen. Man wirft der SNK enge Beziehungen zum Westen vor, mangelnde Unterstützung der Kämpfer, aber auch der Zivilbevölkerung und Unfähigkeit, die Revolution seriös und spürbar abzustützen. Längst steht fest, dass die Rebellen der Koalition zutiefst misstrauen und ihr im Falle eines Sieges die Regierungsverantwortung nicht übertragen würden. Auch unter der syrischen Zivilbevölkerung wächst das Mißtrauen gegenüber SNK, ebenso wie gegenüber der FSA, in deren Reihen auch radikale Islamisten kämpfen. Zudem haben FSA-Guerillas häufig weit größeres Interesse an Plünderungen bewiesen, als an der Erreichung strategisch-militärischer Ziele. Demgegenüber ist es Al-Nusra in einigen Regionen gelungen, Sympathie unter der Bevölkerung durch die Verteilung lebenswichtiger Güter und durch kostenlose Dienstleistungen in kriegszerstörten Vierteln zu gewinnen. Solch wichtige soziale Hilfe wird ihnen nicht nur durch meist private Geldspenden reicher Golfaraber ermöglicht, sondern auch durch die Kontrolle wichtiger ökonomischer Einrichtungen, der Öl- und Getreidequellen im Norden Syriens. Doch Versuche, den sunnitischen Syrern, die traditionell einer gemäßigten Form des Islams anhängen, radikale islamistische Lebensregeln aufzuzwingen, versetzt viele Zivilisten in Angst und Verzweiflung.
Dabei wendet Al-Nusra vergleichsweise noch mildere Methoden an als ihre Schwesterorganisation ISIS, der es in den vergangenen Monaten gelang, einige Städte unter ihre Kontrolle zu bringen, versetzt viele Menschen wegen ihrer zunehmenden Aggressivität in Panik. Wer in den von ihr kontrollierten Gebieten gegen die neuen und so brutalen Herrscher protestiert, wird häufig einfach niedergeschossen. Mancherorts hat ISIS Schulen eröffnet, mit dem langfristigen Ziel, Kinder zu indoktrinieren, um so eine Jihadi-Armee für den Kampf um ein Kalifat in Syrien, im Libanon und darüber hinaus aufzustellen. Insbesondere ISIS, aber auch Nusra und andere der vielen Rebellengruppen machen sich – ebenso wie die Armee und Milizionäre Assads schwerster Kriegsverbrechen schuldig. Dabei konzentrieren die Rebellen ihre Kämpfe zunehmend auf rivalisierende bzw. feindliche Gruppen, die FSA ist zum Hauptziel von ISIS und al-Nusra geworden.
In diesem Chaos von Gewalt, Hass und Terror läßt sich der Weg von Waffen längst nicht mehr kontrollieren.

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