Frankreich und Saudi-Arabien verstärken Militärhilfe an die
zunehmend zersplitterte und unkontrollierbare militante Opposition
von Birgit Cerha
Während sich die USA seit Präsident Assads
Kooperationsbereitschaft bei der Vernichtung der chemischen Waffen im
Syrienkonflikt betont zurückhalten, verstärken Saudi-Arabien und Frankreich
massiv ihre militärische Hilfe an die Rebellen mit dem unveränderten Ziel, den
Sturz Assads zu beschleunigen. US-Präsident Obama hingegen setzt auf den
Verhandlungsweg, um das Blutvergießen zu
beenden. Und zu diesem Zweck versuchen die Amerikaner, durch eng begrenzte
Unterstützung die gemäßigten Gegner Assads zu stärken. Doch dass
US-Militärhilfe tatsächlich nur an diese Gruppen gelangen kann, wird immer
unwahrscheinlicher, insbesondere seit mit dem Al-Kaida-Terrornetzwerk alliierte
Banden die wichtigsten Grenzübergänge kontrollieren. Was westliche
Militärexperten besonders irritiert, sind jüngste Videoaufnahmen von tragbaren
Flugabwehrraketen in den Händen islamistischer Kämpfer. Bisher hatte sich
Saudi-Arabien US-Druck gebeugt und den dringenden Wunsch der Rebellen nach
diesen Waffen nicht erfüllt. Im Westen befürchtet man, diese tragbaren
Raketen könnten in die Hände von Terroristen gelangen, die damit die gesamte
Zivilluftfahrt gefährden könnten. Hat
Saudi-Arabien dem Drängen nun nachgegeben? Tatsächlich dürften größere
Waffenlieferungen nach Syrien gelangt sein.
Zugleich bedeutet die Ankündigung der Franzosen, mit Riad,
dem engsten US-Verbündeten und großzügigsten Käufer von US-Rüstungsgütern in
der Region, ein
Multi-Milliarden-Dollarabkommen zur Modernisierung der saudischen Luftwaffe zu
unterzeichnen, einen weiteren Schlag ins Gesicht der Supermacht. In der Region
wird viel über den offenbar schwindenden Einfluss der USA diskutiert. Die
Entwicklung der Syrien-Krise könnte diese Tendenz noch wesentlich
beschleunigen. Zunehmend nämlich kommen den Amerikanern ihre wichtigsten
Verbündeten in der syrischen Opposition – die gemäßigten, laizistischen und
demokratischen Fraktionen – abhanden. Ihr Einfluss unter den Gegnern Assads
schwindet dramatisch.
Der US-Geheimdienst CIA stattet gemäßigte syrische Gruppen
in Trainingslagern in Jordanien mit leichten Waffen aus, doch in derart kleinen
Mengen, dass diese Hilfe nach Einschätzung von Experten de facto „irrelevant“
ist. Strömen allmonatlich bis zu 500 ausländische Jihadis nach Syrien, nehmen
im selben Zeitraum kaum mehr als hundert in Jordanien ausgebildete gemäßigte
Rebellen den Kampf in ihrer Heimat auf.
Nach einem jüngsten Bericht der angesehenen „IHS Jane’s
Defense Weekly“ sind heute die geschätzten 100.000 in Syrien kämpfenden
Rebellen in etwa tausend, vielfach
gegeneinander rivalisierende Gruppen zersplittert. Mehr als die Hälfte
dieser Rebellen hängen einer radikalen
islamistischen Ideologie an, davon u.a. rund 10.000 jener des Al-Kaida
Netzwerkes, viele darunter sind keine Syrer. Weitere 30.000 bis 35.000 Jihadis
konzentrieren sich ausschließlich auf den Krieg in Syrien und nicht, wie die
Al-Kaida Extremisten, auf das Ziel eines weltweiten islamischen Kalifats. Neben
diversen anderen Gruppen gibt es auch etwa 30.000 Rebellen, die einen
gemäßigten Islam vertreten. „Jane’s“ schätzt die gemäßigten Säkularisten und
syrischen Nationalisten auf eine kleine Minderheit in dieser militanten
Opposition und sie verlieren zunehmend an Stärke.
Der „Höchste Militärrat“ der syrischen Opposition, auf den
sich die amerikanische Syrienstrategie stützt, wird zunehmend an den Rand des
Geschehens gedrängt, da Milizionäre in immer größeren Zahlen zu islamischen
Gruppen überlaufen. Lässt sich diese
Tendenz nicht stoppen – was höchst wahrscheinlich ist – dann verliert Obama in
absehbarer Zeit seinen militärischen Partner für ein demokratisches Syrien.
Dutzende dieser Überläufer haben im September in Nord-Syrien und in Damaskus
zwei Gruppen gegründet, die einen islamischen Staat in Syrien errichten wollen.
Hinter der Damaszener Gruppe, genannt „Armee des Islam“ , steht Zahran Alloush,
Sohn eines von Riad unterstützten salafistischen Geistlichen in Saudi-Arabien. Dies
nährt den Verdacht, dass die Saudis hier ihre Hand im Spiel haben und sich nun
offen der amerikanischen Syrienstrategie mit dem Ziel widersetzen, durch die
Schaffung einer parallelen Kommandostruktur den Kampf gegen Assad entscheidend
zu verstärken.
Frustration über die zögerliche bzw. ausbleibende
Militärhilfe des Westens gilt als das Hauptmotiv für den Zustrom von syrischen
Kämpfern zu islamistischen Strömungen. „Weil wir zu wenig Waffen und Munition
haben, laufen zahlreiche unserer Kämpfer zu ihnen (den beiden Al-Kaida Gruppen
ISIS -Islamischer Staat des Iraks und al Sham, i.e. Großsyrien - sowie
Al-Nusra) über. Die Islamisten haben ihre Nachschubquellen“, erläutert ein
Sprecher der wichtigsten im „Höchsten Militärrat“ vertretenen „Freien Syrischen
Armee“ (FSA). „Wir appellieren an die internationale Gemeinschaft: Bitte lasst
nicht zu, dass unserem Volk nur die Wahl bleibt, sich den Extremisten
anzuschließen oder Assad zu ergeben.“
Assads Gegner sind so tief gespalten, und auf ihren eigenen
Machtgewinn konzentriert, dass sie sich nicht einmal auf Ansätze einer
gemeinsamen Strategie einigen können.
Die Unzufriedenheit mit der von den USA unterstützten „Syrischen
National-Koalition“ (SNK), überwiegend aus Exil-Syrern zusammengesetzt, ist in
den vergangenen Wochen dramatisch angewachsen. Man wirft der SNK enge
Beziehungen zum Westen vor, mangelnde Unterstützung der Kämpfer, aber auch der
Zivilbevölkerung und Unfähigkeit, die Revolution seriös und spürbar
abzustützen. Längst steht fest, dass die Rebellen der Koalition zutiefst
misstrauen und ihr im Falle eines Sieges die Regierungsverantwortung nicht
übertragen würden. Auch unter der syrischen Zivilbevölkerung wächst das
Mißtrauen gegenüber SNK, ebenso wie gegenüber der FSA, in deren Reihen auch
radikale Islamisten kämpfen. Zudem haben FSA-Guerillas häufig weit größeres
Interesse an Plünderungen bewiesen, als an der Erreichung strategisch-militärischer
Ziele. Demgegenüber ist es Al-Nusra in einigen Regionen gelungen, Sympathie
unter der Bevölkerung durch die Verteilung lebenswichtiger Güter und durch kostenlose
Dienstleistungen in kriegszerstörten Vierteln zu gewinnen. Solch wichtige
soziale Hilfe wird ihnen nicht nur durch meist private Geldspenden reicher
Golfaraber ermöglicht, sondern auch durch die Kontrolle wichtiger ökonomischer
Einrichtungen, der Öl- und Getreidequellen im Norden Syriens. Doch Versuche,
den sunnitischen Syrern, die traditionell einer gemäßigten Form des Islams
anhängen, radikale islamistische Lebensregeln aufzuzwingen, versetzt viele
Zivilisten in Angst und Verzweiflung.
Dabei wendet Al-Nusra vergleichsweise noch mildere Methoden
an als ihre Schwesterorganisation ISIS, der es in den vergangenen Monaten
gelang, einige Städte unter ihre Kontrolle zu bringen, versetzt viele Menschen
wegen ihrer zunehmenden Aggressivität in Panik. Wer in den von ihr
kontrollierten Gebieten gegen die neuen und so brutalen Herrscher protestiert,
wird häufig einfach niedergeschossen. Mancherorts hat ISIS Schulen eröffnet,
mit dem langfristigen Ziel, Kinder zu indoktrinieren, um so eine Jihadi-Armee
für den Kampf um ein Kalifat in Syrien, im Libanon und darüber hinaus aufzustellen.
Insbesondere ISIS, aber auch Nusra und andere der vielen Rebellengruppen machen
sich – ebenso wie die Armee und Milizionäre Assads schwerster Kriegsverbrechen
schuldig. Dabei konzentrieren die Rebellen ihre Kämpfe zunehmend auf
rivalisierende bzw. feindliche Gruppen, die FSA ist zum Hauptziel von ISIS und
al-Nusra geworden.
In diesem Chaos von Gewalt, Hass und Terror läßt sich der
Weg von Waffen längst nicht mehr kontrollieren.
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