Sonntag, 1. September 2013

Enttäuschung und Zorn, aber auch Erleichterung in Syrien

Die Rebellen und ein Teil der Zivilbevölkerung fühlen sich von der Welt im Stich gelassen – Doch Zweifel an den wahren Urhebern der chemischen Attacken wachsen
 
von Birgit Cerha

Das offizielle Syrien feierte Sonntag einen kleinen Triumph, nachdem US-Präsident Obama Samstag abend die militärische „Strafaktion“ gegen das Damaszener Regime wegen dessen mutmaßlichen Einsatz von Giftgas aufgeschoben und die endgültige Entscheidung dem US-Kongress übertragen hatte. Es sei der „Beginn eines historischen Rückzuges“ der Amerikaner, frohlockt die regimetreue Tageszeitung „Al-Thawra“.. „Twitter“ wird seit Samstag abend überflutet mit ironischen bis sarkastischen Kommentaren über Obamas überraschende Entscheidung, die insbesondere eine Reihe von Mitgliedern der Großfamilie Assads als Schwäche der Supermacht ins Lächerliche ziehen.
In Städten, darunter das Zentrum von Damaskus, in denen trotz des zweieinhalbjährigen Krieges das Leben noch einen relativ normalen Verlauf nimmt, herrscht Erleichterung, dass – zunächst – US- Luftangriffe  mit ihren unabsehbaren humanitären Folgen ausbleiben. Während manche Teile des Landes in Trümmern liegen oder teils von radikalen islamistischen Rebellen kontrolliert werden, führen Hunderttausende Syrer weiterhin ein Leben in totaler finanzieller Abhängigkeit vom Regime und fürchten, auch diese Sicherheit zu verlieren. Andere, die zwischen den Fronten stehen, hat längst eine Apathie erfasst. „Schläge der Amerikaner“, meint einer von ihnen über Skype, „werden für uns ohnedies keinen Unterschied machen. Wir leben bereits in ständigem Kriegszustand.“  Auch nach mehr als hunderttausend Kriegstoten aber haben so manche Syrer, wie der Damaszener Schriftsteller Khaled Khalifah, ihren Glauben an eine friedliche Lösung von Konflikten nicht verloren und lehnen entscheiden ein Eingreifen von außen ab: „Invasoren haben niemals Frieden gebracht.“
Über die Stimmung unter den Gegnern Assads lässt sich allerdings, angesichts ihrer Zersplitterung in Hunderte Gruppen, nur ein vages Bild zeichnen. In dem von den chemischen Attacken betroffenen Vorort von Damaskus  warten die Menschen verzweifelt auf irgendeine Aktion, die ihrem Leiden ein Ende setzen könnte. Ob dies ein Militärschlag des Westens, der USA, sein könnte, daran zweifeln doch viele Syrer, denn das Danach erscheint angesichts der Uneinigkeit der Gegner des Diktators und des Radikalismus vieler all zu bedrohlich.
Unter den Rebellen mischt sich in die bittere Enttäuschung über Obamas Zögern Zorn und Empörung. „Das syrische Volk hatte große Hoffnung“, meint der Sprecher des Militärrates der „Freien Syrischen Armee“ (FSA), Musab Abu Qatada. Doch die langen Diskussion, die über einen westlichen Militärschlag geführt worden seien, hätten es der Regierung ermöglicht, Waffen und Soldaten in  Wohngebäude und Tiefgaragen zu verlegen. Ein ganzes Regiment und eine Einheit des Geheimdienstes habe sich in den Schlafsälen der Universitäten und Dutzenden von Schulen in Damaskus in Sicherheit gebracht. Doch gleich nach Obamas Rede Samstag abend hätten Armee-Einheiten wieder begonnen ihre Positionen in Wohnvierteln zu beziehen und – so behaupten Rebellen – auch wieder die Positionen  der Jihadis kräftig attackiert. Gemäßigte Rebellengruppen hatten voll auf einen raschen westlichen Militärschlag gesetzt, der endlich das Kräfteverhältnis in diesem blutigen Krieg zu ihren Gunsten verschieben würde. Die Hoffnung, dass dies nach einer eventuellen Zustimmung für einen Militärschlag durch den US-Kongress in mehr als einer Woche noch eintreten könnte, schwindet allerdings. Denn – so Rebellenkreise – das Regime habe nun die Chance sich noch besser gegen solche Schläge zu rüsten.  Frustration über den Westen, der die Syrer so kläglich im Stich ließe, könnte – so befürchtet Chris Harmer vom „Institute fort he Study of War“ - gemäßigte Gegner Assads in die Arme der ihnen militärisch weit überlegenen radikalen Islamisten, allen voran der mit Al-Kaida verbündeten „Al Nusra“ treiben.
Unter diesen Radikalen löst Obamas Entscheidung gemischte Gefühle aus. Al Nusra und andere militante Islamisten hatten sich ohnedies darauf eingestellt, dass westliche Schläge gegen das Assad-Regime benützt würden, um gleichzeitig auch diese Feinde des Westens entscheidend zu schwächen.

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