Die Rebellen und ein Teil der Zivilbevölkerung fühlen sich
von der Welt im Stich gelassen – Doch Zweifel an den wahren Urhebern der
chemischen Attacken wachsen
Das offizielle Syrien feierte Sonntag einen kleinen Triumph,
nachdem US-Präsident Obama Samstag abend die militärische „Strafaktion“ gegen
das Damaszener Regime wegen dessen mutmaßlichen Einsatz von Giftgas
aufgeschoben und die endgültige Entscheidung dem US-Kongress übertragen hatte.
Es sei der „Beginn eines historischen Rückzuges“ der Amerikaner, frohlockt die
regimetreue Tageszeitung „Al-Thawra“.. „Twitter“ wird seit Samstag abend
überflutet mit ironischen bis sarkastischen Kommentaren über Obamas
überraschende Entscheidung, die insbesondere eine Reihe von Mitgliedern der
Großfamilie Assads als Schwäche der Supermacht ins Lächerliche ziehen.
In Städten, darunter das Zentrum von Damaskus, in denen
trotz des zweieinhalbjährigen Krieges das Leben noch einen relativ normalen
Verlauf nimmt, herrscht Erleichterung, dass – zunächst – US- Luftangriffe mit ihren unabsehbaren humanitären Folgen
ausbleiben. Während manche Teile des Landes in Trümmern liegen oder teils von
radikalen islamistischen Rebellen kontrolliert werden, führen Hunderttausende
Syrer weiterhin ein Leben in totaler finanzieller Abhängigkeit vom Regime und
fürchten, auch diese Sicherheit zu verlieren. Andere, die zwischen den Fronten
stehen, hat längst eine Apathie erfasst. „Schläge der Amerikaner“, meint einer
von ihnen über Skype, „werden für uns ohnedies keinen Unterschied machen. Wir
leben bereits in ständigem Kriegszustand.“ Auch nach mehr als hunderttausend Kriegstoten
aber haben so manche Syrer, wie der Damaszener Schriftsteller Khaled Khalifah,
ihren Glauben an eine friedliche Lösung von Konflikten nicht verloren und
lehnen entscheiden ein Eingreifen von außen ab: „Invasoren haben niemals
Frieden gebracht.“
Über die Stimmung unter den Gegnern Assads lässt sich
allerdings, angesichts ihrer Zersplitterung in Hunderte Gruppen, nur ein vages
Bild zeichnen. In dem von den chemischen Attacken betroffenen Vorort von
Damaskus warten die Menschen verzweifelt
auf irgendeine Aktion, die ihrem Leiden ein Ende setzen könnte. Ob dies ein
Militärschlag des Westens, der USA, sein könnte, daran zweifeln doch viele
Syrer, denn das Danach erscheint angesichts der Uneinigkeit der Gegner des
Diktators und des Radikalismus vieler all zu bedrohlich.
Unter den Rebellen mischt sich in die bittere Enttäuschung
über Obamas Zögern Zorn und Empörung. „Das syrische Volk hatte große Hoffnung“,
meint der Sprecher des Militärrates der „Freien Syrischen Armee“ (FSA), Musab
Abu Qatada. Doch die langen Diskussion, die über einen westlichen Militärschlag
geführt worden seien, hätten es der Regierung ermöglicht, Waffen und Soldaten
in Wohngebäude und Tiefgaragen zu
verlegen. Ein ganzes Regiment und eine Einheit des Geheimdienstes habe sich in
den Schlafsälen der Universitäten und Dutzenden von Schulen in Damaskus in
Sicherheit gebracht. Doch gleich nach Obamas Rede Samstag abend hätten
Armee-Einheiten wieder begonnen ihre Positionen in Wohnvierteln zu beziehen und
– so behaupten Rebellen – auch wieder die Positionen der Jihadis kräftig attackiert. Gemäßigte
Rebellengruppen hatten voll auf einen raschen westlichen Militärschlag gesetzt,
der endlich das Kräfteverhältnis in diesem blutigen Krieg zu ihren Gunsten
verschieben würde. Die Hoffnung, dass dies nach einer eventuellen Zustimmung
für einen Militärschlag durch den US-Kongress in mehr als einer Woche noch
eintreten könnte, schwindet allerdings. Denn – so Rebellenkreise – das Regime
habe nun die Chance sich noch besser gegen solche Schläge zu rüsten. Frustration über den Westen, der die Syrer so
kläglich im Stich ließe, könnte – so befürchtet Chris Harmer vom „Institute fort
he Study of War“ - gemäßigte Gegner Assads in die Arme der ihnen militärisch
weit überlegenen radikalen Islamisten, allen voran der mit Al-Kaida verbündeten
„Al Nusra“ treiben.
Unter diesen Radikalen löst Obamas Entscheidung gemischte
Gefühle aus. Al Nusra und andere militante Islamisten hatten sich ohnedies
darauf eingestellt, dass westliche Schläge gegen das Assad-Regime benützt
würden, um gleichzeitig auch diese Feinde des Westens entscheidend zu
schwächen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen