Syriens Nachbarn befürchten katastrophale Auswirkungen eines Militärschlages – Scharfe Drohungen aus Teheran
von Birgit Cerha
Das syrische Regime evakuierte Mittwoch in Erwartung eines von den USA geführten Militärschlags “strategische Einrichtungen“, während die Spannungen in der Region dramatisch ansteigen. Syriens Nachbarn Jordanien und die Türkei verlegen Truppen und schweres Kriegsgerät an ihre Grenzen. Beide Länder halten sich für einen möglichen Vergeltungsschlag des Assad-Regimes bereit. Militärexperten gehen davon aus, dass US-Präsident Obama nur einen begrenzten Schlag als „Strafaktion“ wegen des Einsatzes chemischer Waffen gegen Syrien plant und deshalb auf militärische Koordination mit Jordanien, der Türkei oder etwa auch dem Libanon verzichten kann. Dennoch befürchten alle drei Staaten ein dramatisches Anschwellen der Flüchtlingswelle mit möglicherweise gravierenden Folgen für ihre Stabilität. Das jordanische Königshaus sieht sich vor allem durch die wachsende Konzentration extremistischer Jihadis in Syrien ernsthaft bedroht und hat bisher versucht, diese radikalen Kämpfer fernzuhalten und stillschweigend, gemeinsamen Projekt mit dem US-Geheimdienst CIA nur gemäßigte Gegner Assads für den Guerillakampf zu trainieren.
Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien, die durch ihre materielle und militärische Hilfe an Rebellen diesen zweieinhalbjährigen Krieg entscheidend angefacht haben, appellieren lautstark an die arabische und westliche Welt, nun die Untertanen Assads zu retten, nachdem dieser Diktator alle Grenzen überschritten und chemische Waffen gegen das eigene Volk eingesetzt habe. Saudi-Arabien fordert die internationale Gemeinschaft zu „entschlossener und ernsthafter“ Aktion gegen Assad auf. Die miteinander um Einfluss in der Region rivalisierenden Ölmonarchen freilich verbindet vor allem der Wunsch nach Assads Sturz, um damit dessen wichtigsten Verbündeten und ihren geostrategischen Rivalen Iran aus der Region zu verjagen.
Im Irak hat die seit Abzug der US-Truppen 2011 immer tiefer werdende Spaltung zwischen überwiegend pro-iranischen Schiiten und Sunniten das Land in einen katastrophalen Strudel der Gewalt gerissen, der eine klare Position gegenüber dem Syrienkrieg unmöglich macht. Während die Regierung unter dem Schiiten Maliki hartnäckig wiederholte US-Appelle, iranische Waffenlieferungen über ihr Territorium an Syrien zu unterbinden, ignorierte, senden militante Sunniten, die im Zweistromland blutigen Terror gegen die Vorherrschaft der Schiiten verbreiten, eifrig kampferprobten Jihadis nach Syrien. Ja, Al-Kaida im Irak verkündete vor einigen Monaten gar eine Allianz mit der ihr nahestehenden „Jabhat al-Nusra“, der militärisch effizientesten Rebellengruppe in Syrien. Gleichzeitig wächst auch die Zahl schiitischer Iraker, die sich der für Assad kämpfenden libanesischen Hisbollah oder anderen mit dem Diktator verbündeten Gruppen anschließen.
Kein Land der Region aber fühlt sich vom blutigen Chaos in Syrien derart bedroht wie der Libanon, jahrzehntelang engstes mit der syrischen Hegemonialmacht verbündet, 30 Jahre unter der Knute der syrischen Besatzungsarmee. Ähnlich wie in Syrien charakterisiert auch den Libanon ein reiches Mosaik an religiösen und ethnischen Minderheiten. Sollten Assad und seine alawitische Minderheit die Macht in Syrien verlieren, wären die diversen Bevölkerungsgruppen des Libanons gezwungen unterschiedliche Partei zu ergreifen. Verzweifelt versucht Präsident Suleiman, strikte Neutralität zu wahren, doch seit die mit dem Iran verbündete schiitische Hisbollah vor wenigen Monaten erstmals in einer entscheidenden Schlacht um die strategisch wichtige Grenzstadt Kuseir den Soldaten Assads zu Hilfe kam und damit die Kräfteverhältnisse zugunsten des Diktators verschob, schwappt die Gewalt immer mehr über die Grenze in den Libanon über. Bis heute hat sich das Land nicht von blutigen Bürgerkrieg (1975 bis 1990) erholt und die Panik vor einer Wiederholung der Geschichte mit vielleicht noch gravierenderen Auswirkungen erfasst immer mehr Menschen. Hisbollah hat deshalb im Land stark an Popularität eingebüßt. Dennoch warnen ihre Führer, sollten Washington und London die Kräfteverhältnisse in Syrien und im Libanon verändern, die „Achse des Widerstandes“ (gegen Israel - Syrien-Iran-Hisbollah) brechen, würde Hisbollah in Aktion treten. Dass Israel wichtigstes Ziel der Vergeltung sein könnte, stellen auch iranische Führer klar. Sollten die USA eine „überstürzte illegitime“ Militäroperation durchführen, müssten sie sich „um ihr illegitimes zionistisches Kind in der Region“ große Sorge machen. Dennoch sind unabhängige Analysten davon überzeugt, dass weder der Iran, noch die Hisbollah eine Verwicklung in einen Krieg riskieren wollten, solange nicht ihre Existenz bzw. ihre geostrategischen Interessen ernsthaft bedroht wären. Ein begrenzter US-Militärschlag würde dieses Ziel nicht verfolgen.
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