Von den Ufern des Tigris aus wollen die radikalen Islamisten
auch Syrien unter ihre Kontrolle bringen – Maliki spielt ihnen in die Hände
von Birgit Cerha
Im Schatten Syriens und doch direkt beeinflusst von den
blutigen Ereignissen im Nachbarstaat, treibt der Irak immer näher dem Rand des
Abgrunds zu. Nach einigen Jahren relativer Ruhe reißt eine Serie von
Terrorattacken mit erschreckender Regelmäßigkeit und Intensität allwöchentlich
Hunderte Menschen in den Tod. Allein im August lag die Bilanz bei 800. Mehr als
5000 Iraker, überwiegend Zivilisten wurden seit Anfang 2013 bereits gewaltsam getötet. Es
ist schon jetzt das blutigste Jahr seit 2008.
Während das syrische
Arsenal an chemischen Waffen die
internationale Gemeinschaft in Bann hält, drohen aus dem östlichen
Nachbarland weit dramatischere Gefahren nicht nur für den Irak, sondern auch
für Syrien und die ganze Region. Es ist eine Gewalt, die eines Tages auch das
Abendland bedrohen dürfte.
„Al-Kaida im Irak“ (AKI), einst von den US-Truppen mit Hilfe
lokaler sunnitischer Milizen fast zur Bedeutungslosigkeit reduziert, ist
wiedererstanden und dies mit einer Stärke wie nie zuvor. „Die in regelmäßigen, kurzen Intervallen durchgeführten
Großattacken“ ließen auf eine enorme
Verbesserung der „Planungs- und
Operationskapazität“ dieses Ablegers des Al-Kaida-Netzwerkes schließen, stellt
die einstige Geheimdienstoffizierin der US-Armee, Jessica D. Lewis, in einer Studie des „Institutes
for the Study of War“ fest.
Entwicklungen im Irak, die autokratische Politik Premier Malikis, der die
arabisch-sunnitische Minderheit zunehmend an den Rand des politischen
Geschehens drängte und damit die Entwicklung einer gegen die Regierung
gerichteten Rebellenbewegung provozierte, bot AKI, ebenso wie die Eskalation
des überwiegend von Sunniten geführten Krieges gegen das Assad-Regime und die direkte Militärhilfe der schiitisch-libanesischen Hisbollah für den
Diktator im Nachbarland, neue Chancen, ihre radikalen Ziele gewaltsam zu
verfolgen.
AKI, auch unter dem Namen „Islamischer Staat des Iraks“
bekannt, wurde 2004 von dem blutrünstigen jordanischen Extremisten Abu Musab
al-Zarqawi als „Tochterorganisation“ der
Al-Kaida Osama bin Ladens gegründet. Durch Autobomben, Selbstmordattentate,
über Videos verbreitete Ermordung von Geiseln und andere Akte ungeheuerlicher
Brutalität, versuchte AKI, alle Ausländer, insbesondere die US-Besatzungstruppen
aus dem Irak zu vertreiben und die Bevölkerung zum Widerstand gegen die USA und
das die von ihr unterstützte irakische Regierung zu bewegen. Zarqawi wurde
durch einen US-Luftwaffenangriff 2006 getötet. Wenige Monate später übernahm
der Iraker Abu Omar al-Baghdadi die Führung der Organisation, der er ein „irakisches
Gesicht“ zu geben versuchte. Im Jahr darauf gelang es den US-Truppen, gemeinsam
mit der von ihnen gegründeten sunnitischen „Erweckungsbewegung“, der
überwiegend lokale Gemeinde- und Stammesführer angehörten – AKI empfindliche
Schläge zuzufügen. Der Irakbegann nach
Jahren des Blutvergießens auf Stabilität zu hoffen. Bis zum Frühjahr 2010
konnten amerikanische und irakische Truppen laut Aussagen des Oberkommandierenden
der US-Truppen im Irak, General Raymond Odierno „34 der 42 AKI-Führer“
festnehmen oder töten. Die Organisation verlor damit „die Verbindung mit (der
Al-Kaida Führung) in Pakistan und Afghanistan“.
Zwar konnte sie immer noch Terroranschläge durchführen, doch sie war zerrissen,
isoliert und stellte keine ernsthafte Gefahr mehr für den irakischen Staat dar. Bis zum Abzug der US-Truppen im Dezember 2011
sank die Zahl der Terrortoten auf 300 bis 400 im Monat.
Doch insbesondere in den vergangenen 14 Monaten hat sich nach
Einschätzung von Lewis AKI zu einem robusten Terrornetzwerk entwickelt,
gefördert durch eine Reihe von Faktoren. So gelang es der AKI-Führung, eine
Vielzahl voneinander unabhängig operierender Zellen im Irak aufzubauen und sich
zugleich verstärkt auf Autobomben, sog. „Vehicle borne improvised explosive devices, VBIED,
konzentrieren . AKI verfügt heute offenbar über eine Vielzahl von VBIED-Produktionsstätten,
die oft nahe der wichtigsten Einsatzzonen, etwa am Rande Bagdads, liegen.
Am 21. Juli 2012 verkündete AKI-Führer Abua Bakr al-Baghdadi
den Start einer einjährigen Kampagne, genannt „Durchschlagen der Wände“. Bis
23. Juli 2013 überzog das Netzwerk den Irak mit insgesamt 24 Wellen von
Autobomben, die eine enorme Zahl an
Opfern forderte. In diesen Attacken meinen Experten die „robuste und
spezialisierte Planungskapazität“ der neubelebte AKI zu erkennen. Sie ließen
auf eine äußerst geschickte Führung schließen, die kleine, gut ausgebildete und
höchst effiziente Terrorteams einsetzen könne. Die Wellen begannen zunächst an
der nordöstlichen Front um die zwischen Kurden und Bagdad heftig umstrittene
Ölstadt Kirkuk, sowie auf die Grenzlinein zwischen dem autonomen Kurdistan und
dem Rest des Iraks, wo sich die rivalisierenden Sicherheitskräfte Bagdads und
der Kurden (Peschmergas) misstrauisch gegenüberstehen, verlagerten sich
schließlich weiter nach Süden und zuletzt insbesondere auf Bagdad. Die Anschläge
verfolgen stets das Ziel, latente ethnische und religiöse Spannungen (zwischen
Kurden und Arabern bzw. arabischen Sunniten und Schiiten) aufzuheizen und
zugleich die Unfähigkeit der ungeliebten Regierung Maliki unter Beweis zu
stellen. Diesem Zweck diente eindrucksvoll eine Serie von Attacken auf
Gefängnisse. Die spektakulärste darunter gelang AKI am 21. Juli, als sie 500
islamistischen Insassen des Gefängnisses von Abu Ghraib, eines der größten und
bestbewachten des Landes, die Flucht ermöglichte und 68 Regierungssoldaten
töteten. Die Aktion löste unter der Bevölkerung einen Schock aus, bewies sie
doch eine dramatische Schwäche der irakischen Sicherheitskräfte und genau dies
war ein wichtiges Motiv Baghdadis. Die Entflohenen werden nun zweifellos die
Reihen ihrer Gesinnungsgenossen im Irak, aber auch in Syrien entscheidend stärken.
Siegesgewiss verkündete Baghdadi daraufhin die Gründung des „Islamischen
Staates des Iraks und al Sham“ (Großsyriens, d.h. Syrien und Libanon) und
betonte die enge Kooperation mit dem Al-Kaida Ableger in Syrien, der Al-Nusra-Front.
Obwohl Al-Nusra ihre Eigenständigkeit betont, herrscht längst über die
Terroraktivitäten AKIs in Syrien kein Zweifel. Experten überraschte in den
vergangenen Monaten die erstaunliche Fähigkeit der AKI, in Syrien zuzuschlagen
und gleichzeitig ihre Mordkampagnen im Irak dramatisch zu verstärken. Lewis ist
davon überzeugt, dass die strategischen Erfolge von AKI im Irak die
Organisation in Syrien stärken werde. „AKI wird von einer sich
verschlechternden Sicherheitssituation profitieren, die sich über Staatsgrenzen
hinweg ausweitet.“
Für den Irak hat Baghdadi im August eine neue einjährige Kampagne angekündigt. Er nennt sie „Soldaten-Ernte“. Diese neue Terrorwelle
konzentriert sich auf Bagdad und den Südirak und traf erstmals eine wichtige
Infrastruktur-Einrichtung, den Hafen von Umm Kasr am Persischen Golf. Experten
sehen darin ein Signal, dass sich AKI nun auf Attacken gegen schwerbewachte Einrichtungen,
Infrastruktur und Anlagen der Sicherheitskräfte, konzentrieren werde, um das
Vertrauen der Bevölkerung in die Fähigkeit der Regierung, das Land endlich zur
Stabilität zu führen, weiter zu untergraben.
Maliki nannte jüngst AKI die größte Gefahr für seine
Regierung. Doch seine Strategie, den Krieg gegen Al-Kaida zu gewinnen, dürfte
sich als Bumerang erweisen. Massenverhaftungen, mit denen er auf den Sturm von
Abu Ghraib reagierte, sind nur dazu angetan, die arabischen Sunniten noch mehr
zu vergrämen und zu radikalisieren. Die Spannungen zwischen den irakischen
Bevölkerungsgruppen sind dramatisch angewachsen. Gezielte Attacken der AKI,
aber auch anderer irakisch-sunnitischer Extremistengruppen auf schiitische
Ziele führten bereits zur Neubelebung
militanter Schiitengruppen, die vor sechs Jahren gemeinsam mit den radikalen
Sunniten das Land an den Rand des Bürgerkrieges getrieben hatten. Schiitische
Milizen haben bereits begonnen, wieder die Kontrolle über Ost-Bagdad zu
übernehmen, während die Regierung tatenlos zusieht. Demgegenüber, betont Lewis,
dürfte AKI einige Gebiete im Irak voll unter Kontrolle gebracht haben, darunter nördliche Teile der Provinz Diyala, der
Wüstenregionen nordwestlich von Bagdad und westlich von Tikrit, sowie Gebiete nahe der Grenze zu Kurdistan. AKI hat
sich bisher offenbar auch den ungehinderten Zugang zum syrischen Territorium
unterhalten, das den Terroristen als Zuflucht und auch als Trainingszentren
dienen könnte.
Schlüssel zum AKIs Erfolg ist nach Ansicht Lewis eine
offenbar hervorragende Kommunikation, die
Maliki nicht zu stören vermochte, sowie bisher nicht entdeckte
Finanzquellen. Weitere Geländegewinne im Irak, aber auch in Syrien dürften die
unmittelbaren strategischen Hauptziele des Netzwerkes sein, um dort sicheren
Unterschlupf zu finden und Sprungbretter
für die Ausweitung ihrer Terroraktionen.
Die jüngste Geschichte des Iraks hat gelehrt, dass die
Haltung der arabischen Sunniten ausschlaggebend ist für Erfolg oder Misserfolg
von AKI. Ohne Entscheidung der sunnitischen Stammesführer, mit US-Hilfe dem
brutalen Treib en dieser Terroristen Einhalt zu gebieten, wäre es den
Amerikanern nicht gelungen AKI so entscheidend zu schwächen. Kann sich Maliki
nicht zur Wiedereingliederung der arabischen Sunniten in den politischen
Prozess entschließen, dann riskiert er einen Neuausbruch des Bürgerkrieges und
er eröffnet damit AKI die erhofft Chance auf neue strategische Gewinne im Irak
und damit auch in Syrien.
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