Dienstag, 6. August 2013

Die Wiedergeburt der jungen Ägypter


Die „neuen Helden“ im Land der Pharaonen wollen sich nicht mehr, wie jahrzehntelang, aus dem politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsprozess verdrängen lassen
von Birgit Cerha

Fasziniert blickt die Welt seit 2011 nach Ägypten, wo eine junge Generation mit enormer Kreativität per Mobiltelefon und Internet für Freiheit und Demokratie kämpft und zweimal einen autokratischen Herrscher (zuerst Hosni Mubarak und am 30. Juni Mohamed Mursi) stürzte. Weltweitbewunderten drei Millionen Menschen über YouTube Ali Mohamed, einen zwölfjährigen Mittelschüler aus einem Kairoer Armenviertel, der während einer Massendemonstration auf dem Tahrir-Platz einer lokalen Fernsehstation in eindrucksvoller Eloquenz eine kritische Analyse der Herrschaft Mursis gab. „Ich höre sehr viel den Menschen zu und ich setze mein Gehirn ein“,  bemerkt Ali auf verwunderte Fragen über sein erstaunliches Wissen und seine Ausdrucksfähigkeit. „Auf das Alter kommt es nicht an, der Verstand zählt!“
Der kleine Ali repräsentiert nach den Worten eines politischen Analysten eindrucksvoll die „Wiedergeburt“, die  Ägyptens Jugend seit Beginn der Revolution gegen Mubarak 2011 durchlebt. Es ist ein erstaunlicher Wandel vom traditionellen „Problem der Gesellschaft“ zur Kraft der Veränderung. In den 1950er Jahren sah das Land in seiner jungen Generation, die der nationalistische Revolutionär Gamal Abdel Nasser zu begeistern und zu mobilisieren verstand, die große Hoffnung. Doch seit Präsident Sadat in den 1980er Jahren die Politik der „offenen Tür“ für das große Investitionsgeld einleitete, begann eine lange Periode sträflicher Vernachlässigung. Regierungen und die ältere Generation insgesamt sahen zunehmend die Jungen als „das Problem“ ihres Landes, betrachteten ihre Freizeitgestaltungen als gefährlich oder „moralisch korrupt“, als Schritt in die Kriminalität, Drogenkonsum und moralische Dekadenz. Die wissenschaftliche Literatur kritisierte die Haltung der Regierungen am Nil gegenüber der Jugend, die sie als „das Problem“ Ägyptens sah und so habe sich die heranwachsende Generation zu einer Benachteiligten Bevölkerungsgruppe entwickelt, die zugleich als verantwortungslos und als Bedrohung der sozialen Ordnung empfunden worden sei. Seit fast vier Jahrzehnten  haben aufeinanderfolgende Regierungen keine Jugendpolitik betrieben, keine Jugendprogramme, keine Bildungsreformen, keine Projekte zu sinnvoller Freizeitgestaltung. Sportliche Aktivitäten blieben meist den Kindern der Reichen vorbehalten.  Politische und soziale Bewegungen drängten die Jugend ebenso an den Rand der Gesellschaft. Die drei Jahrzehnte der Mubarak-Herrschaft das Land dominierenden „Nationale Demokratische Partei“ hatte zwar eine Jugendgruppe, doch deren Mitglieder wurden nicht in politische Gestaltung mit einbezogen, ja nicht einmal gehört. Diese Marginalisierung der heranwachsenden Generation am Nil setzte auch Mursi in seiner einjährigen Herrschaft fort und hielt sich damit an die Tradition seiner Bewegung.
Und plötzlich sind die so lange vernachlässigten  jungen Ägypter zu Helden der Nation geworden, von einem wachsenden Teil der Bevölkerung als „Kraft der Veränderung“ anerkannt. Nicht wenige haben diesen radikalen Wandel mit dem Leben bezahlt. Die Mauern des Geländes der ehrwürdigen „American University of Cairo“ am Tahrir-Platz sind bepflastert mit den Fotos junger Ägypter. Sie alle hatten seit 2011 die Opferbereitschaft für die Ziele der Revolution – Würde, Demokratie und soziale Gerechtigkeit – bis zu ihrem Tod getrieben.
„Die Jugend, so lange an den Rand des politischen Lebens gedrängt, verdient eine Chance“ ruft Shady Ghazali Harb, ein Jugendführer aus. Und er ruft „alle Minister und Gouverneure auf, junge Menschen als Berater zu engarieren. „Wir müssen in den staatlichen Institutionen an der untersten Stufe der Angestelltenleiter beginnen, um Erfahrung zu sammeln.“ Ägyptens Jugend ist entschlossen, sich von keinem Sektor der Gesellschaft mehr an den Rand drängen oder gar unterdrücken zu lassen.

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