Sonntag, 18. August 2013

Die wahren Ziele der Moslembruderschaft

Hat sich Ägyptens größte islamitische Bewegung tatsächlich gemäßigt und modernisiert? – Zwei Optionen stehen ihr nun offen
von Birgit Cerha
Der Triumph der ägyptischen Moslembruderschaft (MB) nach mehr als acht Jahrzehnten teils blutigen Ringens um politische Relevanz und Macht währte kaum ein Jahr. Wieder sitzen viele ihrer führenden Mitglieder und Hunderte Anhänger im Gefängnis. Sie präsentieren sich als gewaltlose, demokratiesuchende Opfer einer neuen Militärdiktatur, die sie des Terrors bezichtigt, um sich so den Vorwand zur totalen Zerschlagung der Organisation zu schaffen.
Wie gefährlich ist diese Bewegung, die Millionen von Menschen im ganzen Land hinter sich zu scharen vermag, tatsächlich? Selbst politische Gegner am Nil halten sie nicht für eine Waffenbruderschaft, wiewohl sich zahlreiche Anhängerin den blutigen Machtkämpfen radikalisiert und gewaltbereit gezeigt hatten. Dennoch täuscht das häufig im Westen verbreitete Bild einer in den vergangenen Jahren modernisierten politischen Bewegung. Die autoritäre Struktur der Organisation, der strikte Auswahl- und Aufnahmeprozess neuer Mitglieder, der vier Jahre und mehr der Prüfung und islamischen Bildung bedarf, strenge Regeln der Disziplin und des Gehorsams blockieren freies und unabhängiges Denken, Selbstreflektion und –kritik, sowie Reformversuche. Das musste selbst eines der prominentesten Mitglieder , Abdel Moneim Aboul Fetouh, erleben, als er sich dem Führungsrat widersetzte und für die Präsidentschaft 2012 kandidieren wollte. MB-Führer bezichtigte ihn nichts weniger als der“ Verletzung des Paktes mit Gott“.
Als Hassan el Banna 1928 die Bewegung in Ägypten gründete, konzentrierte er sich zunächst einzig auf die Verbreitung islamischer Lehren und guter Werke. Er gründete im ganzen Land Zweigstellen, von denen jede eine eigene Moschee, eine Schule und einen Sportclub errichtete und die Zahl der Mitglieder wuchs rapide. Bereits Ende der 1940er Jahre hatte  die Bewegung mehr als zwei Millionen Anhänger und ihre Ideen breiteten sich in der gesamten arabischen Welt aus. Heute ist ihre Anhängerschar um ein Vielfaches angewachsen und dominiert insbesondere ländliche Gebiete Ägyptens.
Doch Ende der 1940er Jahre geriet el-Banna in den Strudel des Befreiungskampfes gegen die britische Kolonialherrschaft. Die MB attackierte britische und jüdische Interessen im Land und wurde 1948 von der Regierung verboten, die sie bald darauf der Ermordung  ihres Premierminister Mahmoud al-Nuqrashi beschuldigte.  Der Terror der Moslembrüder kostete unzählige Menschenleben.  1952 schloss sich die MB der Revolution der „Freien Offiziere“ gegen die Monarchie an, doch die Beziehungen zu den neuen Herrschern verschlechterten sich rasch und nach einem Attentatsversuch gegen Präsident Nasser 1954 wurde die Bruderschaft verboten, Tausende Mitglieder landeten im Gefängnis und erlitten schwere Folterqualen. Damit begann eine jahrzehntelange Periode von Verfolgung und äußerst erfolgreichen Überlebensversuchen im Untergrund. In den 80er Jahren versuchte die MB, die zunehmend ein riesiges soziales Netzwerk aufgebaut hatte, sich offiziell zu mäßigen und dem politischen Prozess anzuschließen. Bis zum Sturz Präsident Mubaraks 2011 führte sie ein halblegales Dasein, zeitweise politisch geduldet, zeitweise verfolgt.  Im Jahr 2000 gelang ihr der größte Erfolg, die Übernahme von 20 Prozent der Parlamentssitze durch unabhängige, mit ihr verbündete Kandidaten.
Offiziell schwor die MB schon lange der Gewalt ab, doch ein Teil ihre führenden Mitglieder hält weiterhin an den radikalen Lehren ihres wichtigsten Ideologen Sayyid Qutb fest, dessen Schriften über eine islamische und antisemitische Weltordnung und den bewaffneten Kampf gegen den Westen viele Islamistengruppen, darunter Al-Kaida, bis heute inspirieren. Die Moslembruderschaft versteht sich nach den Worten eines ihrer prominentesten Anhänger, Khairat al-Shater, nicht als politische Partei, sondern als eine Bewegung, „die auf der Basisislamischer Lehren das gesamte Leben der Gemeinde ordnet“, um es „zu islamisieren“. Die Bewegung  hat sich bis heute nicht von den Lehren Al-Qutbs distanziert, der im Gewehr eine wichtige Alternative zur Wahlurne sah. Und keineswegs nur radikale Islamisten glauben an  die „Taqiyya“ (Verstellung) als eine im Islam erlaubte Methode zur Verheimlichung der eigenen Überzeugungen und Zielsetzungen, wenn das eigene oder ein anderes Leben oder Islam bedroht ist. Das Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit – so meinen viele Kritiker der Moslembrüder – sei deshalb nichts anderes als „Taqiyya“. Für die Moslembrüder ist nun der entscheidende Test gekommen.

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