Während zunehmend gewaltsame
Massenproteste gegen Präsdident Mursi anhalten, stellt die Armee den
politischen Kräften ein 48-stündiges Ultimatum
von Birgit Cerha
Die “Tamarod”-Bewegung , die die wohl größten Massenproteste in der Geschichte Ägyptens organisierten, hatten auf solche Schützenhilfe gehofft. Vorerst bleibt aber unklar, ob damit das Hauptanliegen der Oppositionsströmung, der Sturz Mursis, erfüllt würde.
Wiewohl die Tamarod ihre Entschlossenheit zum gewaltlosen Protest gegen den islamistischen Präsidenten bekundet hatte, kam es Montag zunehmend häufig zu brutalen Übergriffen gegen Personen und Institutionen der Moslembrüder und deren islamistische Verbündete. Unter Führung Mursis beschlossen die Moslembrüder deshalb Montag, Attacken auf ihre Institutionen nicht länger tatenlos zuzusehen. Damit steigt die Gefahr vor gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Anhängern der beiden Lager dramatisch an. Pro-Mursi Aktivisten bekräftigten ihre Entschlossenheit, Sitzstreiks so lange fortzusetzen, solange nicht die Opposition ihre Protestaktionen beendet hat. Die von Tamarod geführte Strömung will davon aber nichts wissen, bis Mursi nicht den Präsidentenpalast geräumt hat – und dies bis Dienstag 17 Uhr. Tut er dies nicht, dann wollen Millionen von zornigen Ägyptern durch Sitzstreiks vor Regierungsgebäuden und dem Präsidentenpalast, sowie durch eine großangelegte Kampagne des zivilen Ungehorsams das Land lahmlegen. Ob sich allerdings die Arbeitervertretungen an Massenstreiks beteiligen würden, ist vorerst unklar.
Das gigantische Ausmaß der Proteste hat die Moslembrüder offenbar schockiert. Ein Sprecher Mursis bekräftigte Montag die Bereitschaft zum nationalen Dialog. Doch für die Protestierenden und deren Führer kommt dies zu spät. Mursi hat in ihren Augen in einem Jahr unerfüllter Versprechen jegliche Glaubwürdigkeit verloren. Der Präsident gerät zunehmend in Bedrängnis. Zwar stehen immer noch Millionen von Ägyptern, insbesondere in ländlichen Regionen, voll hinter ihm und seiner Moslembruderschaft. Doch die Massendemonstrationen vom Sonntag, die selbst jene, die im Februar 2011 den Sturz Präsident Mubaraks erzwungen hatten, weit übertrafen, stärken Argumente der Opposition, dass nicht mehr die Mehrheit des Volkes hinter Mursi stünde. Er hatte vor einem Jahr mit nur 51,7 Prozent der Stimmen die Spitze des Staates erklommen. Auch unter seinen Mitstreitern beginnt die Front zu bröckeln. Montag traten , geschockt durch die Proteste, vier Minister zurück.
Die offensichtliche Strategie, auf Zeit zu spielen in der Hoffnung, dass wie bei der vorangegangenen Zorneswelle im Dezember 2012 die Proteste bald erlahmen würden, insbesondere, da in acht bis neun Tagen der Fastenmonat Ramadan beginnt und zugleich die Hitze am Nil vollen Einzug nimmt, erlitt nun durch das Ultimatum der Streitkräfte einen Rückschlag.
Die Gegner Mursis verstanden es zwar eindrucksvoll, enorme Massen zu mobilisieren, Doch darüber hinaus haben sie keine gemeinsame Strategie erarbeitet. Sie sind eine Graswurzelbewegung, die sich aus den verschiedenen säkularen Gruppen – Liberalen, Nationalisten und Linken - zusammensetzt und nun auch von Enttäuschten in den unteren Schichten der Bevölkerung, die lange mit den Moslembrüdern sympathisiert hatten, unterstützt werden. Eine dritte Gruppe aber wittert in diesem Kräftemessen eine neue Chance: die Vertreter, Mitstreiter und Anhänger des alten Regimes, die immer noch Teile des Staatsapparates, den sie einst mit weit größerer ‚Effizienz, wiewohl autoritär, gelenkt hatten, besetzen.
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