Millionen von Gegnern Präsident Mursis hoffen auf den Schutz der Streitkräfte – Ist der Weg zu einer Militärdiktatur vorgezeichnet?
von Birgit Cerha
Doch werden Ägyptens Militärs tatsächlich den Weg der Moslembrüder unter Mursi zu einer islamistischen Diktatur blockieren, wie viele hoffen? Werden sie, wie die neue Demokratie-Bewegung spekuliert, das Land in die vor einem Jahr durch die Wahl Mursis beendete Übergangsphase zurückführen und – durch Erarbeitung einer neuen Verfassung, Referendum und Neuwahlen – noch einmal versuchen, das demokratische Ziel zu erreichen? Was ist nach El-Sissis Vorstellung der „Wille des Volkes“? Armeesprecher Ahmed Ali stellte jüngst klar , El-Sissi habe eine „unterstützende Botschaft der Armee an ihr Volk“ gerichtet.
Ägyptens Schicksal liegt nun in den Händen der Streitkräfte, einer Institution allerdings mit höchst zweifelhafter demokratischer Glaubwürdigkeit. Seit dem Militärputsch gegen die Monarchie 1952 kamen alle Präsidenten des Landes aus den Reihen der Offiziere. Mursi ist nicht nur der erste freigewählte, sondern auch der erste zivile Herrscher. Dennoch meinen Experten zahlreiche Beweise für geringe politische Ambitionen im Offizierscorps zu erkennen. Auch erwies es sich in der Vergangenheit keineswegs als uneingeschränkter Schutzherr des Staatsoberhauptes. Zweimal wurde es von einem Präsidenten zur Niederschlagung eines Aufstandes in die Straßen gerufen – 1977 von Sadat während einer Rebellion gegen drastische Brotpreiserhöhungen und 1986 als unter Präsident Mubarak Rekruten der „Zentralen Sicherheitstruppe“ gewaltsamen gegen eine Verlängerung ihrer dreijährigen Dienstzeit um ein Jahr protestierten. In beiden Fällen machte das Militär seine Intervention von der Rücknahme der entsprechenden Verordnungen durch den Präsidenten abhängig und zog sich auch nach Herstellung der Ruhe sofort wieder in die Kasernen zurück.
Bis Mitte der 70er Jahre waren die Streitkräfte die stärkste politische Institution im Lande. Sadat versuchte ihren Einfluss auf die Politik zurückzudrängen, eine Strategie, die Mubarak nicht fortsetzte. Dennoch war auch der gestürzte Präsident ängstlich besorgt, dass nicht aus den Offizierskreisen ein potentiell gefährlicher Rivale erwachse. Er entwarf eine Strategie, die den Streitkräften eine wachsende Rolle in der ökonomischen Entwicklung des Landes zuschrieb. Damit nahmen die Privilegien der Armee gigantische Ausmaße an. Heute kontrollieren die Streitkräfte etwa 40 Prozent der ägyptischen Wirtschaft. Ihre Unternehmen produzieren eine Vielzahl von Produkten, über Waschmaschinen, Heizgeräten, Textilien, Medikamenten bis zu Mikroskopen. Soldaten betreiben Rinder-Hühner und Fischfarmen, touristische Einrichtungen und Spitäler. Die Einkünfte aus diesen Aktivitäten und Exporten fließen nicht in das staatliche Budget, die Unternehmen agieren außerhalb jeglicher staatlicher Kontrolle. Das Offizierscorps ist völlig autonom in seiner Finanzgebarung und muss der Regierung keinerlei Rechenschaft über die Verwendung von jährlich 1,3 Mrd. Dollar amerikanischer Militärhilfe geben.
Die Erhaltung dieser Privilegien besitzen für die Generäle höchste Priorität. Als sie diese bedroht sahen, entschieden sie sich nach informierten Kreisen im Februar 2011, dem Druck der Straße zu weichen, Mubarak zum Rücktritt zu zwingen und selbst im „Höchsten Militärrat“ (SCAF) die Macht für eine Übergangszeit zu übernehmen. Doch in den darauffolgenden turbulenten 16 Monate erlitt das bis dahin hohe Ansehen der Streitkräfte enormen Schaden, bedingt durch politische Inkompetenz ihres Chefs, Feldmarschall Tantawis, der den Anschein erweckte, als sei das Militär zum Rückzug bereit. Sich häufende Berichte über gravierende Menschenrechtsverletzungen an Demonstanten durch Soldaten weckten Erinnerungen an Brutalitäten der 1950er bis 70er Jahre. Nun zogen Aktivisten durch die Straßen mit dem Ruf „Nieder mit den Militärs“. Mursi und seine Moslembrüder nutzten im Juli 2012 die Gunst der Stunde und drängten die um ihr Image, aber längerfristig auch um ihren Status bangenden Streitkräfte wieder aus der Politik – all ihre Privilegien und ihre totale Autonomie wurden verfassungsrechtlich garantiert.
Binnen einen Jahres aber hat es Mursi durch sein Bemühen die politische Dominaz der Islamisten zu sichern,geschafft, das angeschlagene Image der Streitkräfte, wieder zu renovieren. Der von ihm neuernannte Oberkommandierende, El-Sissi und die anderen führenden Generäle enthielten sich jeglicher politischer Einmischung und weckten damit unter den durch die Politik des Präsidenten frustrierten Demokratie-Aktivisten neue Hoffnung auf Unterstützung ihrer Anliegen.
„Die Islamisten haben keinerlei Verantwortungsgefühl“, erklärte eine hohe Militärquelle gegenüber „Ahram Online“. Das Offizierskorps habe sein Vertrauen zu Mursi vollends verloren. Die Armee halte sich bereit und habe „detaillierte Einsatzpläne“ erarbeitet. Diese reichten von Absicherung der wichtigsten Einrichtungen der Infrastruktur und öffentlichen Dienstleistungen bis zu Aktionen gegen Versuche, die Reihen der Streitkräfte zu infiltrieren, Rebellionen und bewaffneter Gewalt. Die Pläne schließen auch mögliche Kämpfe gegen Rebellen im Sinai mit ein, Versuche, jenseits unserer Grenzen Unruhe zu stiften. Ein voll ausgestatteter Operationsraum sei eingerichtet worden, von dem aus auch politische Fragen, wie etwa die Beziehungen der Streitkräfte mit den Moslembrüdern oder ein Dialog mit diversen säkularen Kräften koordiniert werden soll. Wenn sich die Situation nach den Massendemonstrationen vom 30. Juni wieder etwas entspannt habe, würden die Offiziere die weiteren Schritte erwägen und darüber entscheiden, ob Mursi in Übereinstimmung mit den mit dem Offizierkorps vereinbarten Prinzipien an der Macht bleiben solle. Denn direkt die Zügel in die Hand nehmen, das wollen Ägyptens Generäle nur dann, wenn das Schicksal der Zusammenhalt des Staates ernsthaft bedroht ist.
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