Blutbad vor Armeekaserne droht das Land in einen Bürgerkrieg zu reißen – Die Kluft zwischen zwei unversöhnlichen Lagern wird immer tiefer
von Birgit Cerha
„Nieder, nieder mit der Herrschaft Al-Sisis (Ägyptens Armeechef)“ brüllten Montag Zehntausende Demonstranten in Kairo. ‚“Er ist ein Mörder“, der für den Tod friedlicher Menschen, die sich zum Morgengebet versammelt hätten, verantwortlich sei, rufen Sprecher der Moslembruderschaft des gestürzten Präsidenten Mursi. Mit einem Schlag hat sich die seit Tagen angespannte Situation am Nil dramatisch verschärft, als Montag Früh mehr als 40 Menschen vor dem Hauptquartier der Republikanischen Garden in Kairo von Soldaten erschossen und Hunderte verletzt wurden. Die Moslembrüder sprechen von „Massaker“, von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Die Armeeführung behauptet, bewaffnete „Terroristen“ hätten versucht,die Kaserne zu stürmen, die Soldaten hätten in Notwehr gehandelt. Die Moslembrüder glauben, dass Mursi in diesem Gebäude festgehalten wird und drohten schon seit Tagen, es zu stürmen. Wer die Katastrophe ausgelöst hatte, soll nun eine von der Justiz eingesetzte Kommission klären.
Während nach der Militärintervention zur Absetzung Mursis schon feststand, dass nur ein rasch eingeleiteter nationaler Versöhnungsprozess das Land vor einem Abgleiten in blutige Gewalt bewahren kann, sind diese Versuche vollends gescheitert. Schon vor dieser blutigen Katastrophe bestand wenig Hoffnung, den Graben zu überwinden, damit Ägypten den Weg zu einer demokratischen Ordnung findet, die keine Bevölkerungsgruppe ausschließt. Die Moslembrüder hatten energisch ein Dialog-Angebot des Übergangspräsidenten Mansur zurückgewiesen, solange Mursi nicht wieder in sein Amt zurückkehren könne. Doch die radikalere salafistische Nour-Partei, die mit 25 Prozent der Stimmen zweitstärkste Partei im unterdessen aufgelösten Parlament, hatte sich der neuen, vom Militär abgestürzten Koalition aus säkularen Parteien unter Führung El-Baradeis angeschlossen. Mit Rückhalt durch al-Azhar, die höchste sunnitische Autorität, und den Papst der Kopten repräsentierte diese Strömung damit alle Schattierungen der ägyptischen Gesellschaft und stützt sich auf 22 Millionen Unterschriften.
Al-Nour war diesen Bund mit den ideologisch völlig konträren Gruppierungen eingegangen, in der Hoffnung, aus dem Missgeschick der Moslembrüder zu profitieren und versuchte bei Verhandlungen über die Bildung einer Übergangsregierung eine Vermittlerrolle zu den Moslembrüdern zu spielen. Die Verwirrung um die Ernennung El-Baradeis zum Übergangspremier, die schließlich zurückgezogen wurde, zeigt den enormen Einfluss, den die Salafisten bereits auszuüben begannen. El-Baradei, seit zwei Jahren wichtigster Gegenspieler der Moslembrüder, wird von vielen Islamisten entscheiden abgelehnt. Al-Nour wehrte sich nicht nur gegen die Ernennung Baradeis, sondern bestand auch auf der Wahl eines Mannes mit ihrer radikal-islamistischen Ideologie. Während sich schon in dieser Frage kein Kompromiss abzeichnete, nahm Al-Nour das Blutbad vom Montag zum Anlass, sich ganz aus den Verhandlungen zurückzuziehen.
Die Folgen sind katastrophal. Ägypten ist damit gespalten zwischen säkularen Kräften und islamistischen und die Gewalt hat alle Brücken niedergerissen. Schon warnen die Moslembrüder, Ägypten werde dem syrischen Beispiel folgen, beharren jedoch – im Gegensatz zu ihren syrischen Gesinnungsgenossen - auf Rebellion gegen die Armeeführung mit ausschließlich friedlichen Mitteln. Ägyptens Streitkräfte aber genießen in der Bevölkerung – und nun insbesondere unter den demokratischen Revolutionären - ein weit höheres Ansehen als jene Syriens.
Dennoch, General Al-Sisi hat durch gravierende Fehler das Land dramatisch polarisiert. Die Montag ausgeweitete Verhaftungswelle gegen führende Köpfe der Moslembruderschaft, die Drohung der Anklage gegen Mursi und andere führende Köpfe unter konstruierten Vorwürfe wie „Beleidigung der Justiz“, die Sperre des Hauptquartiers der „Freiheits- und Gerechtigkeitspartei“ der Moslembrüder machen die jahrzehntelang unterdrückte Massenbewegung erneut zum politischen Opfer, während die nach Demokratie für alle strebenden Revolutionäre solcher Repression keinen Widerstand leisten und damit in den Augen der Islamisten zu „Mittätern“ werden. Ein „ägyptischer Mandela“ ist dringend gesucht, um den Teufelskreis der Gewalt zu stoppen.
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