Was bedeutet der überraschende Sieg des Gemäßigten Hassan Rohanis für die
„Islamische Republik“, für die Region und für die Welt?
von Birgit Cerha
Und
wieder, wie bereits mehrmals in der Vergangenheit, brachten Irans
Präsidentschaftswahlen eine Überraschung hervor. Niemand hatte mit einem
derart überwältigenden Sieg des sich zunehmend als Reformer
präsentierenden Zentrumspolitiker Hassan Rohani gerechnet. Mit 50,7
Prozent (gegenüber dem ihm nächstgelegenen Rivalen, den
Ultrakonservativen Said Jalili, der nur 11,3 Prozent erreichte) sicherte
sich Rohani den Aufstieg ins Präsidentenamt schon in der ersten Runde.
Und auch die rasche offizielle Ankündigung des überwältigenden
Vorsprungs dieses innen- und außenpolitisch kompromissbereiten
Geistlichen vor seinen erzkonservativen Rivalen bereits wenige Stunden
nach Schließung der Wahllokale überraschte, steht sie doch in krassem
Gegensatz zu den Wahlmanipulationen vor vier Jahren, die dem Führer der
„Grünen (Reform-)Bewegung“ Mussawi den Sieg gekostet und
Präsident Ahmadinedschad die Widerwahl gesichert hatten. Massenproteste
gegen diesen Betrug, die der Legitimität der „Islamischen Republik“
in den Augen des Volkes und der Welt schwersten Schaden zugefügt hatten,
sollten unter allen Umständen verhindert werden. Vielmehr sollten diese
Wahlen das System erneut stärken.
Der Schachzug glückte. Niemand
wird die Wahlbeteiligung von offiziell mehr als 70 Prozent anzweifeln
und die große Schar der Unzufriedenen schöpft neue Hoffnung. Die
Reformbewegung hat ihre Überlebenskraft bewiesen, wird sich wieder aus
dem Untergrund erheben und eine Rolle auf der politischen Bühne
übernehmen. Ob Rohani aber auch nur einen Teil der geweckten Hoffnungen –
Freilassung der Führer der „Grünen“ und aller politischer Gefangener,
Presse- und Meinungsfreiheit, wirtschaftliche Erholung durch Lockerung
der Sanktionen und einem Ende der Misswirtschaft etc . erfüllen kann,
bleibt offen. Zumindest kann
Rohani nun einmal in vielen wichtigen Ministerien von Ahmadinedschad
eingesetzte Hardliner durch ihm gleichgesinnte Pragmatiker und
Technokraten zu ersetzen
Wiewohl der „Geistliche Führer“ Khamenei mit
diesem Wahlausgang nach den Jahren der Turbulenzen und Repression auf
die Unterstützung des Volkes für dieses System verweisen kann, richtet
dieser Sieg eine Reihe höchst unangenehmer Botschaft an das herrschende
Establishment. Er schockt vor allem die Hardliner, die nicht nur ihre
schweren internen Konflikte nicht überwinden und sich auf einen
gemeinsamen Kandidaten einigen konnten, sondern von den Wählern eine
katastrophale Abfuhr einstecken mussten. Er zeigt auch, dass die breite
Strömung der Unzufriedenen sich nicht durch Brutalitäten zerschlagen
lässt und nun die Theokraten erneut herausfordern könnte.
Deenoch,
der Wille der Bevölkerungsmehrheit schlägt sich weitgehend nicht in den
staatlichen Strukturen nieder. Diese bleiben
überwiegend in den Händen der Khamenei treu ergebenen Konservativen und
der stark islamistisch orientierten Revolutionsgarden, die seit 2009
nicht nur entscheidenden Anteil an der Unterdrückung der Reformer
hatten, sondern auch ihre Macht wesentlich verstärken konnten. Ob sie
Rohani politischen Spielraum lassen, muss sich erst zeigen.
Eine
entscheidende Frage gibt Analysten Rätsel auf: Warum hat das Regime, das
2009 hemmungslos dem Volk seine Stimmen stahl, Zehntausende
Protestierende unterdrückte und deren zahllose Sympathisanten als
„Abweichler“ brandmarkte, sich nun offenbar entschieden, den Gemäßigten
doch eine Chance zu geben? Ein Blick in die jüngere Geschichte könnte
eine Antwort geben. Eine Führung seit 34 Jahren an der Spitze einer
Revolution scheint nicht mehr zu endlosem Opfer bereit. Vor einer
Generation, erinnert die Iranistin Suzanne Maloney, hatte sich die Last
des Krieges gegen den Irak (1980-88) schließlich als
unerträglich erwiesen. Ein Retter wurde gesucht und im späteren
Präsidenten Rafsandschani gefunden, der zum Oberkommandierenden der
Streitkräfte ernannt wurde und ein Ende des Krieges aushandelte.
Heute
erweist sich die Last der Sanktionen und der internationalen Isolation
als Folge der iranischen Atompolitik mehr und mehr als unerträglich, das
Risiko einer (militärischen) Konfrontation erscheint zunehmend größer
als jenes eines Kompromisses. Rohani erscheint als idealer Kandidat, um
durch eine Abkehr vom Radikalismus Ahmadinedschads, einen neuen Ton und
eine neue Initiative einen Ausweg aus diesem bedrohlichen Kampf mit der
internationalen Gemeinschaft zu finden. Zugleich wird er als Mitglied
der Klasse der Geistlichen die politische Kontinuität der Ayatollahs
nicht aufs Spiel setzen. Durch diesen Wahlausgang könnte Khamenei der
Welt signalisieren, dass nicht Regimewechsel, wie vom Westen in Syrien
erstrebt, der Weg des
„Gottesstaates“ ist, sondern eine (vielleicht allerdings nur zaghafte)
Veränderung von Innen.
Sonntag, 16. Juni 2013
Zeit der Veränderung im Iran
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