Sonntag, 16. Juni 2013

Zeit der Veränderung im Iran

Was bedeutet der überraschende Sieg des Gemäßigten Hassan Rohanis für die „Islamische Republik“, für die Region und für die Welt?

von Birgit Cerha

Und wieder, wie bereits mehrmals in der Vergangenheit, brachten Irans Präsidentschaftswahlen eine Überraschung hervor. Niemand hatte mit einem derart überwältigenden Sieg des sich zunehmend als Reformer präsentierenden Zentrumspolitiker Hassan Rohani gerechnet. Mit 50,7 Prozent (gegenüber dem ihm nächstgelegenen Rivalen, den Ultrakonservativen Said Jalili, der nur 11,3 Prozent erreichte) sicherte sich Rohani den Aufstieg ins Präsidentenamt schon in der ersten Runde.
Und auch die rasche offizielle Ankündigung des überwältigenden Vorsprungs dieses innen- und außenpolitisch kompromissbereiten Geistlichen vor seinen erzkonservativen Rivalen bereits wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale überraschte, steht sie doch in krassem Gegensatz zu den Wahlmanipulationen vor vier Jahren, die dem Führer der „Grünen (Reform-)Bewegung“ Mussawi den Sieg gekostet und Präsident Ahmadinedschad die Widerwahl gesichert hatten. Massenproteste gegen diesen Betrug, die der Legitimität der „Islamischen Republik“ in den Augen des Volkes und der Welt schwersten Schaden zugefügt hatten, sollten unter allen Umständen verhindert werden. Vielmehr sollten diese Wahlen das System erneut stärken.
Der Schachzug glückte. Niemand wird die Wahlbeteiligung von offiziell mehr als 70 Prozent anzweifeln und die große Schar der Unzufriedenen schöpft neue Hoffnung. Die Reformbewegung hat ihre Überlebenskraft bewiesen, wird sich wieder aus dem Untergrund erheben und eine Rolle auf der politischen Bühne übernehmen. Ob Rohani aber auch nur einen Teil der geweckten Hoffnungen – Freilassung der Führer der „Grünen“ und aller politischer Gefangener, Presse- und Meinungsfreiheit, wirtschaftliche Erholung durch Lockerung der Sanktionen und einem Ende der Misswirtschaft etc . erfüllen kann, bleibt offen. Zumindest kann Rohani nun einmal in vielen wichtigen Ministerien von Ahmadinedschad eingesetzte Hardliner durch ihm gleichgesinnte Pragmatiker und Technokraten zu ersetzen
Wiewohl der „Geistliche Führer“ Khamenei mit diesem Wahlausgang nach den Jahren der Turbulenzen und Repression auf die Unterstützung des Volkes für dieses System verweisen kann, richtet dieser Sieg eine Reihe höchst unangenehmer Botschaft an das herrschende Establishment. Er schockt vor allem die Hardliner, die nicht nur ihre schweren internen Konflikte nicht überwinden und sich auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen konnten, sondern von den Wählern eine katastrophale Abfuhr einstecken mussten. Er zeigt auch, dass die breite Strömung der Unzufriedenen sich nicht durch Brutalitäten zerschlagen lässt und nun die Theokraten erneut herausfordern könnte.
Deenoch, der Wille der Bevölkerungsmehrheit schlägt sich weitgehend nicht in den staatlichen Strukturen nieder. Diese bleiben überwiegend in den Händen der Khamenei treu ergebenen Konservativen und der stark islamistisch orientierten Revolutionsgarden, die seit 2009 nicht nur entscheidenden Anteil an der Unterdrückung der Reformer hatten, sondern auch ihre Macht wesentlich verstärken konnten. Ob sie Rohani politischen Spielraum lassen, muss sich erst zeigen.
Eine entscheidende Frage gibt Analysten Rätsel auf: Warum hat das Regime, das 2009 hemmungslos dem Volk seine Stimmen stahl, Zehntausende Protestierende unterdrückte und deren zahllose Sympathisanten als „Abweichler“ brandmarkte, sich nun offenbar entschieden, den Gemäßigten doch eine Chance zu geben? Ein Blick in die jüngere Geschichte könnte eine Antwort geben. Eine Führung seit 34 Jahren an der Spitze einer Revolution scheint nicht mehr zu endlosem Opfer bereit. Vor einer Generation, erinnert die Iranistin Suzanne Maloney, hatte sich die Last des Krieges gegen den Irak (1980-88) schließlich als unerträglich erwiesen. Ein Retter wurde gesucht und im späteren Präsidenten Rafsandschani gefunden, der zum Oberkommandierenden der Streitkräfte ernannt wurde und ein Ende des Krieges aushandelte.
Heute erweist sich die Last der Sanktionen und der internationalen Isolation als Folge der iranischen Atompolitik mehr und mehr als unerträglich, das Risiko einer (militärischen) Konfrontation erscheint zunehmend größer als jenes eines Kompromisses. Rohani erscheint als idealer Kandidat, um durch eine Abkehr vom Radikalismus Ahmadinedschads, einen neuen Ton und eine neue Initiative einen Ausweg aus diesem bedrohlichen Kampf mit der internationalen Gemeinschaft zu finden. Zugleich wird er als Mitglied der Klasse der Geistlichen die politische Kontinuität der Ayatollahs nicht aufs Spiel setzen. Durch diesen Wahlausgang könnte Khamenei der Welt signalisieren, dass nicht Regimewechsel, wie vom Westen in Syrien erstrebt, der Weg des „Gottesstaates“ ist, sondern eine (vielleicht allerdings nur zaghafte) Veränderung von Innen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen