Können direkte Waffenlieferungen des Westens tatsächlich das
Ende des Blutvergießens beschleunigen?
von Birgit Cerha
Die militanten Gegner des syrischen Regimes frohlocken. Zwar
sind sie untereinander derart zersplittert, dass sie nicht einmal an der
entscheidenden Sitzung der aus elf Staaten (USA, Deutschland, Großbritannien,
Frankreich, Italien, Türkei, Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien, Katar und
Vereinigte Arabische Emirate) zusammengesetzten Gruppe der „Freunde Syriens“ am
Wochenende in Katar teilnahmen. Dort fiel gegen den Wunsch Deutschlands und
Italiens die Entscheidung, den in die Defensive geratenen Rebellen rasche militärische
Hilfe zu leisten. Doch schon seit etwa einer
Woche hat Saudi-Arabien seine Lieferungen entscheidend verstärkt und erstmals
den Rebellen laut Medienberichten auch tragbare Luftabwehrraketen zur Verfügung
gestellt, um die Verteidigungskraft gegen Assads Luftwaffe zu stärken. „Wir
haben neue, von uns lange erbetene Waffentypen erhalten die nach unserer
Überzeugung den Verlauf des Krieges verändern werden“, erklärte der von den
syrischen Streitkräften abgesprungene General Salim Idriss, der die „Freie
Syrische Armee“ (FSA) kommandiert. Und die Mitglieder der „Freunde Syriens“
können nun jedes nach seinen Vorstellungen Assads Gegnern offen Waffen liefern,
nachdem sich US-Präsident Obama nach langem Zögern dazu bereitgefunden hatte.
Treibende Kraft im Kreis der „Freunde Syriens“ ist Katar,
das in massiver militärischer Unterstützung der Rebellen den einzigen Weg zur
Beendigung des Krieges sieht. „Gewalt ist notwendig, um Gerechtigkeit zu erreichen“,
stellt Premierminister Hamad bin Jassim al-Thani den Standpunkt seines
finanzkräftigen Ministaates klar.
Die Bewaffnung der Rebellen birgt jedoch gigantische
Gefahren. Nach dem dank intensiver Unterstützung der libanesischen
Schiitenorganisation Hisbollah errungenen Sieg
der Assad-Truppen in der strategisch wichtigen Stadt Kusair Anfang Juni
und Geländegewinnen in den Vororten von Damaskus hat das Regime große
Zuversicht gewonnen. Um seine Position in dem zerrissenen Land weiter zu
stabilisieren muss es aber die größte
Stadt, Aleppo, wieder voll unter seine Kontrolle bringen. Während Assad mit
Hisbollah-Hilfe eine Großoffensive vorbereitet, haben Sonntag auch die Rebellen
erneute Angriffe auf Regierungspositionen in dieser Wirtschaftsmetropole begonnen.
Nur massive militärische Unterstützung könnte das Blatt zugunsten der Rebellen
wenden. Assads Gegner benötigen nach eigenen Angaben dringend Luftabwehrraketen
und Anti-Panzer-Waffen.
Ein steter Zustrom von Tötungsgeräten an beide Seiten treibt
diesen Krieg seit bald zweieinhalb Jahren an. Die sich allmählich leerenden Waffenlager
der hochgerüsteten syrischen Armee werden seit dem Vorjahr durch iranische
Lieferungen und zunehmend auch russische wieder aufgefüllt. Moskau verteidigt
sich gegen westliche Kritiker mit dem Argument, lediglich alte Lieferverträge
zu erfüllen. Der Waffennachschub an die Rebellen läuft seit langem geheim, doch
sehr effizient. Katar und die Türkei spielten und spielen beim Aufbau eines
geheimen Netzwerkes, Organisation und Finanzierung eine entscheidende Rolle.
Eine wesentliche Quelle ist Libyen, wo unter den gegen Diktator Gadafi
siegreichen und hochbewaffneten Rebellen große Sympathie für die syrischen
Kämpfer herrscht. Katar hatte einst diese Gegner Gadafis unterstützt und nützt
die alten Bande, um nun den Feinden Assads in Syrien zu helfen. Auf diese Weise
gerieten Unmengen von Waffen, die einst der Kreml an Gadafi geliefert hatte, an
die Gegner des mit Rußland verbündeten syrischen Diktators. Mit Hilfe
Saudi-Arabiens gelangten jüngst auch größere Mengen von Waffen aus Kroatien in
die Hände der Rebellen. Während Katar überwiegend radikale Islamisten
unterstützt, verhält sich Riad vorsichtiger und versucht, nur nationalistische
und säkulare Syrer, vertreten in der FSA mit Waffen auszustatten. Beiden
Staaten geht es aber zunehmend um die Stärkung der Sunniten gegen die vom
schiitischen Iran unterstützten Kräfte (die alewitische Minderheit Assads und
die Hisbollah). Dieses Ziel verfolgen auch die irakischen Sunniten, die
ihrerseits eifrig Waffen an ihre Glaubensgenossen in Syrien schmuggeln.
Vorerst zögern die westlichen Staaten noch, Rebellen direkt
Waffen zu liefern. Man spricht in Katar von „Arbeitsteilung: Waffen aus der
arabischen Welt, andere militärische Unterstützung (wie Kommunikationsgeräte,
Gasmasken etc) aus dem Westen.
Die Gefahren ungehemmter Waffenlieferungen sind enorm. Wie
läßt sich verhindern, dass etwa Luftabwehrraketen syrisches Territorium
verlassen und die internationale zivile Luftfahrt gefährden. Dass sich nur „gute
Rebellen“ mit Waffen versorgen lassen, hat sich längst als Illusion erwiesen.
Innerhalb von Syrien ist eine Kontrolle unmöglich. Der „Höchste Militärrat der
Opposition“ kann den Zustrom nicht kontrollieren. Angehörige der FSA haben
schon in der Vergangenheit häufig Waffen an die finanziell gut ausgestatteten
Islamisten verkaufen und General Idriss bietet diesen Gruppen, zu denen die
gefährlichsten Extremisten zählen, nun offen eine Kooperation an.
Welches Ziel, so
fragen sich Experten, hat sich Obama mit der Entscheidung zu Waffenlieferungen
gesetzt. Was geschieht, wenn die FSA Aleppo und Nord-Syrien unter ihre
Kontrolle bringt und das Land spaltet? Soll dann der Westen den Rebellen
ermöglichen, auch die Eroberung von Damaskus ermöglichen, den Sturz des Regimes
und der Vertreibung der Alewiten in ihr westliches Kernland? Wie läßt sich dann
die blutige Rache an der Minderheit, wie lassen sich Massaker an Alewiten,
Christen und anderen verhindern, wie brutale ethnische Säuberungen?
Viele entscheidende Fragen bleiben offen. Fest steht jedoch,
dass die Aufrüstung – beider Seiten – zu einer weiteren Eskalation und unendlich
viel mehr Blutvergießen führen wird.
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