Dienstag, 11. Juni 2013

Irans Jugend ist die Triebkraft der Veränderung


Radikale sozioökonomische Veränderungen führen zu einem Wertewandel, der Wahlverhalten entscheidend beeinflusst

von Birgit Cerha

„Die Jugend ist der Schlüssel“ zu den Präsidentschafts- und allen künftigen Wahlen in  der „Islamischen Republik“, erläutert der unabhängige iranische Ökonom Bijan Khajehpour in dem Internetportal „Al-Monitor“. Und er verweist auf einen starken sozio-ökonomischen Transformationsprozess, den der Iran als Folge drastischer demographischer Veränderungen in mehr als zwei Jahrzehnten vollzogen hat. Die Misere der jungen Generation, ihre tiefen Frustrationen angesichts sozialer und politischer Repression, gigantischer Arbeitslosigkeit und quälender internationaler Isolation beeinflußt in entscheidendem Maße ihr Wahlverhalten und damit auch das Resultat. Einige der sechs Kandidaten versuchen diesem Phänomen in ihrer Wahlwerbung Rechnung zu tragen, allen voran Hassan Rohani, der sich zunehmend als Reformer gibt und gezielt den Nöten, Sorgen und Sehnsüchten der neuen Generation zuwendet.
Doch ob es ihm gelingen kann, in den wenigen Tagen des offiziellen Wahlkampfes, die jungen Iraner aus ihrer politischen Frustration zu reißen, ihnen neue Hoffnung zu geben und sie damit von einem Massenboykott dieser Wahlen abzuhalten, erscheint höchst fraglich. Gelingt es ihm nicht, dann ist der Sieg eines der dem „Geistlichen Führer“ Khamenei bedingungslos ergebenen „Prinzipalisten“ gewiss.
Auf dem Höhepunkt des achtjährigen Krieges gegen den Irak (1980-88) hatte Revolutionsführer Khomeini durch eindringliche Appelle an die Bevölkerung mehr und mehr schiitische Iraner in die Welt zu setzen, eine der stärksten Bevölkerungsexplosionen der Welt eingeleitet.Die Zahl der Iraner hat sich seit der Revolution 1979 auf fast 79 Millionen mehr als verdoppelt, mehr als 60 Prozent sind unter 30. Nach jüngsten Statistiken dürfte die Altersgruppe von 18 bis 35 heute 50 Prozent der Wahlberechtigten stellen.
Das Wahlverhalten dieser Generation wird durch eine Reihe von Faktoren bestimmt. Der Iran hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten zu einer stark urbanisierten Gesellschaft entwickelt. 70 Prozent der Bevölkerung lebt heute in Städten. Als Folge dieser Veränderungen und der auch durch Missmanagement des Regimes wie internationale Sanktionen ausgelösten ökonomischen Probleme ist die Zahl der Geburten in den vergangenen Jahren drastisch zurückgegangen.  Eine iranische Familie, die noch 1976 im Schnitt aus fünf Mitgliedern bestand, ist heute auf statistisch 3,6 Personen geschrumpft und neigt vor allem in ökonomischen und sozialen Fragen zu einer moderneren Wertevorstellung. Versuche Khameneis, das Bevölkerungswachstum erneut durch materielle Anreize anzukurbeln schlugen weitgehend fehl, vor allem auch aufgrund der katastrophalen Perspektiven, die der „Gottesstaat“ seiner jungen Generation bietet. 70 Prozent der Arbeitslosen sind unter 30, im Schnitt findet jeder vierte Mann keine Arbeit und unter den höher ausgebildeten Frauen liegt die Arbeitslosigkeit bei 50 Prozent. Aufgrund der schlechten Wirtschaftslage wagen es immer weniger junge Iraner, Familien zu gründen: 33 Prozent der Frauen zwischen 20 und 34, sowie 50 Prozent der Männer aus der selben Altersgruppe sind heute unverheiratet und – so meinen Experten - fühlen sich nicht zu starken traditionellen und religiösen Werten hingezogen. Dies trifft vor allem auch auf Frauen zu, die ihre Familien allein erhalten müssen, das sind heute etwa 2,5 Millionen oder 12.1 Prozent aller Familien. Eine von sieben Ehen werden heute im Iran geschieden.
„Es ist offensichtlich“ stellt Khajehpour fest, „dass diese sozio-ökonomischen Entwicklungen“ das „Wertesystem in der iranischen Gesellschaft“ verändert haben. Das Regime hat die Gefahren erkannt und das Wahlalter von 15 Jahren, auf die man sich nach der Revolution festgelegt hatte, zunächst auf 16 und schließlich auf 18 angehoben. Doch die sich aus diesem Trend mittelfristig ergebende größte Gefahr für die theokratische Herrschaft lässt sich damit nicht abwenden, zumal Khamenei und sein Team alles tun, um die Sehnsucht der jungen Generation nach Öffnung des Systems und des Landes zur westlichen Welt, nach sozialen Freiheiten und einer ökonomisch gesicherten Zukunft durch gezielte Repression, Korruption und Misswirtschaft im Keim zu ersticken.

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